Der gefährliche See

Alpenrhein, Bodensee und Hochrhein sind keine reinen Idyllen: Über Jahrhunderte hinweg traten die Gewässer über die Ufer, überspülten Dörfer und Felder, trennten die Verbindungswege zueinander. Der See verschlang in seinen Stürmen Fischer, Lastensegler und Dampfschiffe. Ab 26. Juni präsentiert das Rosgartenmuseum im Kulturzentrum am Münster dazu eine Ausstellung, die wir gerne schon im weiten Vorfeld ankündigen.

Der ungezähmte „wilde Alpenrhein“ verursachte im Rheintal schwerste Überschwemmungen und führte große Treibholzmengen herbei. In den Tiefen des Sees ruhen havarierte Schiffe, abgestürzte Flugzeuge und namenlose Opfer. In besonders strengen Wintern erstarrte der Bodensee zu Eis: Tausende tummelten sich in tückischer Sicherheit auf der spiegelglatten Fläche. Doch in Zeiten des Klimawandels wird die Seegfrörne – die letzte gab es 1963 – zur historischen Erinnerung.

Durch verbesserte Technik ab dem 19. Jahrhundert wurden die Naturgewalten eingedämmt, der „wilde Alpenrhein“ durch Kanalisation gezähmt. Damit verbundene Industrialisierungsvisionen aber blieben am Bodensee Utopie, das Gewässer wurde bis heute nicht „korrigiert“, die Großschifffahrt blieb Hochrhein und Bodensee erspart.

Die Ausstellung des Rosgartenmuseums ist eine Kooperation mit zahlreichen Archiven, Gemeinden und Museen an Alpenrhein und Bodensee, unter anderem mit dem Turmhofmuseum Steckborn und dem Seemuseum Kreuzlingen. Sie erzählt Geschichten vom gefährlichen See und sie macht die aktuellen Veränderungen anschaulich. Angesichts der teils dramatischen klimatischen Veränderungen auf der ganzen Welt wird diese Ausstellung der Frage nachgehen, wie das Wetter das Leben der Menschen am Bodensee über ein halbes Jahrtausend lang geprägt hat – und wie sich der heutige Umgang mit einem bedeutenden internationalen Naturreservat gestaltet.

Zur Ausstellung wird ein spannendes und reich illustriertes Buch erscheinen:
Tobias Engelsing: Der gefährliche See – Wetterextreme und Unglücksfälle am Bodensee und Alpenrhein, Südverlag Konstanz, ca. 250 Seiten, 24,90 €.

In der Gegenwart erleben wir den Bodensee vor allem als großen blauen Freizeitpark, mit Sportboothäfen, Badeplätzen, der „Weißen Flotte“ von großen Schweizer, deutschen und österreichischen Verkehrsbetrieben, Segelbooten und Surfern. Dass Menschen diesem Gewässer über Jahrhunderte respektvoll begegneten, seine „Zeichen“ deuteten und Gottes Strafe fürchteten, erscheint uns Heutigen fremd.

Doch erleben wir nicht auch eine Wiederkehr des mythischen Denkens? Wie oft haben wir angesichts verheerender Flutkatastrophen, Dürren und Erdbeben den Eindruck, die vom Menschen ausgebeutete und misshandelte Natur setze sich gegen die räuberischen Eingriffe zur Wehr und schlage gewissermaßen zurück?

Eine Geschichte der Extremwetter und der von diesem Gewässer ausgehenden Gefahren und Katastrophen verweist auch auf den oft fragwürdigen Umgang des Menschen mit diesem sensiblen Naturraum, der heute in drei Ländern zusammen rund fünf Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgt. Das Thema gibt also vielfältigen Anlass, über unseren generellen Umgang mit den natürlichen Ressourcen im lokalen und globalen Maßstab nachzudenken.

MM

Bild: Wolff-Seybold – Unwetter im Alpenrheingebiet spülten 1987 Tonnen von Treibholz in den See. Historische Unwetter richteten im Rheintal, am See und am Hochrhein seit Jahrhunderten verheerendere Schäden an.