DaZ – Kürzel für erfolgreiche Integration

Wichtig nicht nur für Eltern wie Lehrer: Wie gehen wir in unseren Schulen mit Kindern um, die kein Wort Deutsch sprechen? Deutsch als Zweitsprache (DaZ) wird zum beherrschenden Thema in Schulklassen, in denen deutsche Kinder nur noch – und das ist nicht selten – in der Minderzahl sind. Wie lernt ein Flüchtlingskind aus dem Irak zum Beispiel jetzt Deutsch? seemoz sprach mit Ingrid Maurer, die jüngst ein Buch zu dem Thema veröffentlicht hat

Als Lehrbeauftragte am „Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Grund-, Werkreal- und Hauptschule) Meckenbeuren“ bildest Du angehende Lehrerinnen und Lehrer im Fach Deutsch aus. Sind darunter mittlerweile auch Deutschlehrer mit sogenanntem Migrationshintergrund?

Ja, ein paar, und es werden langsam mehr, und das ist sehr gut. Es zeigt, dass zumindest einige Migrantenkinder einen Hochschulabschluss schaffen – immerhin 18%. Zum Vergleich: Bei Personen ohne Migrationshintergrund sind es 27%.

Leider sind die Bildungschancen von Schülern mit Migrationshintergrund aber immer noch deutlich schlechter als von Schülern ohne Migrationshintergrund. Das zeigt sich an den Schulabschlüssen und auch an den Berufs- und Hochschulabschlüssen. Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg erhebt regelmäßig Daten zur Situation der Migranten, das letzte Mal 2011. Damit man verfolgen kann, welchen schulischen und beruflichen Weg sie gehen, wird die Altersgruppe der 30- bis 35-Jährigen untersucht. Bei jungen Menschen ohne Migrationshintergrund war der häufigste Abschluss das Abitur, gefolgt vom mittleren Bildungsabschluss und dem Hauptschulabschluss. 1% konnten keinen Schulabschluss vorweisen. Bei Menschen mit Migrationshintergrund sieht die Reihenfolge anders aus: Der häufigste Bildungsabschluss war der Hauptschulabschluss, gefolgt vom Hochschulabschluss und vom Realschulabschluss. 7 % hatten keinen Schulabschluss. Dass der Hochschulabschluss bei den Migranten und Migrantenkindern es auf Rang 2 der Abschlüsse geschafft hat, ist erfreulich. Das kommt auch daher, dass etliche das Abitur auf beruflichen Schulen und über den 2. Bildungsweg machen. Bedenklich dagegen ist, dass fast ein Drittel der jungen Migranten weder einen Hochschul- noch einen Berufsabschluss hat.

Schulische Bildung Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund
Abitur 48 Prozent 33 Prozent
Realschule 33 Prozent 25 Prozent
Hauptschule 18 Prozent 36 Prozent
kein Abschluss 1 Prozent 7 Prozent
Berufliche Bildung
Hochschule 27 Prozent 18 Prozent
Meister oder Techniker 13 Prozent 7 Prozent
Lehre 51 Prozent 43 Prozent
kein Abschluss 9 Prozent 32 Prozent

Und das hat wesentlich damit zu tun, dass Migrantenkinder nicht genug Deutsch können? 

Ja, und deshalb haben sie es in der Schule und in der Ausbildung meistens schwerer. Die Lernsprache ist Deutsch, und wer Deutsch nicht beherrscht, tut sich nicht nur im Fach Deutsch schwer, sondern auch in Mathematik, in Fächern wie Sachkunde, Biologie, Physik, Chemie, Geschichte usw. Ihnen fehlt der Fachwortschatz. Wenn dann die Eltern nicht helfen können, weil sie nicht gut genug Deutsch sprechen und schreiben, dann werden diese Kinder und Jugendlichen in der Schule schnell abgehängt. Allerdings kommt es auch darauf an, welche Schulabschlüsse die Eltern haben. Eltern mit einer guten Schul- und Berufsausbildung können ihren Kindern besser helfen als sogenannte „bildungsferne“ Eltern. Das ist bei deutschsprachigen Familien aber auch so.

Was müsste in der Schule getan werden, damit es Migrantenkinder mit der deutschen Sprache nicht mehr so schwer haben?

Wir brauchen mehr Zeit, um diese Schüler zu unterstützen, und mehr Lehrkräfte, die sich mit Sprachförderung auskennen. Das würde auch manchen deutschsprachigen Kindern und Jugendlichen helfen. Wir brauchen auch mehr Verständnis für Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache. Da ist es sicher hilfreich, wenn wir Lehrer an unseren Schulen haben, die selbst oder deren Eltern eingewandert sind – das bedeutet ja Migrationshintergrund. Sie können eher nachvollziehen, wie es ist, im Unterricht nicht mitzukommen, weil man Schwierigkeiten mit Deutsch hat. Sie verstehen vielleicht auch besser, wie es ist, fremd zu sein, und sie können eher wertschätzen, wenn jemand mit zwei Sprachen aufwächst.

Du selbst unterrichtest an Deiner Schule in Sipplingen Kinder und Jugendliche, die kein Wort Deutsch gesprochen haben, als sie nach Deutschland kamen – die Titelfotos Deines Buches zeigen Einwanderer und Flüchtlinge aus Afghanistan, dem Irak, Thailand, den Philippinen und Serbien. Die hatten keine Vorkenntnisse, was Grammatik oder Sprachkompetenz anbelangt…

Ja, das stimmt, sie alle konnten kein Wort Deutsch. Das war eine ziemliche Herausforderung für mich und meine Kollegen und vor allem natürlich für die Schüler. Ein großes Problem ist, dass die Alphabete bzw. Schriftzeichen der Muttersprachen dieser Schüler ganz anders sind als das lateinische Alphabet. Das Mädchen aus Serbien hatte es da noch vergleichsweise einfach. Serbisch schreibt man wenigstens von links nach rechts, Farsi und Arabisch dagegen von rechts nach links.

Dann gibt es auch große Unterschiede bei der Lautbildung. Die irakischen Mädchen konnten zum Beispiel kein „ng“ und kein „o“ aussprechen, die thailändischen Mädchen haben große Probleme mit allen hart klingenden Konsonanten und allen Zisch-Lauten. Das Wort „Zitrone“ zum Beispiel ist eine Herausforderung, ebenso Wörter wie „Strumpf“ oder „kratzen“. Das Lernen einer europäischen Sprache ist für Thailänder auch deshalb schwer, weil Thailändisch eine Tonsprache ist, was bedeutet, dass Wörter ganz verschiedene Bedeutungen bekommen, wenn sie in unterschiedlichen Tonhöhen und Tonverläufen ausgesprochen werden.

Auch die Grammatiken der verschiedenen Herkunftssprachen sind zum Teil grundverschieden von der deutschen Grammatik. Thailändisch hat zum Beispiel keine Artikel, keine Konjugation, keine Deklination, also keine Fälle. In der Serbischen/Kroatischen Sprache gibt es dagegen sieben Fälle, die nicht mit Hilfe von Artikeln deutlich gemacht werden, sondern mit Endungen. Im Arabischen findet man nur den Nominativ, Akkusativ, Genitiv, und es gibt keine unbestimmten, sondern nur bestimmte Artikel. Und das sind nur wenige Beispiele…

Kann man von Lehrern verlangen, dass sie über alle Herkunftssprachen Bescheid wissen?

Natürlich nicht. Immerhin haben wir in Baden-Württemberg Schüler aus 30 Ländern. Lehrer sind schließlich keine Linguisten. Aber man kann verlangen, dass Lehrer, die Sprachunterricht geben, sich einen Einblick in die Erstsprache ihrer Schüler verschaffen, damit sie eine Ahnung von den Erschwernissen beim Sprachenlernen bekommen und bei Fehlern wohlwollend reagieren.

Mich als Laien beeindruckt an Deinem 160-Seiten-Buch, dass nicht nur viel Wissenswertes über fremdländische Sprachen und deren Kultur zu finden ist, sondern auch praktische Anleitungen für den Unterricht gegeben werden.

Die Referendarinnen und Referendare, die von den Hochschulen zu uns kommen, bringen meistens wenig Kenntnisse über das Thema „Deutsch als Zweitsprache“ mit, sowohl theoretisch als auch unterrichtspraktisch. Leider! Deshalb brauchen sie sowohl theoretische Grundlagen als auch methodisch-didaktische Anregungen und Konzepte. Immerhin müssen sie nach dem ersten halben Jahr ihrer Ausbildung, in dem sie vor allem hospitieren, 13 Stunden pro Woche eigenverantwortlichen Unterricht halten, und darauf sollten sie gut vorbereitet sein.

Allerdings: Arbeitsblätter sind nicht in dem Buch zu finden, sondern sogenannte Bausteine für den Unterricht mit vielen Ideen und Tipps zu den Bereichen „Das Alphabet lernen“ – „Wortschatz und Wortschatzarbeit“ – „Lernen und üben“ – „Methodisch-didaktische Konzepte“ – „Grammatikunterricht im integrativen Deutschunterricht“ – „Sprachbewusster Unterricht in jedem Fach“ – „Interkulturelles Lernen und Interkulturelle Kompetenz“.

Warum ist das Thema Deutsch als Zweitsprache in der Lehrerausbildung nicht deutlich stärker verankert? 

Das Thema Deutsch als Zweitsprache war über viele Jahrzehnte eher ein Randthema, auch in der Lehrerausbildung, obwohl die ersten Migrantenkinder in den 1970er Jahren an deutsche Schulen kamen. Erst mit den internationalen Schulleistungsstudien PISA 2000 und IGLU wurde in der Öffentlichkeit bekannt, dass die Migrantenkinder in unserem Bildungssystem benachteiligt waren.

Seither gewinnt das Thema Deutsch als Zweitsprache und Integration auch in der Lehrerausbildung an Bedeutung, aber es dauert eben, bis an Hochschulen und in Lehrerbildungsseminaren dieses Thema fest verankert ist. Er gibt zwar Erweiterungsstudiengänge wie „Deutsch als Zweitsprache“ an der PH Weingarten oder „Interkulturelle Bildung und Mehrsprachigkeit“ an der PH Karlsruhe, und die Referendarinnen in meinem Kurs, die das studiert haben, bringen einiges an Wissen mit. Schade ist, dass solche Studiengänge nicht verpflichtend sind und auch keine größeren Einstellungschancen garantieren.

Ist die DaZ-Problematik bei Grund- und Hauptschullehrern überhaupt schon angekommen?

In vielen Schulen ist das Thema tägliche Realität. Eine Kollegin, die in einer Kleinstadt in Oberschwaben unterrichtet, hat in ihrer Grundschulklasse nur zwei Schüler mit deutscher Muttersprache. So etwas erwartet man vielleicht in Friedrichshafen, Singen oder Ravensburg, aber nicht in kleinen, ländlichen Gemeinden. Es gibt zwar noch Schulen mit sehr geringem Anteil an Schülern mit nicht-deutscher Muttersprache, aber insgesamt müssen wir uns mehr damit auseinandersetzen, dass viele unserer Schüler mit zwei Sprachen aufwachsen. Immerhin sind 35% unserer Schüler in Baden-Württemberg Kinder oder Jugendliche aus Zuwandererfamilien.

Und deren einzige Chance, sich schnell in unsere Gesellschaft zu integrieren, ist: Flott und sicher Deutsch lernen?

Richtig. Jeder, der längere Zeit im Ausland gelebt hat, weiß: Ich muss die neue Sprache lernen, um klar zu kommen. DaZ ist deshalb ein Programm für erfolgreiche Integration auch hierzulande. Da aber gibt es noch einiges zu tun.

Letzte Frage: Wie kommen Normalsterbliche, Interessierte an das Buch?

Es ist über das Meckenbeurer Seminar, in dessen Schriftenreihe es erscheinen ist, zu beziehen, über die Autorin natürlich (ingrid.maurer@gmx.de) sowie exklusiv im Buchhandel bei der „Schwarzen Geiss“ in Konstanz.

Autor: hpk