Die musikalisch Untote

Anderen bei der Arbeit zuzuschauen, ist das Schlechteste nicht im Leben. Gelegenheit dazu gibt es am nächsten Mittwoch, 22.11., wenn die Südwestdeutsche Philharmonie eine öffentliche Generalprobe ihres nächsten Programms abhält. Solist und Dirigent der vier Konzerte in Konstanz und Singen ist der Blockflötist Maurice Steger. Außerdem widmet sich die Philharmonie bereits am Sonntag, 19.11., allen Kindern ab 6 Jahren: Es gibt die „Bilder einer Ausstellung“ in einer besonders spannenden Version.

Die Blockflöte ist eigentlich schon längst ausgestorben, schon vor etwa 250 Jahren wurde sie in der (professionellen) Musik von kräftigeren Blasinstrumenten verdrängt. Sie ist heute vor allem ein preisgünstiges Laieninstrument und für viele abendländische Menschen das einzige Instrument, auf dem sie jemals in ihrem Leben spielen (nur zu oft unfreiwillig und zum Kummer der ganzen Hausgemeinschaft!). Die Blockflöte: Aus, vorbei, ein Schrecken der Kindheit wie Milchzähne, Mumps und der Kommunionsunterricht bei Geistlichen, die eines mit Kevin Spacey gemeinsam haben, und das ist ganz sicher nicht das Theologiestudium?

Stairway to Heaven

Hört man sich die Studioversion von Led Zeppelins „Stairway to Heaven“ genauer an, traut man seinen Ohren kaum – was tönt einem da am Anfang so unnachahmlich schmeichlerisch entgegen? Die Blockflöte! Wem verdanken wir diesen fremden, halbfertigen Klang in der Mitte von „The Fool On The Hill“ von den Beatles? Der musikalisch Untoten mit der großen Tradition.

Genau diese Tradition ist es, die der Blockflöte in den letzten Jahren im Zuge der historischen Aufführungspraxis ein neues Leben auf den Konzertpodien der Welt geschenkt hat, so dass sie heute weniger als Erziehungs- denn als Musikinstrument gilt. Natürlich war sie kein Instrument für ein klassisches oder romantisches Orchester, und ein Brahms-Konzert für Blockflöte und Orchester kann man sich bestenfalls als Parodie denken. In den intimeren Besetzungen des Barock aber spielte die Blockflöte oftmals eine wichtige Rolle. Man vergesse nicht: Monteverdi setzte die Blockflöte kurz nach 1600 gar in der Oper ein, als viele der lautstarken modernen Instrumente, wie sie Wagner im Orchestergraben liebte, überhaupt noch nicht gebaut waren.

Von Mailand zu Bach

So ist es denn wenig verwunderlich, dass im Barock auch Konzerte für Soloblockflöte und „Orchester“ entstanden, selbst Vivaldi hat einiges für diese Besetzung geschrieben (im Internet zumeist unter der englischen Bezeichnung „Recorder“ für Blockflöte zu finden). Das funktioniert durchaus, auch in größeren Sälen, wie sich in den Konzerten erweisen wird, die die Südwestdeutsche Philharmonie in der nächsten Woche in Konstanz und Singen spielen wird. Auf dem Programm stehen dabei nämlich unter anderem ein Blockflötenkonzert von Giovanni Battista Sammartini (1700-1775) sowie ein Piccoloflötenkonzert von Antonio Montanari (1676-1737). Letzterer ist zwar heute vergessen, war aber zu seiner Zeit ein anerkannter Geiger, der unter anderem beim unsterblichen Arcangelo Corelli studiert hatte.

Man kannte (und half) sich übrigens damals in der Klassikszene über alle Grenzen hinweg, und so schaute denn 1717 bei Montanari in Rom der Geiger Johann Georg Pisendel vorbei, der schon einige Jahre zuvor gemeinsam mit Bach musiziert hatte [1] und immer wieder mit Bachs herausragenden Werken für Violine solo in Verbindung gebracht wird. Ob Antonio Montanari ein Vorfahr von Massimo Montanari war, weiß ich nicht, lese des Letzteren ebenso lehrreiches wie appetitanregendes Werk „Der Hunger und der Überfluß. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa“ aber trotzdem immer wieder gern.

Solist und Dirigent in Personalunion

Dieses Programm der Südwestdeutschen Philharmonie, das der Musik des 18. Jahrhunderts gewidmet ist, hat einen Solisten, der den Abend zugleich dirigieren wird: Der Schweizer Maurice Steger (Foto) ist eine Größe unter den Flötisten und ist immer wieder auch als Dirigent tätig. Neben seiner solistischen Tätigkeit wird er zudem drei Werke „nur“ dirigieren: Die liebliche „Chaconne“ des langjährigen Stuttgarter Hofmusikers Giuseppe Antonio Brescianello sowie zwei größere Werke des 18. Jahrhunderts: als Einleitung Händels Suite aus seiner ersten Oper „Almira“, die 1705 den gelangweilten Hamburgern Anlass zu einer kleinen literarischen Fehde gab. Zum Abschluss dann dirigiert er Mozarts Sinfonie KV 543 von 1788, einen Meilenstein der Wiener Klassik. Oder, wie der hochnäsige Kurfürst von Bayern 1780 mit Blick auf Mozarts eher zierliche Gestalt zu bemerken geruhte: „Man sollte nicht meinen, dass in einem so kleinen Kopf so etwas Großes stecke.“ Was in Mozarts Kopf dabei vorging, schrieb der nicht, als er seinem Vater diese Begebenheit berichtete. [2] Aber wenig später kam die französische Revolution – wenn das man wirklich ein Zufall war.

Wer etwas dazulernen und einmal ein Orchester bei der Arbeit sehen und hören will, was sich durchaus lohnt, sollte am nächsten Mittwoch um 9.30 Uhr ins Konzil gehen: Dort gibt es die öffentliche Generalprobe dieses Konzertes, sozusagen das letzte Training vor dem Bayern-Spiel, mit Maurice Steger als Übungsleiter. So entsteht Musik.

Für Kinder und Eltern

Viel Spaß an einem unfreundlichen Sonntag verspricht der 19.11., wenn Kinder herzlich eingeladen sind, ihre Eltern ins Konzert im Festsaal des Inselhotels mitzubringen. Dort wird es nämlich spannend: Es gibt die „Bilder einer Ausstellung“ mit der berühmten Musik von Modest Mussorgski in einer Bearbeitung von Andreas N. Tarkmann für ein Bläserensemble, dirigiert von Benjamin Lack. Aber anders als sonst im Konzert geht an diesem Sonntag wirklich alles schief – versprochen!

Das Publikum sitzt, das Orchester hat seine Instrumente gestimmt, der Dirigent betritt die Bühne. Plötzlich stürmt der aufgeregte Museumswärter herein – sämtliche Bilder der Ausstellung sind gestohlen …

Wie die Geschichte ausgeht, erzählt der Schauspieler Cornelius Nieden, begleitet von MusikerInnen der Südwestdeutschen Philharmonie. Bei einer derart spannenden Geschichte zappeln die blöden Eltern endlich mal in einem Konzert nicht dauernd rum.

Harald Borges/MM (Foto: Molina Visuals)

Anmerkungen:
[1] Christoph Wolff, Johann Sebastian Bach, Frankfurt/Main 3. Auflage 2009, S. 148-149.
[2] Mozart an seinen Vater, 27.12.1780, in: Mozart, Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe. Kassel/München 2005, Band III, Brief 570.

Konzert eduART:
Sonntag, 19.11.2017, um 11 Uhr im Festsaal des Inselhotels, Auf der Insel 1, Konstanz
Karten: Erwachsene 12, Kinder 6, Familien 25 Euro

Philharmoniekonzert „Gedanken“:
Öffentliche Generalprobe: Mittwoch 22.11.2017 um 09:30 Uhr im Konzil Konstanz
Mittwoch, 22.11.2017 / Freitag, 24.11.2017, jeweils 19:30 Uhr im Konzil Konstanz
Samstag, 25.11.2017, um 20.00 Uhr in der Stadthalle Singen
Sonntag, 26.11.2017, um 18.00 Uhr im Konzil Konstanz

Karten für Konstanz:
Südwestdeutsche Philharmonie (9.00 Uhr bis 12.30 Uhr, Telefon 07531 900-816), dem Stadttheater Konstanz (07531 900-150), bei der Tourist-Information am Hauptbahnhof sowie allen Ortsverwaltungen erhältlich. Tickets können auch im Internet gekauft und ausgedruckt werden: www.philharmonie-konstanz.de

Karten für Singen:
Kultur und Tourismus Singen, Telefon 0773185-504.