Deutsche Tristesse mit Schwung aus Afrika
In der Spiegelhalle des Konstanzer Theaters war am Samstag Premiere von „Angst essen Seele auf“ nach dem Drehbuch von Rainer Werner Fassbinder, dessen Film vor Jahren für Aufsehen sorgte. Regisseurin Johanna Schall gelingt mit ihrer Adaption ein wahres Kunstwerk: Sie bringt Humor in die zutiefst melancholische Vorlage. Geht das? Und wie!
Der Film „Angst essen Seele auf“ verhalf Rainer Werner Fassbinder 1974 mit einer Auszeichnung in Cannes zum Durchbruch. Wer den Film kennt, der weiss, dass dieser durch zwei Dinge besticht: Schlichtheit und eine elendige Traurigkeit. Schlicht sind die Mittel der Darstellung. Es gibt keine langen, komplizierten Dialoge, sondern einfache Sätze, einfache Handlungen, langsam dargestellt. Keine Action, keine Spannung, kein Geschrei. Es ist die Ruhe des Films, die lähmt und den Zuschauer hineinzieht.
Traurig sind die Figuren, jede auf ihre Art. Sei es Emmi, die Putzfrau, verwitwet, drei Kinder, alleine. Sei es ihre Nachbarin, die im Treppenhaus sitzt und jede Bewegung dort kontrolliert, als gäbe es nichts anderes in ihrem Leben, womit sie sich beschäftigen könnte, nicht mehr als den Dreck anderer Leute. Oder Emmis Tochter, die sich in einer unschlagbar beschissenen Beziehung befindet, was immerhin nicht hinunter geschluckt, sondern offen zwischen den zwei Ehepartnern kommuniziert wird: „Bring mir ein Bier, sonst fängst du dir eine.“ – „Soviel Aktivität bringst du doch gar nicht mehr auf.“ Der bürgerliche Kleinmut wird komplettiert von der jungen Kellnerin, die einsam hinter ihrer Bar thront, ständig wartend, nie erlöst. Sie alle sind Teil einer Gesellschaft, Familie, Nachbarn, Arbeitskollegen.
Traurigkeit trifft Einsamkeit
Dem wird die Isolation in Form der Exotik der Gastarbeiter gegenübergestellt, wieder mit einer neuen Form des Leides, nämlich der Einsamkeit, dem Außenseitertum, als Opfer von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Emmi verliebt sich in den jungen Ausländer, und als sei das nicht schon genug, heiratet sie ihn. Damit widersetzt sie sich allen Gesetzen und Sitten ihres Umfeldes und gerät in ein Wechselbad von Glück und Traurigkeit. Soviel zum Film. Was macht nun Johanna Schall damit?
Sie verwendet das Drehbuch nahezu im Original. Einzig die Ortsangabe wird nach Konstanz transferiert und Ali, Fassbinders Gastarbeiter aus Marokko, wird zu Mphundu, einem jungen Mann aus Malawi. Zeitlich ist das Stück nicht ganz klar einzuordnen – Emmis Vater war in der NSDAP, die Währung ist aber der Euro und auch Handys sind im Einsatz – es ist also eine Mixtur aus damals und heute. Hoch anzurechnen ist es der Regisseurin, dass sie die Schlichtheit nicht nur beibehält, sondern sogar noch überzeichnet: Das Bühnenbild von Horst Vogelgesang adaptiert zwar den Charme der Sechziger Jahre, verzichtet aber auf alles, was nicht gebraucht wird.
Und das ist in diesem Stück viel, denn die Schauspieler machen jegliche Gegenständlichkeit durch ihre umwerfende Spielweise überflüssig. Ein zweites Kompliment geht an die Kostüme von Jenny Schall, die man nicht zählen kann, es sind schlicht zu viele, und ein jedes davon sitzt treffend. Laura Lippmann zeigt das am deutlichsten, wenn sie nicht nur Kleider, sondern auch ihre Figur wechselt. Ihr gelingt es, zwei vollständig voneinander getrennte Frauenfiguren zu interpretieren. Unglaublich, dass hinter beiden die gleiche Schauspielerin steckt.
Es geht auch lustig
„Angst essen Seele auf“ hat im Theater Konstanz einen zusätzlichen Aspekt bekommen, der in Fassbinders Film nicht zu finden ist: Das Stück, das in der Spiegelhalle zu sehen ist, zeichnet sich durch einen wunderbaren Humor aus, der dazu führt, dass man mehrfach laut lachen muss, da kommt man nicht umhin. Dies gelingt mit einem der einfachsten Mitteln: Männern in Frauenkleidern. Klingt platt, werden wir in den kommenden Wochen an jeder Ecke sehen, aber in diesem Fall ist jede Darstellung für sich ein Schauspiel, das wirklich gekonnt ist. Sei es der Hexensprung von Ingo Biermann, die Eleganz in Stöckelschuhen von Patrick Nellessen, der Hüftschwung von Ferah Kocausta oder einfach der Anblick von Ralf Beckord im Faltenrock – eine jede dieser Damen für sich ein Ereignis.
Apropos Ereignis: Mphundu Brian Mjumira. Der Schauspieler aus Malawi bringt nicht nur mit seiner afrikanischen Lebensfreude eine Bereicherung für das gesamte Stück auf die Bühne, nein, es sind seine Güte und seine Dankbarkeit, die wahrlich beeindrucken. Sie stehen all dem bösartigen und gehässigen Geschwätz gegenüber. Zusammen mit Bettina Riebesel, die der Vorlage von Fassbinders Brigitte Mira in nichts nachsteht, macht Mphundu deutlich, wie man menschlich durch die Welt zu gehen hat: Nicht laut, nicht schnatternd, nicht mit Affengeschrei, sondern mit Würde, in aller Stille. Und das macht dieses Duo über alle Feindseligkeiten erhaben. Ein Stück zum Lachen und eine Vorlage von Fassbinder mit dieser Thematik – das passt doch vorne und hinten nicht, mag man nun meinen.
Und das ist es vielleicht auch, was Mphundu am Ende auf seiner Sprache dem Zuschauer entgegen brüllt. Es ist nicht witzig. Es ist ein Leid, das keiner von uns je verstehen wird und wir lachen darüber, an einem Abend im Theater, an dem wir köstlich unterhalten werden. Erst jetzt begreift der Zuschauer, was er den ganzen Abend über getan hat. Man hat sich amüsiert und zwar wirklich gut, das aber auf Kosten anderer.
Vielen Dank für diese eindrückliche Vorführung, Mphundu. Vielen Dank für dieses wichtige Stück, das in unserer jetzigen Zeit so dringend gebraucht wird und nicht mit harscher Kritik arbeitet, auch nicht mit Spott und Hohn. Sondern mit einem Mittel, dessen wir alle gerade bedürfen: der Herzenswärme.
Veronika Fischer (Foto: Theater Konstanz/Illja Mess)