Der Intendant der Herzen geht

Am Mittwoch stellte Beat Fehlmann, Noch-Intendant der Südwestdeutschen Philharmonie, sein letztes Saisonprogramm sowie seine Nachfolgerin Insa Pijanka vor. Musikalisch bleibt es bis 2019 bei der auch an der Konzertkasse bewährten Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem, und es gibt auch wieder ein Spektakel: Dieses Mal geht es im Lustschloss Konstanz zusammen mit der Geschwister-Scholl-Schule und freiwilligen BürgerInnen um das Thema „Heimat“.

Ludwig van Beethoven hatte ein denkbar inniges Verhältnis zu Napoleon. Nicht, dass die beiden sich gekannt hätten, aber Beethoven war begeistert von Napoleon, so lange der noch General und Konsul der in der Revolution entstandenen Republik Frankreich war. Beethoven brach dann erkennbar mit Napoleon, indem er die Widmung seiner epochalen dritten Sinfonie, der „Eroica“, zurücknahm, als sich Napoleon am 2. Dezember 1804 selbst zum Kaiser krönte und damit endgültig von der hart erkämpften Republik verabschiedete.

Es gibt eine Abschrift der Partitur, in der Beethoven die Widmung derart heftig ausradiert hat, dass man an dieser Stelle mehr Loch als Papier sieht. Bei dieser Gelegenheit soll LvB zornentbrannt gerufen haben, „ist der auch nichts anderes wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher wie alle Anderen stellen!“ – aber dieser Ausbruch dürfte, wie so viele andere Musiker-Anekdoten auch, frei erfunden sein.

Die Revolution mitgedacht

Auch musikalisch war Beethoven stark von der französischen Revolution beeinflusst. Komponisten wie Méhul, Gossec oder Grétry (1) hatten in einem Anfall von „Élan terrible“ der Musik das Revolutionsfieber eingehaucht, und einige dieser Werke waren Beethoven bekannt. Schon 1797 hatte auch Paul Wranitzky, Freund Mozarts, Haydns und Beethovens, seine „Grande symphonie caractéristique pour la paix avec la République française“ komponiert und klargemacht, dass Schluss mit lustig war. Statt der üblichen vier Sätze brachte es Wranitzkys noch immer hörenswertes Werk auf deren zehn, die politische Revolution zog also auch eine Revolution der musikalischen Form nach sich: Zehn Sätze erlauben einfach mehr gegensätzliche Empfindungen als vier. Geschichte wird gemacht, es geht voran!

Die Idee, Beethovens „Eroica“ mit dessen drittem Klavierkonzert sowie Arnold Schönbergs „Ode to Napoleon“ auf einen Text von Byron aus dem Jahr 1942 an einem Abend zu kombinieren, ist also zwingend (2) Natürlich geht es aber Schönberg in seinem Werk nicht um Napoleon, sondern um Hitler, vor dessen Terror er früh fliehen musste. Wie das alles zusammenpasst, lässt sich kurz vor Weihnachten in einem Konzert der Südwestdeutschen Philharmonie erkunden.

Nordischer Wind

Natürlich gibt es zahlreiche Akzente im Programm, die die Handschrift des Dirigenten Ari Rasilainen verraten. Dazu gehören neben einem Werk von Carl Nielsen auch die effektvolle „Sinfonia brevis“ (Kurze Sinfonie) von Erkki Melartin (1875-1937), die im Ersten Weltkrieg entstand. Rasilainen schätzt den hierzulande völlig unbekannten Melartin als einen jener Komponisten, die es in Finnland schafften, im Schatten des Übervaters Sibelius eigenständig zu bleiben. Wenn es gut läuft, kann die Südwestdeutsche Philharmonie dieses Werk nach den Konzerten im Januar 2019 für das rührige Osnabrücker Label cpo einspielen.

Die zweite Wiener Schule ist in dieser Saison nicht nur mit Schönberg, sondern auch mit Alban Bergs populärem Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ sowie Weberns spätromantischem Idyll „Im Sommerwind“ von 1904 vertreten (das Entstehungsjahr 1924, das die Südwestdeutsche Philharmonie angibt, ist hörbar falsch). Letzteres lässt den musikalischen Revolutionär noch nicht annähernd erahnen und ist bestens als Filmmusik zu „Lassie“ geeignet. Weberns „Sommerwind“-Gekuschel statt dessen gewichtiger opera 6, 21 oder 30 aufs Programm zu setzen, zeugt von einem gewissen Misstrauen dem Konstanzer Publikum gegenüber.

Viel Vertrauen beweist hingegen die Zusammenarbeit mit der Geschwister-Scholl-Schule zum Thema „Heimat“. Was dabei entstehen wird, ist noch nicht klar, denn das Vorhaben soll, wie die Verantwortliche Corinna Bruggaier erläuterte, nicht vom Ergebnis her gedacht werden, sondern in einem langwierigen Prozess etwas komplett Neues entstehen lassen. Schulleiter Thomas Adam erinnerte daran, dass das Thema „Heimat“ viele Aspekte habe. An seiner Schule gebe es auch viele Schüler aus anderen Ländern, die als Flüchtlinge ihre Heimat früh verloren hätten. Aufführungen finden am 4. und 5. Juli 2019 im Lustschloss in Konstanz statt.

Das Universum zu Gast

Ein Sonderkonzert im Mai 2019 dürfte Furore machen: Für Gustav Holsts astrologische Orchestersuite „Die Planeten“ tut sich die Südwestdeutsche Philharmonie mit Studierenden des Vorarlberger Landeskonservatoriums für zwei Abende im Radolfzeller Milchwerk und in Feldkirch zusammen, um eine ausreichend große Besetzung hinzubekommen. Erfreulich ist außerdem, dass es in der neuen Saison mit „La Mort de Cléopâtre“ auch einmal etwas vom immer wieder erstaunlichen Meister der Düsternis Hector Berlioz (1803-1869) zu hören gibt.

Ari Rasilainen berichtete bei der Pressekonferenz auch, in welcher Richtung er mit dem Orchester arbeitet. Im akustisch begrenzten Konzil wird es schnell zu laut und „ungesund fürs Ohr“, deshalb legt er großen Wert darauf, dass das Orchester sehr leise spielen kann (was in der Tat nicht einfach ist), so dass der nötige dynamische Abstand zwischen Pianissimo und Fortissimo gewahrt bleibt, ohne in den Spitzen die Akustik zu überreizen. Außerdem setzt er auf ein transparentes Klangbild und arbeitet dafür auch mit Streichern und Bläsern separat. Sein erklärtes Vorbild bei der Probenarbeit ist der Fußballtrainer Jürgen Klopp, der es beim FC Liverpool geschafft hat, aus starken Einzelspielern ein erfolgreiches Team zu formen. Weiter so! Vielleicht tritt dann ja demnächst sogar Lionel Messi im Konzil zu Konstanz an. Für das Solo in einem Konzert für raschelnde Steuererklärung und Orchester langt’s bei ihm musikalisch auf jeden Fall.

Harald Borges (das Foto von Insa Pijanka machte Johannes Raab)

Internet: https://www.philharmonie-konstanz.de/
Eintrittskarten: https://philharmoniekonstanz.showare.ch/Events.aspx?msg=0&ret=1
Vorverkaufstellen: https://www.philharmonie-konstanz.de/karten-und-service/vorverkaufsstellen.html

Anmerkungen:
(1) Erhellend schreibt über Beethoven und die Musik der französischen Revolution: Jost Hermand, Louis Bonaparte oder Ludwig van Beethoven, in: ders., Beethoven, Werk und Wirkung, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 65-84.
(2) Mehr darüber beim Arnold Schönberg Center in Wien: http://www.schoenberg.at/index.php/de/joomla-license-sp-1943310035/ode-to-napoleon-op-41-1942