Der Gott der schlechten Laune

Das Warten hat ein Ende – endlich wieder Theater! Denkt man, doch die erste Premiere der neuen Spielzeit am Konstanzer Stadttheater macht dann genau das zum Thema. Mit „Warten auf Godot“ inszeniert Intendant Christoph Nix einen Klassiker und stellt damit die Frage: Worauf warten wir heute?

Die Handlung von „Warten auf Godot“ ist schnell erzählt: Zwei Männer warten auf einen Herrn namens Godot. Und der kommt nicht. Zwei Stunden und 15 Minuten lang, um genau zu sein. Klingt anstrengend? Gut, Samuel Beckett ist ja nicht gerade bekannt für heitere Komödien – im Gegenteil. Er ist ein Misanthrop mit ausgeprägtem Weltekel, sieht die Dinge lieber schwarz als weiß, er will sein Publikum schockieren. Er ist der Gott der schlechten Laune.

Was macht Theaterintendant Christoph Nix mit diesem absurden Klassiker? Unter seiner Regie lassen Estragon (Peter Posniak) und Wladimir (Andreas Haase) oder Didi und Gogo, wie sie sich auch nennen, ein facettenreiches Paar entstehen. Mal verzweifelt wie am Ende einer langen Ehe (für eine Trennung ist es nun auch schon zu spät), mal plump wie Dick und Doof, dann wieder mutig wie zwei junge Liebende und im nächsten Moment schon wieder am Aufgeben, einziger Ausweg scheint der Suizid.

Das Stück bewegt sich in einer klassischen Ästhetik, die wunderbar zeitlos erscheint (Kostüme Ursula Oexel-Menzel). Auf einer rampenartigen Bühne sind Elemente nach dem Prinzip Punkt-Punkt-Komma-Strich angeordnet und es entsteht tatsächlich am Ende ein Mondgesicht. Die Perfektion von Bühnenbildnerin Marie Labsch zeigt sich einmal wieder in winzigen Details: Zum Beispiel hängt Wladimir zu Beginn des ersten Aktes ein weißer Hemdszipfel aus der schwarzen Hose, dessen Form sich zu Beginn der zweiten Hälfte in einem schwarzen Blatt am weißen Kreidebaum rekapituliert.

Regisseur Nix bringt in diese Welt aus Schwarz und Weiß all sein Können aus der Clownerie ein, die er selbst studierte. Peter Posniak und Andreas Haase bewegen sich in Hommagen an Charlie Chaplin, Karl Valentin (man merkt es im ganzen Stück: Kunst ist schön, aber macht viel Arbeit) und der fabelhaften Welt der Zirkusclowns über die Bühne. Insbesondere Posniak zeigt dabei eine kindische Freude am Spiel und die ihm zugeordneten Schuhe sind keineswegs eine Nummer zu groß. Doch auch die schönste Clownerie vertreibt nicht den düsteren Charakter, die Schwere, die über den beiden Protagonisten hängt und die Ausweglosigkeit, in der sie sich befinden.

Eine Begegnung mit dem skurrilen Duo Pozzo (Odo Jergitsch) und Lucky (Peter Cieslinski),
die leibgewordene Theorie Hegels über Herrschaft und Knechtschaft, bringt keine weitere Erkenntnis, sie verkürzt lediglich die Zeit des Wartens. Auf wen, fragt Estragon immer wieder. Auf Godot, sagt Wladimir. Ach ja!

Wann haben Sie zuletzt gewartet?

Das Warten ist also das zentrale Motiv des Stückes. Und gilt dieses doch als Klassiker, der seit den 1950er Jahren hundertfach inszeniert wurde, so stellt sich heute die Frage, ob das Stück noch zeitgemäß sein kann. Wo sind sie denn heute, die Wartenden, wie es sie früher gab? An Bahnsteigen saßen sie, in Arztpraxen, und in den Hallen der Ämter. Man starrte ins Leere, der Blick schweifte von rechts nach links, von oben nach unten. Man dachte nach. Man langweilte sich. „Unsere Zeit ist so aufregend, dass man die Menschen eigentlich nur noch mit Langeweile schockieren kann“, so sah es Samuel Beckett.

Doch wo ist sie heute, diese Langeweile: „lange Weile“ – im wahren Sinne des Wortes? Es gibt sie nicht mehr. Auf Bahnsteigen starren die Menschen auf ihre Smartphones, in Arztpraxen starren die Menschen auf ihre Smartphones und in den Hallen der Ämter starren die Menschen auf ihre Smartphones. Legen Sie das Ihre mal für einen Moment beiseite und beobachten sie Ihre Umgebung. Finden Sie jemanden, der sich gerade langweilt? Wohl kaum.

Was also kann uns „Warten auf Godot“ noch erzählen, wenn wir das Warten im herkömmlichen Sinne doch gar nicht mehr kennen? Das Stück hält uns dennoch einen Spiegel vor, denn selbst das Smartphone schützt uns nicht vor der Pein der Welt, in der wir leben. Es hält uns nicht davon ab, Kapitalisten zu sein, wie Pozzo, der das Leid seines Dieners bis ins Unerträgliche ausnützt. Denn so bedienen auch wir uns der Macht der Gewohnheit und kaufen unsere Kleider made in China und bestellen munter Dinge auf Amazon, zum Leid anderer. Wir lassen sie für uns die Dinge tragen, wie Lucky, der am Strick seines Herrn hängt und kurz davor ist zu krepieren. Beeindruckend mimt Cieslinski diesen Diener, dem die Schlinge um den Hals gelegt ist und der am Minimum seiner Existenz tanzt und akademische Monologe hält. Auch das wird also deutlich: Der Umgang der „feinen Herren“ mit Kultur und Geisteswissenschaft.

Da helfen keine Achtsamkeits- oder Atemübungen, keine shitstormartigen Beschimpfungstiraden, keine Yogaübungen. Nichts davon täuscht darüber hinweg, dass Tod und Geburt nahe zusammen liegen. Und mit dieser Botschaft entfaltet das Stück in der zweiten Hälfte seinen stärksten Moment, wenn Pozzo einen Monolog über die Sterblichkeit hält, an der er selbst gerade zerbricht.

Wer ist denn jetzt dieser Godot?

Am Ende bleibt immer noch unklar, wer Godot eigentlich ist. Ein Junge im Matrosenlook (Lorenz Leander Haas) verkündet sein Ausbleiben und gibt lediglich Auskunft auf einen weißen Bart und ein paar Schafe. Ein Verweis auf Gott? Den Weihnachtsmann? Gibt es Godot denn überhaupt? Und warum wird auf ihn gewartet? All das bleibt unbeantwortet, nur die Hoffnung, die mit Godot verbunden ist, sie will einfach nicht sterben. Es ist klar, dass von ihm eine erlösende Kraft ausgeht, dass alles anders werden wird, wenn er erscheint, und daher ist der nächste Tag doch noch ein Lichtschimmer am Horizont.

Man ist als Zuschauer also unweigerlich mit der Frage konfrontiert, was der Sinn des Lebens sein mag und wer der Godot im eigenen Leben ist. Worauf hofft man insgeheim, von Tag zu Tag? Und wird das irgendwann erfüllt?

Falls Sie jetzt auch schlechte Laune haben – ja, Beckett ist schon ansteckend – so gibt es im Stück doch auch eine Antwort: „Die Tränen der Welt sind unvergänglich. Für jeden, der anfängt zu weinen, hört ein anderer irgendwo auf. Genauso ist es mit dem Lachen. Sagen wir also nichts Schlechtes von unserer Epoche. Sie ist nicht unglücklicher als die vergangene.“ In diesem Sinne: Die Spielzeit hat mit einem Paukenschlag des Absurden begonnen und bietet in den kommenden Inszenierungen sicherlich auch etwas zum Lachen. Auf ins Theater!

Veronika Fischer (Foto: Theater Konstanz/Ilja Mess)