Die Frau aus dem Eis

Kimmernaq Kjeldsen ist eine Sängerin und Schauspielerin aus Grönland. Am morgigen Samstag ist in der Werkstatt des Theaters Konstanz Premiere des Stücks „Das Kind der Seehundfrau“, in dem sie, begleitet von Akkordeon, Saxophon und Violine, zwischen Eisschollen singt und spielt. Dabei aber auch viel über Grönland und die GrönländerInnen verrät.

Die Seehundfrau wird im gleichnamigen Märchen als „die Glänzende, die mit den weisen, wilden, seelenvollen Augen“ beschrieben. Weiter: „Die Frau hatte die schönste Stimme, die der Mann je vernommen hatte. Sie klang wie der Gesang von Walen im Morgengrauen, nein, besser noch, wie neugeborene Wölfe beim Spielen, nein, die Stimme war mit nichts zu vergleichen, das der Mann je gehört hatte.“ Man könnte meinen, dies sei geschrieben worden für Kimmernaq Kjeldsen. Die Sängerin und Schauspielerin kommt aus Grönland. Vor 38 Jahren wurde sie dort als Kind einer grönländischen Mutter und eines dänischen Vaters in der Disko-Bay geboren und wuchs im Norden der gewaltigen Insel auf. Als Flugbegleiterin entdeckte sie die ganze Welt, doch immer wieder zieht es sie zurück nach Grönland, die Insel, die sie als „most beautiful place on earth“ bezeichnet. Sie lebt in Nuuk, der Hauptstadt, mit 18.000 Einwohnern, und arbeitet dort als Schauspielerin und Sängerin mit eigener Band.

Dem Klischee, dass Grönland kalt und unzivilisiert ist, entgegnet Kjeldsen mit einem Lächeln. „Wir haben Supermärkte“, sagt sie. Ihre Kleidung hat sie in Grönland gekauft und sie trägt – Überraschung – keine Robbenfellstiefel, sondern einen lässigen Blazer, im Haar ein Tuch, alles in Schwarz. Ihre Augen funkeln tatsächlich weise, wild und seelenvoll, wenn sie von ihrer Heimat erzählt. Über die Geschichte der Insel, kurz vor der Arktis, wo es im Winter dunkel und im Sommer hell ist, wo Nordlichter flackern und Eisbären, Robben und Wale zuhause sind. Und wo die Menschen sich in die Augen schauen, wenn sie sich begegnen, so sagt die Sängerin.

Die Mentalität der Inuit zeichnet sich durch eine hohe Flexibilität aus, erzählt sie weiter. Man könne sich beispielsweise nicht für einen Samstag zum Picknicken verabreden, da man nie wisse, ob das Wetter mitspielt, meistens tut es das nämlich nicht. Daher muss man das Beste aus der Situation machen. Ein Inuit beschwert sich nicht über Dinge, die nicht zu ändern sind. Das entspricht auch dem Charakter der Seehundfrau, die Kjeldsen nun am Theater Konstanz schauspielerisch und musikalisch interpretiert.

Seehundfell und Seelenfell

Das Märchen von der Seehundfrau spielt an einem Ort wo der „Wind so hart bläst, dass das gesprochene Wort in der Luft gefriert und den Menschen die Sätze von den Lippen gebrochen und am Feuer aufgetaut werden müssen, damit man weiß, was sie gesagt haben.“ Dort lebt ein einsamer Mann, ein Jäger. Eines Tages beobachtet er im Mondlicht tanzende Frauen, die ihre Seehundfelle am Ufer abgelegt haben. Weil er nicht länger allein sein will, stiehlt er der Schönsten das Fell und zwingt sie so, bei ihm zu bleiben. Gleichzeitig gibt er ihr das Versprechen, dass sie ihr Fell nach sieben Jahren zurück bekommt. Die beiden werden ein Paar und bekommen einen Sohn – Ooruk. Doch auch er kann die Mutter nicht von der Sehnsucht nach dem alten Leben befreien. Nach sieben Jahren will sie ihr Fell zurück.

In dieser Geschichte geht es um die Emanzipation einer Frau, um den Verlust ihrer Seelenhaut (im Englischen wird der Bezug deutlicher: sealskin/soulskin) und die Heimkehr zu ihrem Selbst. Was passiert, wenn man verliebt ist und alles aufgibt, was man ist? Clarissa P. Estés erforscht in ihrem Werk „Die Wolfsfrau“, das eines der faszinierendsten und spannendsten Bücher der feministischen Literatur darstellt, anhand dieses Märchens diese und andere Fragen.

Das Kind der Seehundfrau

In der Theaterfassung wird, wie der Titel sagt, das Kind in den Mittelpunkt gestellt. Es geht also um eine Welt, in der Eltern sich trennen. Es geht um Liebe und Loslassen und die Bedeutung von Familie. Darüber hinaus spiegelt sich aber auch ein gesellschaftliches Thema wieder: Was passiert, wenn zwei Kulturen mit ihren Unterschieden aufeinandertreffen?

Regisseur Ingo Putz hat die Uraufführung des Stücks in Oldenburg gesehen und war sehr berührt davon. Nun bringt er das Musikstück mit Elementen des Erzähltheaters auf die Bühne. Es handelt sich hierbei nicht um eine Vereinfachung der Musik, wie es manchmal bei Kinderstücken der Fall ist, nein, mit ihr wird eine neue Ebene eröffnet, die der Geschichte mehr Raum gibt. So wird Kimmernaq Kjeldsen ihre grönländischen Lieder singen, begleitet von Akkordeon, Violine und Saxophon. Somit wird eine nordische Atmosphäre geschaffen und da Kjeldsen ihre Texte im Original singt – die auch inhaltlich erstaunlich gut passen, wie am Theater festgestellt wurde – ist es so möglich, die Zuschauer wirklich mit Grönland in Verbindung zu bringen und nicht nur mit einem Bild, das wir von Grönland haben. Bei einer kurzen Kostprobe der Musiker wird klar, dass es sich um eine weise, wilde und seelenvolle Inszenierung handelt. Wie schade, dass bei diesem Stück nicht 40 Pressevertreter anwesend sind. „Wir wurden von der grönländischen Presse erwähnt“, sagt Dramaturgin Miriam Fehlker, „das ist doch fast cooler als die New York Times!“

Veronika Fischer (Foto: privat)

Die Vorstellungen:
Samstag 12.05 – 15:00 Werkstatt
Dienstag 15.05 – 10:00 Werkstatt
Mittwoch 16.05 – 10:00 Werkstatt
Freitag 18.05 – 10:00 Werkstatt
Sonntag 20.05 – 15:00 Werkstatt
Mittwoch 06.06 – 10:00 Werkstatt
Donnerstag 07.06 – 10:00 Werkstatt
Dienstag 12.06 – 10:00 Werkstatt
Donnerstag 14.06 – 10:00 Werkstatt