Das Versagen der Wirtschaftsjournalisten

Erst die Wirtschaftswissenschaftler – jetzt die Wirtschaftsjournalisten; die „Experten“ kommen in einer Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung wegen ihrer Berichterstattung über die Finanzkrise in arge Kritik. Weder Tageszeitungen noch TV-Anstalten seien ihrer Pflicht zu kritischer, aufklärender Berichterstattung nachgekommen.

Und schon giften die Angegriffenen aus der noch nicht einmal veröffentlichen Studie zurück: ARD, dpa und große Tageszeitungen wehren sich gegen den „Vorwurf des Versagens“. Denn besonders hart gehen die Autoren der Studie, Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt, mit „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ ins Gericht. Die Redaktionen hätten sich „ während der Finanzmarktkrise in der Routine ihrer Berichtserstattung nicht stören lassen“. Harsch auch das Urteil über die Deutsche Presseagentur, denn „deren Meldungen werden in den Medien unbearbeitet abgedruckt oder verlesen, was bei regionalen und lokalen Medien die Regel ist, und dann ist davon auszugehen, dass das “normale” Publikum die Informationen nicht versteht und kaum einordnen kann“.

Die umfangreiche Studie hat zwischen Frühjahr 1999 bis Herbst 2009 insgesamt 16 bedeutende Ereignisse ausgesucht und untersucht. Es wurden bezogen auf diese 16 Ereignisse die Berichterstattung der überregionalen Tageszeitungen „Handelsblatt“, „die tageszeitung“, „Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und „Financial Times Deutschland“ – insgesamt 822 Artikel – ebenso untersucht wie die Berichterstattung von „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ mit 141 Beiträgen sowie der Basisdienst der „Deutschen Presseagentur“ mit 212 Meldungen. Mit Ausnahme der TAZ erhielten alle Medien schlechte Noten.

Pfusch am Bau

Vernichtendes Urteil der Studie: „Der tagesaktuelle deutsche Wirtschaftsjournalismus hat als Beobachter, Berichterstatter und Kommentator des Finanzmarktes und der Finanzmarktpolitik  … schlecht gearbeitet; Pfusch am Bau nennt man das im Handwerk. Die besten Tageszeitungen dieser Republik sind erst mit dem Krach der Krise publizistisch und journalistisch ‚erwacht‘. DPA und ARD-Aktuell machten auch dann in ihrer handwerklich schlechten Alltagsroutine einfach weiter wie zuvor. Als Frühwarner jedenfalls haben deutsche Wirtschaftsjournalisten versagt.“

„Eher Diener des Mainstreams“ sei der deutsche Wirtschaftsjournalismus, so die Autoren der Studie, beides gestandene Journalisten mit langer Zeitungserfahrung. Storz und Arlt belassen es nicht bei der Kritik, sondern bieten Vorschläge, Veränderungen, Korrekturen an:

„Warum kommt es, dass „nur eine sehr kleine Schar von Wirtschaftswissenschaftlern regelmäßig  und damit sehr häufig in den Massenmedien zu Wort kommt: Rürup, Sinn, Gerke – das war‘s.“ …

Die Krise heißt bis heute „die Krise“. Sie hat also noch keinen Namen. Deshalb haben die Autoren sich erlaubt, sie zu taufen: die globale Krise der Großen Spekulation.  Gerechtigkeit? Gerecht? Es geht hier um das Verdienen und Verbrennen von  hunderten Milliarden Euro. Aber das Wort “Gerechtigkeit” kommt in der Berichterstattung kaum vor. Da diese Dimension keine Rolle spielt, wird in den Massenmedien auch diese Frage sehr selten gestellt: Wer zahlt die Zeche?

Milliarden suchen Renditen

Diese Krise konnte sich nur entwickeln, weil weltweit immer mehr Milliarden Euro nach  renditeträchtigen, spekulativen Anlagen suchten. Dieses wiederum war nur möglich, so Storz und Arlt, weil der private Reichtum in den vergangenen Jahren immens gewachsen ist. Diese Ursachendeutung von Gewerkschaften, tendenziell linken Parteien und sozialen Bewegungen ist in den Massenmedien nicht zu finden.

Das journalistische System sollte anhand dieser Themen zu einer selbstkritischen Diskussion bereit sein und diese führen. Dazu gehört auch, die Kritiker von einst heute ernst zu nehmen und zu fragen, warum sie recht oder ob sie einfach nur Glück mit ihren Prognosen hatten. Es ist zu oft festzustellen, dass der häufig herablassende und inhaltlich anspruchslose Umgang mit den Kritikern von einst überwiegt: Wer immer warnt, wird einmal Recht bekommen. Wer so argumentiert, so ist zu befürchten, ist zu einer selbstkritischen Diskussion nicht bereit.

Es hat in unserer Gesellschaft nicht an kompetenten, prominenten und gut zugänglichen Warnungen vor den Risiken des Finanzmarktes gefehlt. Wie Redaktionen künftig mit kritischem Wissen umgehen, das sich in einer minoritären Lage befindet und vom Mainstream ignoriert oder abgelehnt wird, halten die Autoren der Studie für die wichtigste Lernfrage zur Großen Spekulation.

Widerspruch ist gefragt

Organisation, Ausstattung und Arbeitsabläufe in den Redaktionen müssen auch danach ausgerichtet werden, dass sie kritische Diskussionen, Widerspruch und das Überprüfen des anscheinend Selbstverständlichen alltäglich machen. Untypische Quellen, sperrige Informationen und Gegenargumente sollten eine größere Chance erhalten. Um diese kritischen Perspektiven arbeitsrelevant zu machen, müsste beispielsweise aus dem Anliegen der kontroversen Darstellung ein handwerkliches Prinzip werden. Denn es ist eine der originären Aufgaben des Journalismus, seinem Publikum einen Pluralismus an Sichtweisen auf die Wirklichkeit zu bieten.

Es gibt zahlreiche praktikable Vorschläge, wie dieser neue Umgang in den Redaktions-Alltagen umgesetzt werden könnte:

zu wichtigen Themen den Widerspruch in Redaktionssitzungen “institutionalisieren”;

minoritäres Wissen per se höher gewichten; u. a. bei der Auswahl von Interviewpartnern und Gastautoren;

in Aus- und Weiterbildung muss stärker als bisher darauf geachtet werden, dass dien Fachkenntnisse und das Herstellen von Zusammenhängen gleichermaßen trainiert werden.

Der Wirtschaftsjournalismus muss seinen Blick auf die Akteure, über die er berichtet, grundlegend verändern: Manager und Unternehmer sind natürlich auch Stimmen der Kompetenz. Aber zuerst verstehen sie sich als Vertreter eigener Interessen, als Öffentlichkeitsarbeiter im Dienste der eigenen Sache. Es muss zur Regel werden, die Verflechtung von Interessen und die Verflechtung der Akteure in Interessen kontinuierlich offen zu legen. Insofern geht es auch um ein neues Selbstverständnis eines unabhängigen kritischen Wirtschaftsjournalismus.

Der Journalismus sollte im Grundsatz bedenken, ob er nicht deutlich mehr Ressourcen auf die Arbeit des Erklärens und Analysierens verlagert zu Lasten der Ressourcen für das Ziel der Aktualität.

Das öffentlich-rechtliche System, das materiell und letztlich auch inhaltlich unter erheblich besseren Bedingungen arbeitet als das privatwirtschaftlich organisierte Mediensystem, sollte prüfen, ob es nicht erheblich mehr an Lasten übernehmen kann, kompetente aufklärerische journalistische Arbeit zu übernehmen.

Kontakt und Rückfragen:

Otto Brenner Stiftung, Wilhelm-Leuschner-Straße 79, 60329 Frankfurt am Main
Telefon: 069/6693-2808 , Fax: 069/6693-2786
Die Studie kann bei der Otto Brenner Stiftung elektronisch bestellt werden: www.otto-brenner-stiftung.de

Zu den Autoren:

Hans-Jürgen Arlt
war Redakteur bei den Nürnberger Nachrichten, bevor er Pressesprecher und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des DGB wurde. Er ist heute Kommunikationsberater und Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut in Berlin

Wolfgang Storz
war Chefredakteur von „metall“ und Chefredakteur der Frankfurter Rundschau. Er arbeitet heute als Publizist und Lehrbeauftragter an den Universitäten Kassel und Frankfurt und ist regelmäßiger seemoz-Autor

Foto: ©  Christian Seidel / PIXELIO
www.pixelio.de