Drucksache „Bild“ – Fehlanzeige Journalismus

„Bild“ ist ein Boulevardmedium, das täglich großes Geschrei und viel Gedöns um sich selbst macht, aber kaum Journalismus. Deshalb kann derjenige, der „Bild“ nur anhand journalistischer Kriterien untersucht, weder ihre Machart verstehen noch ihren Erfolg erklären. In einer neuen Studie der Otto-Brenner-Stiftung untersuchen der Kommunikationswissenschaftler Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz, bis 2006 Chefredakteur der FR und gelegentlicher Seemoz-Autor, Machart und Erfolg der „Bild“-Zeitung.

Journalistische Standards interessieren die „Bild“-Macher allein, wenn sie ihnen nutzen, und vor allem, um sie zu durchbrechen. An die Stelle des Journalismus, der mit seiner Arbeit der Information, der Orientierung und Kommentierung von gesellschaftlich Bedeutsamen sein Publikum erreichen will, setzt „Bild“ Methoden der Werbung, der Unterhaltung, der Kampagnenkommunikation und des Marketings.

„Bild“ folgt einer Logik, die darauf zielt, ein Catch-all-Medium herzustellen, das möglichst viel Publikum fängt und fesselt – von diesem Ziel leiten sich Themenwahl und Machart ab. Dieses Leitbild verfolgen Verlag, Herausgeber und Chefredaktion mit aller Konsequenz. Das fängt bei dem immer noch niedrigen Preis an, geht mit einem ausgefeilten Vertriebssystem weiter und gipfelt darin, dass Themen, Sprache, Bilder und Layout rücksichtslos als Stimulationsmittel und Reizwerte eingesetzt werden.

Grenzüberschreitung als Prinzip

Das Erfolgsgeheimnis von „Bild“ liegt also gerade darin, dass sie kein journalistisches Produkt ist. „Bild“ schöpft den „Kessel Buntes“ der Massenkommunikation bis zur Neige aus. Sie profitiert davon, die Grenzen zu überschreiten, die andere einhalten. Wie der Dieb das Eigentum braucht „Bild“, um sich zu profilieren, andere Medien-Akteure, die das journalistische Handwerk pflegen. Auch die Grenze zwischen massenmedialer Veröffentlichung und ökonomischem Produkt löst „Bild“ konsequent auf. Veröffentlichung und Handels-Geschäft treiben im Hause „Bild“ ein offenes Wechselspiel. Die Distanz liegt nahe null: Volksbibel, Volkspizza und Volksmeinung werden auf dieselbe Weise vermarktet.

Am Beispiel der „Bild“-Berichterstattung über die Griechenland- und Eurokrise des Jahres 2010 zeigen die beiden Autoren Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz mit einer umfangreichen empirischen Untersuchung im Detail auf, wie die „Bild“-Mannschaft Themen und Ereignisse als eine Knetmasse behandelt für ihre publizistischen, wirtschaftlichen und politischen Zwecke.

Virtueller Stammtisch

Aufmerksamkeit und Wirksamkeit gewinnt „Bild“ nicht nur mit ihrer aufreizenden Machart und ihrer offensiven Selbstvermarktung, sondern auch aufgrund ihrer Inszenierung als „Volksstimme“. „Bild“ präsentiert sich als die Stimme eines Volkes, das keine zwei Meinungen hören, keinen zusammenhängenden Gedanken lesen und seine Sprache nur im Simpel-Slang verstehen kann. Und Eliten, die neben sich nur ‚das dumme Volk‘ sehen, glauben „Bild“ und unterstellen, dass „Bild“ weiß, was das Volk denkt und fühlt. Jedoch: Der virtuelle nationale Stammtisch, an den „Bild“ täglich einlädt, ist eine Selbstinszenierung, die nur solange existiert, wie ihr bereitwillig Glauben geschenkt wird.

„Der Versuch der „Bild“-Zeitung, sich selbst an die Stelle der öffentlichen Meinung zu setzen und als Sprachrohr des politischen Mainstreams aufzutreten, ist in den letzten Jahren ungenierter geworden. Der Selbstverständlichkeit, mit der „Bild“ in Deutschland die Rolle des massenmedialen Platzhirsches einnimmt, muss widersprochen werden“, schreibt die Otto-Brenner-Stiftung in ihrem Vorwort zur Studie.

Der empirische Befund, dass es sich bei „Bild“ im Kern um kein journalistisches Produkt handelt, lädt zu einer Debatte ein mit dem Ziel, Grenzen neu zu ziehen: Wo hört Journalismus auf, wo fangen andere Gattungen öffentlicher Kommunikation an. Denn Veröffentlichungen, die sich als Journalismus inszenieren, aber nachweislich nicht sind, müssen zwar den Pflichten nicht nachkommen, die dem Journalismus auferlegt sind, sie sollten dann aber auch von den Privilegien nicht profitieren können.

Autor: PM/hpk

Die Studie: Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz: Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde, Die „Bild“-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010, eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung, Frankfurt/Main, 2011, www.otto-brenner-stiftung.de