Die eigene Welt der Reichen, vom Gebärsaal zum Alterssitz
Wie leben die Reichen in der Schweiz? Wo bewegen sie sich? Gibt es Reichenghettos? Der Basler Soziologieprofessor Ueli Mäder und seine MitarbeiterInnen Ganga Jey Aratnam und Sarah Schilliger haben sich mit den «Superreichen» beschäftigt, Personen also mit über 100 Millionen Franken Vermögen. Sie zeigen, wie Reiche denken, wie sie sich selber und die sozialen Gegensätze wahrnehmen – seemoz veröffentlicht Textpassagen des vor wenigen Tagen erschienenen Buches.
In der Schweiz boomen exklusive Angebote, die sich ausschließlich an Menschen richten, die sehr zahlungskräftig sind, was zur Entstehung von eigentlichen parastaatlichen Privatreichen führt. Der amerikanische Journalist Robert Frank spricht gar von «Richistan», einem eigenen virtuellen Land, das von den reichsten Amerikanerinnen und Amerikanern bewohnt wird.
Auch wenn Reichtum in der Schweiz zweifellos diskreter ist als in den USA: Auch hierzulande leben viele Reiche in einer Parallelwelt. Einer privatisierten Welt mit eigenem Gesundheitswesen (Privatkliniken), eigenem Verkehrssystem (z.B. Swiss Jet, eine Fluggesellschaft mit Sitz in Samedan), eigenen Schulen (zahlreiche private Elite-Internate) und eigenen Banken (Familiy Offices). Wer bezahlen kann und zum «Klub der Auserwählten» gehört, kann teilnehmen und von den Serviceleistungen profitieren, die anderen sind ausgeschlossen.
Die Sonderbehandlung beginnt schon in den ersten Sekunden des Lebens: Zwar kommen alle Kinder nackt zur Welt. Aber nicht alle Kinder erblicken das erste Licht der Welt in einer Gebärsaal-Suite der Zürcher Privatklinik Hirslanden, wo für einen «stilvollen Start ins Leben» gesorgt ist («NZZ am Sonntag»). Seeblick, Gourmetküche, Hi-Fi-Anlage und Designermöbel zeichnen die Suiten aus, im eigentlichen Gebärzimmer steht ein Designer-Gebärstuhl mit Massagefunktion und indirekter Bodenbeleuchtung, und die Scheren, Zangen, Saugglocken und Putztücher sind diskret in der Wand verborgen – möglichst wenig soll man von der Medizin sehen.
Stilvoller Start ins Leben
Ein paar Monate später besuchen die Kinder dann vielleicht die neu gegründete Krippe Globegarden beim Paradeplatz im Zürcher Bankenviertel – eine «Kindertagesstätte für künftige Manager» («Tages-Anzeiger»). Geboten wird ein flexibles Betreuungsangebot von 7 bis 21 Uhr an fast 365 Tagen im Jahr. Wichtig ist die Zweisprachigkeit (deutsch und englisch) und die Frühförderung in Kunst und Musik. Die Pädagogik richtet sich nach einem internationalen Curriculum, das schon für das Alter von drei Jahren Stundenpläne vorsieht.
Den Windeln entwachsen, besuchen die Kinder reicher Eltern eine International School, die es in immer mehr Schweizer Städten gibt, bevor sie in das Elite-Internat in Zuoz eintreten, wo Bildung und Benehmen weiteren Schliff bekommen.
Wenn sie das Schutzalter überschritten haben, tanzen sie am Wochenende dann vielleicht im Memberbereich des Clubs Indochine (Bedingung:1500 Franken Mitgliederbeitrag pro Jahr plus Empfehlung durch Clubchefin). An der Uni teilen sie den Hörsaal zwar auch mit Studierenden mittelständischer Herkunft und mit Vereinzelten aus dem Arbeitermilieu, es sei denn, sie studieren an einer ausländischen Elite-Universität. Entscheidender sind aber die verschiedenen sozial exklusiven Orte und Netzwerke (Clubs, Wohltätigkeitsbälle, Kunstausstellungen), in denen sie sich in selbstverständlicher Weise bewegen und wo sie vielleicht auch auf den Traumpartner treffen, meist einem ähnlichen Milieu entstammend.
Die gemeinsamen Ferien verbringen sie auf der Familien-Jacht im Mittelmeer, in einem exklusiven Golf-Resort in Spanien oder in einer der Nobeldestinationen in den Alpen (St. Moritz, Verbier, Gstaad, Klosters) – vielleicht bald in einem privatisierten Skigebiet, bei dem die Benutzung der Skipisten an eine Clubmitgliedschaft gebunden ist, damit man auf privaten, leeren Skipisten rumcarven kann. Auf dem Weg in die Ferien nach Übersee schätzen sie vor dem Abflug die Annehmlichkeiten der First-Class-Lounge der Swiss und genießen dann den Flug in der «Suite über den Wolken» – wie Swiss die neue First Class nennt, die Privatjet-Besitzer zum Umsteigen auf den «öffentlichen» Flugverkehr bewegen soll.
Check-up für 6240 Franken
Sollten sie einmal gesundheitliche Probleme haben, stehen erstklassige Privatkliniken zu ihren Diensten, die wie Fünf-Sterne-Hotels ausgestattet sind. Die Zürcher Klinik am See ist spezialisiert auf Schönheitschirurgie, das Bethesda in Basel, die Clinique de Genolier bei Nyon, die Privatklinik Bethanien in Zürich bieten eine breite Palette an Behandlungen an, die Privatklinik Wyss in Münchenbuchsee, die Privatklinik Meiringen und die Privatklinik Hohenegg in Meilen helfen insbesondere bei psychischen Krankheiten. In der neu gegründeten Privatpraxis Double Check, in der zahlreiche Chefärzte des Zürcher Unispitals einem lukrativen Nebenjob nachgehen, erhält man für 6240 Franken einen grösseren Check-up – von der Blutanalyse bis zur Computertomografie. Die Praxis ist mit der besten Technik ausgestattet, die sich das öffentliche Unispital nicht leisten kann.
Wer mal pflegebedürftig wird, lässt sich in einer luxuriösen Pflegeresidenz umsorgen – die Tertianum-Gruppe beispielsweise bietet inzwischen auch im Premium-Segment Rundumpflege an. Solange dies möglich ist, bleiben die reichen Seniorinnen und Senioren jedoch lieber in ihrer Villa und lassen sich von einem abgestimmten Team aus Pflegern, Ärzten, Therapeutinnen und Haushaltshilfen betreuen. Tertianum bietet auch ambulante Pflege an – auf Wunsch kommen ein exklusives Mittagessen, der Gärtner oder ein Reisebegleiter nach Hause.
Von speziellen Friedhöfen und Bestattungsdiensten für Reiche haben wir noch nie gehört. «Im Himmel obe sy mer mynetwäge alli glych», pflegte die aristokratische Bernerin Madame de Meuron zu sagen, «aber hie unde wei mer einschtwyle no Ornig ha!»
Wie sich die Reichen auch räumlich abschotten
Es scheint, dass sich der Reichtum in der Schweiz im Gegensatz zu anderen Ländern nicht hinter allzu hohen Mauern verschanzen will und wegen der geringen Kriminalität und der großen Diskretion wahrscheinlich auch nicht muss. Trotzdem kann man gerade in letzter Zeit Tendenzen feststellen, dass sich die Wohlhabenden zunehmend sozialräumlich ausgrenzen, also eigene private Räume für sich beanspruchen.
Sicherheitsbedenken stehen dabei weniger im Vordergrund als die Vorstellung eines Lebens in „idealer Gemeinschaft“: Ordnung, die Kultivierung eines ausgewählten Lifestyles in einer homogenen Gemeinschaft von Menschen mit ähnlich gehobenem Lebensstil sowie Ruhe und schöne Natur sind meist wichtiger als Videoüberwachung und Sicherheitsdienste. „Gemeinschaft“ kann dabei Verschiedenes bedeuten: das Bewohnen eines gemeinsamen Territoriums, die gemeinsame Errichtung und Nutzung einer exklusiven Infrastruktur (z.B. Golfplatz), die Bekennung zu gemeinsamen Werten, Identitäten oder Lebensstilen.
Edward J. Blakely und Mary Gail Snyder, die 1997 mit «Fortress America» eine der einflussreichsten Monografien zum Thema vorgelegt haben – unterscheiden drei Typen von abgeschotteten Communities: Safety Zone Communities, Lifestyle Communities und Prestige Communities.
Das „Viehgatter“ von Davos
Safety Zone Communities verfolgen die Zielsetzung, ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen, das aus einer realen oder gefühlten Bedrohung durch Kriminalität oder Terrorismus resultiert. Innen und Außen sind klar getrennt mit einer physischen Abschottung durch Mauern, Zäune, Alarmanlagen, privates Sicherheitspersonal und Überwachungskameras. Als Beispiel einer Safety Zone Community könnte man für die Schweiz das World Economic Forum (WEF) in Davos nennen. Alljährlich Ende Januar wird Davos zu einer klar definierten Sperrzone, die von Tausenden von Soldaten und Hunderten von Scharfschützen und Elitepolizisten bewacht wird, damit sich die Staats- und Konzernchefs ungestört und in luxuriöser Umgebung treffen können. Wer mit dem Zug ins abgesperrte Alpental reist, muss in Fideris ein „Viehgatter“ durchlaufen, damit potenziellen Störenfrieden und Demonstranten der Weg nach Davos abgeschnitten werden kann. Die „hohen Gäste“ kommen meist per Helikopter ins Tal geflogen.
Lifestyle Communities sind Wohn- und Freizeitanlagen, in denen sich Menschen treffen, die ähnlich gelagerte Interessen haben und die gleichen Freizeitaktivitäten in einem separierten und geschützten Raum pflegen. Oft sind Lifestyle Communities als Clubs organisiert und tendieren zu hohen Mitgliedsbeiträgen und restriktiven Aufnahmebestimmungen. Ein Beispiel ist die Luxusalpenoase in Andermatt. Auch exklusive Golfklubs wie der Golf & Country Club Zürich bilden eine Art Lifestyle Community.
Bei Prestige Communities geht es primär darum, unter seinesgleichen zu leben und den Reichtum geschützt zur Schau zu stellen. Der Statusaspekt, das Prestige und die Distinktion sind wichtig dabei. Als Beispiele gelten das Villenviertel am Suvretta-Hügel in St. Moritz, Edelchalets am Oberbort in Gstaad oder auch das Villenviertel in Küsnacht im Kanton Zürich.
Ueli Mäder, Ganga Jey Aratnam, Sarah Schilliger: «Wie Reiche denken und lenken – Reichtum in der Schweiz: Geschichte, Fakten, Gespräche». Rotpunktverlag. Zürich 2010. 448 Seiten. 38 Fr.
Autoren: Ueli Mäder , Sarah Schilliger, Ganga Jey Aratnam/WOZ