Die Emanzipation des jungen Autors

Jeremias Heppeler ist Multi-Media-Artist. Er arbeitet als Autor, Journalist, Musiker, Filmemacher, und bildender Künstler. Seine Produkte vertreibt er selbst, ohne Verlage, Produktionsfirmen oder Galerien. Mit Veronika Fischer, die ähnlich arbeitet, spricht er über diesen Ermächtigungsprozess.

Veronika Fischer: Jeremias! Wir gehen in den elften Pandemiemonat. Hinter uns liegt jetzt also schon fast ein ganzes Jahr im Ausnahmezustand. Die Welt steht Kopf, die Große-Pause-Taste ist gedrückt. „Physical distancing“ ist das neue Motto – ein Totschlagargument für die Kultur. Hier herrscht #AlarmstufeRot. Wenn man dir aber so auf Social Media folgt, gewinnt man einen anderen Eindruck: für dich war das Jahr krass produktiv. Du hast einen Kinofilm in Buenos Aires gedreht, eine Punkband gegründet, ein Kultur-Magazin veröffentlicht, Musikvideos gedreht, zwei limitierte Kunsteditionen erstellt, ein Hörbuch produziert und dann auch noch als gebundene Ausgabe veröffentlicht – dein erster Roman. Du machst also deinem Genre als Multi-Media-Artist alle Ehre. Das ist aber nur die Außenperspektive. Wie war das letzte Jahr für dich?

Jeremias Heppeler: Oh, das ist ein ordentliches Frage-Monster zum Einstieg. Ich kann das Corona-Jahr für mich rückwirkend nur ambivalent und von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachten – und ich kann da auch nur sehr subjektiv und für mich alleine sprechen. Mein künstlerischer Entwurf zeichnet sich, glaube ich, durch zwei Faktoren aus: Vermischung und Intermedialität einerseits und so eine schiere Lust am „Machen“ auf der anderen Seite. Und das ist in einem Pandemie-Jahr ein sehr großer Vorteil, weil ich sehr schnell reagieren kann und selten lange im Voraus plane – und mich zudem vor allem auch in digitalen Räumen bewege. Ich habe also viele analoge Veranstaltungen wie Lesungen, Ausstellungen und Konzerte, die dieses Jahr stattgefunden hätten, einfach ins Digitale verschoben. Oder in ein anderes Medium. Solche Spannungen und Anspannungen finde ich retrospektiv interessant, im fälligen Erleben aber auch oft schmerzhaft. Auch weil man parallel dazu den Schmerz anderer KünstlerInnen und Kulturschaffender sieht, die eben anders arbeiten. Da gibt es kein Richtig und kein Falsch. Ganz konkret habe ich mich dieses Jahr verstärkt dem Schreiben gewidmet, das ist ohnehin das Medium, in dem ich mich am sichersten bewege und wurde dann auch irgendwie zum Durchatmen und zum Zeitnehmen gezwungen. Und ich habe dann gemerkt, dass auch die Entschleunigung ihren Reiz und ihre Vorteile hat, man muss sich nicht immer an den Rand des Scheiterns manövrieren.

Veronika Fischer: Du musstest ja den Auftritt bei den Baden Württembergischen Literaturtagen absagen, wo du mit anderen Autoren hättest lesen können. Das war vermutlich eines dieser schmerzhaften Erlebnisse?

Jeremias Heppeler: Ja, das war aus verschiedenen Gründen die bitterste Geschichte. Wir waren mit der Lesebühne BarJederVernunft gebucht, in einem Kino, super Location, viele Voranmeldungen. Am selben Wochenende hätten wir mit unserem Film beziehungsweise unserer Punkband „Dieter Meiers Rinderfarm“ auf dem Independent Days Filmfest live gespielt – das hat dann nur online stattgefunden. Das sind so Sachen, auf die man lange hinarbeitet, für die man viel investiert. Und den ganzen Sommer über waren diese beiden Termine so ein wenig das schummrige Licht am Horizont, weil sich alle irgendwie einig waren, dass Corona im Herbst vorbei wäre – aus der heutigen Sicht ist das selbstverständlich vollkommen absurd. Am Ende haben wir die Lesung selbst abgesagt, weil wir es im Angesicht der Umstände für die verantwortungsvollste Lösung gehalten haben – rückwirkend ist diese Entscheidung ja auch sehr gut gealtert. Aber der Prozess dahin war eklig, auch weil die Veranstalter, die ein Jahr auf diese Termine hingearbeitet haben, das Ganze gerne durchgeführt hätten. Da ist mir dann erstmals klar geworden, wie komplex die Auswirkungen auf die Kulturszene sind. Wie viel da dranhängt. Geld, klar, immer. Leider. Aber auch Emotionen. Arbeit. Zeit. Ängste. Ganze Leben eben.

Veronika Fischer: Und es geht bei solchen Veranstaltungen ja auch um neue Kontakte. Das geht online nicht so easy, wie bei ’nem Absacket zusammen an der Bar. Ich meine, ihr hättet die gleiche Bühne wie Saša Stanišić bespielt! Du hattest ja dann aber einen Beitrag von ihm in deinem Buchprojekt. Wie kam’s dazu? Doch online!?

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Jeremias Heppeler: Ich hab den Saša Stanišić einfach angeschrieben auf Instagram, als ich diese Tweets von ihm gesehen haben, die für mich irgendwie perfekt in „das insektarium“ gepasst hätten. Und irgendwie ist das schon speziell und aufregend, dass das möglich ist. Und da erkennt man auch die Utopie, die soziale Medien eröffnen. Das genieße ich. Ich hab für das Buch extrem viel auf Instagram gescoutet und recherchiert, Leute angeschrieben, von überall her. Immer auf Augenhöhe, deshalb sind jetzt KünstlerInnen von Chile bis Neuseeland mit in diesem Buch.

Veronika Fischer: „das insektarium“ ist ja der zweite Teil deiner Buchpublikation. Im ersten Teil hast du dein Hörspiel „darunter“ veröffentlicht, deinen ersten Roman also. Du hast das Buch im Eigenverlag herausgebracht. Andere AutorInnen warten jahrelang auf Zusagen von Verlagen oder LiteraturagentInnen. Warum hast du dich hier für einen anderen Weg entschieden?

Jeremias Heppeler: Dazu haben verschiedene Stränge geführt. Erstens: Ich arbeite seit vier Jahren an einem Romanentwurf. Ich hab Gelder beantragt, Ausschnitte eingeschickt. Vier Jahre. So viele Hürden. So viele Mauern. Soviel tote Zeit. Ich weiß ja nicht einmal mehr, wer ich selbst vor vier Jahren war – wie soll ich mit so einem Text umgehen? Zweitens: Durch eine Förderung durch das Kulturamt Konstanz konnte ich mein Hörbuch „darunter“ veröffentlichen. Und das war ein sehr erfüllender, sehr direkter Prozess. Woche für Woche ein Kapitel, direktes Feedback, ständig neuer Druck. Und am Ende stand dieser rohe, aber fertige Text. Und dann drittens: Eine Förderung durch den Landkreis Konstanz hätte „darunter live“ realisieren sollen, doch auch das Vorhaben hat Corona einfach verschluckt – also brauchte es eine Alternative, und da habe ich die drei Stränge verknotet. Literatur, zumindest in Buchform, ist schon ein zähes Medium, da knirscht es bei jedem Schritt. Anderseits ist im Sektor der Selbst-Releases ganz viel Trash und Schund dabei. Ich frage mich da: Wo ist die Zwischenwelt? Was können wir von der gegenwärtigen Musikszene, von Rap und Trap lernen? Wie kann man ungefilterte Direktheit mit wertiger und ungewöhnlicher Literatur verknüpfen? Das finde ich extrem spannend.

Veronika Fischer: Wieso findest du Literatur in Buchform zäh? Ich bin voll der Papierfan, weiß bei jedem guten Satz, wo er im Buch steht und kann mich sehr für die Haptik von Büchern begeistern. Das kann doch ein digitales Format nie ersetzen, oder?

Im Gespräch: Jeremias Heppeler und Veronika Fischer.

Jeremias Heppeler: Ah halt, das habe ich unklar formuliert. Das Buch als analoges Medium, als Bild- und Textträger finde ich immer noch faszinierend. Während ich alles andere weggeräumt habe (CDs, DVDs, Games) und nur noch digital besitze, sind mir meine Bücher heilig. Aber bis es dahin kommt, dass ein Buch als Text erscheint, das ist so ein langwieriger Prozess, dass er für viele KünstlerInnen einfach nicht tragbar ist. Die Welt drumherum ist so schnell, Texte entstehen, Texte zerfallen. Und dann muss ich da dazwischen einen Verlag finden? Wochenlang redigieren? Setzen? Horror! Andererseits habe ich ja auch genau das jetzt gemacht und irgendwie war das auch faszinierend, also diese Stufen zu durchlaufen und auf eigenen Faust zu stemmen. Ein entscheidender Antrieb war da auch die Haptik, die so ein Buch mit sich bringt. Ich war von klein auf total fasziniert von kleinen Formaten. Und von Kleinstformaten. Ich habe Bücher von meinem Vater rumgeschleppt, einfach um sie zu haben. In der Tasche. Darum hat „darunter“ auch dieses merkwürdige Format.

Veronika Fischer: Ja, ich kenne das. Meine Bücher und Publikationen habe ich auch zum Teil im Eigenverlag herausgebracht. Zu den langen Warte- und Bearbeitungszeiten kommen ja auch noch die Absagen, die man kassiert. Oder eben noch nicht mal das: „Bitte kontaktieren Sie uns nicht mehr und werten Sie unser Schweigen nach mehr als drei bis sechs Monaten als eine Absage“ – das ist ja so eine Standartantwort von Verlagen. Und das macht ja was mit dir. Wenn du schreibst, dein ganzes Herzblut und all deine Zeit in so ein Projekt steckst und dann kommt so eine Rückmeldung … Das war für mich nicht aushaltbar. Im Selbstverlag muss man dafür dann alles selber machen und auch die Kosten übernehmen. Wie hast du das gemacht? So ein Druck ist ja nicht gerade eine kleine Summe …

Jeremias Heppeler: Genau, das muss man aushalten können. Auch dieses ständige „aus der Hand geben“, die Deutungsvollmacht über das eigene Werk, das dann (oftmals random) für genügend oder ungenügend empfunden wird. Das ist massiver psychischer Druck und es ist als Künstler glaube ich wirklich ein Skill, mit dem Scheitern fertig zu werden. Bei mir schlägt das dann immer in Wut um und die Wut in den Antrieb, es jetzt erst recht zu beweisen. Aber auf Dauer ist das nicht gesund. Ich finde, wir sollten den Eigenverlag ein wenig aus der Hobby-Autoren-Sphäre befreien und viel eher als Punk und als Selbstermächtigung verstehen. Als Freiheit. Freiheit, die uns vor allem das Internet geschenkt hat, das darf man nicht vergessen. Aber speziell, wenn man wirklich mit Druckerzeugnissen arbeitet, dann ist es auch immer ein finanzieller Risikofaktor, ganz klar. Bei mir hat das nur geklappt, weil ich eben die Förderung des Landkreis komplett auf den Druck geworfen habe.

Veronika Fischer: Ja, das ist natürlich eine wahnsinnige Emanzipation, wenn man sich unabhängig macht von so vielen Faktoren. Wie stellst du dir das konkret vor, dass KünstlerInnen sich selbst produzieren, ohne als Hobbykreative wahrgenommen zu werden? Davon zu leben ist ja quasi utopisch, allerdings auch im Bereich der verlegten Autoren. Peter Stamm hat mir mal bei einem Interview gesagt, dass er quasi jeden Tag auf einer Lesung ist, um über die Runden zu kommen, weil er vom Buchverkauf allein nicht leben könnte und der hat ja mehrere Bestseller verfasst. Fällt dir irgendeine Alternative ein, wie man professionell und trotzdem unabhängig von diesem ganzen Vermittlungsbusiness arbeiten könnte?

Jeremias Heppeler: Also erstmal muss zwingend die Qualität stimmen. Und damit meine ich nicht unbedingt handwerklich, die Zeiten sind meiner Meinung nach vorbei. Aber es muss irgendwie zucken, da muss irgendwas da sein, es muss so eine Reibung entstehen. Und klar, es braucht dringend professionelle Herangehensweisen und Umsetzungen. Wenn du selbst ein Buch veröffentlichst, dann muss glaube ich dein Anspruch sein, dass es so aussieht, als hätte es ein Verlag auf den Weg gebracht, aber eben auch so, dass es ein Verlag niemals durchwinken würde. Übrigens soll das kein blindes Verlagsbashing werden, im Gegenteil. Es gibt ganz grandiose Verlage, die Dinge leisten, die du als Autor alleine nie erreichen kannst. Und das ist auch gut so. Aber wir reden ja von Alternativen. Und vielleicht auch von Utopien, wie du schon sagst. Und finanziell ist es natürlich ein schmaler Grat, ich glaube, es ist unglaublich schwierig, sein Geld mit nur einer Sache zu verdienen. Vielleicht muss man sich als eine Art Mini-Firma verstehen, die auch Cross-Finanzierungen ermöglicht. Ich arbeite eineinhalb Tage als Kunstlehrer, dazu als freier Journalist und mach ab und an eben auch Auftragsarbeiten im Text- und Videobereich. Das kann manchmal nerven, aber die Sicherheit, die ich dabei gewinne, ermöglicht es mir, beinahe komplett autonom zu arbeiten. Also so, dass eigentlich nur meine eigenen Fähigkeiten und Ängste meine Arbeiten begrenzen. Aber ja, das geht vielleicht jetzt und für mich, das können niemals allgemein gültige Aussagen sein. Dafür sind KünstlerInnen viel zu unterschiedlich. Und ganz klar: Nichts frisst Kreativität so konsequent wie Arbeit und Alltag.

Veronika Fischer: Ja, das stimmt. Allerdings habe ich in meinem letzten Projekt „It’s only Haushalt“ versucht, den Spieß umzudrehen und in der Alltagsroutine kreative Aspekte zu finden. Seither habe ich einen anderen Blick darauf. Ich habe ja drei Jungs und finde, dass das kreative Arbeiten eine Art Ausgleich zum Familienalltag darstellt, der gleichzeitig aber auch eine große Inspiration birgt. Du hast in deinem „insektarium“ ja auch Zeichnungen von Kindern aus deiner Schule mit drin. Ich schließe daraus jetzt einfach mal, dass der Job für dich mehr ist als Grundeinkommen und Krankenversicherung?

Jeremias Heppeler: Die Arbeit in der Schule ist so viel mehr als ein bloßer Brotjob. Ich erwisch mich ja auch immer selbst, wie ich immer mehr zum Lehrer werde, wie ich stolz von meinen SchülerInnen erzähle, wie ich mich wütend über die rücksichtslose Politik der Kultusministerin Eisenmann aufrege, die eben diese Kleinsten so bitterböse instrumentalisiert. Ich unterrichte ja an der Grundschule, und dieses Gefühl, manchen Kids vielleicht einen einzigen, aber vielleicht entscheidenden Impuls auf ihren Weg mitzugeben, das kannte ich zuvor nicht und das ist extrem erfüllend – aber auch eine große Verantwortung. Und mir ist auch klar geworden, wie absurd es ist, dass GymnasiallehrerInnen mehr verdienen als an der Grundschule. Wenn ich an die Arbeit meiner KollegInnen denke, dann kann ich da nur mit dem Kopf schütteln.

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Veronika Fischer: Wohl wahr. Da gibt es eine große Schieflage, die gerade jetzt in der Krise ans Licht kommt. Hoffentlich verändert sich dadurch langfristig was. Was hilft dir denn am meisten beim anderen Part deiner Arbeit als Multi-Media-Artist?

Jeremias Heppeler: Ein ganz wichtiger Punkt, damit das alles klappen kann, ist die Vernetzung und ein damit einhergehender Support. Gerade im Independent-Sektor hat es sich leider eingebürgert, dass man oftmals eifersüchtig auf seinen Nebenmann, seine Nebenfrau schaut, wenn deren Videos mehr Klicks abgreifen als dein eigenes, oder wenn andere die Zusage für ein freshes Projekt bekommen haben. Und ich verstehe das auch, mir geht es doch genauso. Gerade wenn man Tag für Tag hustled, wenn man so viel opfert, sind die Erfolge der anderen oft schwer zu akzeptieren. Aber das ist ein Trugschluss. Wir müssen uns zusammenschließen. Allianzen und Banden bilden. Uns unerschütterlich unterstützen, teilen, Probs aussprechen, Hilfe anbieten. Fünf Accounts mit tausend Followern sind fünftausend Follower. Irgendwie ist es doch offensichtlich, wie das funktionieren kann – und muss … und wird!

Veronika Fischer (Bilder: Christof Heppeler/Anja Mai; Simon Trommer)

Mehr von den beiden im Internet:
Veronika Fischer
Jeremias Heppeler

Das Buch von Jeremias Heppeler ist in der Buchhandlung Homburger & Hepp in Konstanz erhältlich: Münsterplatz 7, 78462 Konstanz, Telefon: 07531-90810, E-Mail: buchhandlung@homburger-hepp.de