Ein Lehrstück über die Mythen der Politik und die Märchen der Medien
So ein Theaterstück gab es wohl noch nie auf einer Konstanzer Bühne: Drei Stücke in einem, fünf tolle Darsteller in dreimal verschiedenen Rollen (sie heißen nur A, A‘,A“ oder E, E‘, E“) und das alles in catalán, für unsereins übersetzt mithilfe elektronischer Übertitel – schwer verdaulich, noch schwerer verständlich, was Sala Beckett aus Barcelona und das Konstanzer Theater mit „George Kaplan“ da zum Auftakt der Spielzeit aufführen. Aber grandios
Wie der Name ist das Lehrstück vor allem eines: Ein Verwirrspiel. „George Kaplan“ existiert nur in der Fantasie, ist Fiktion dunkler Mächte – das ist die geniale Idee im Hitchcock-Thriller „Der unsichtbare Dritte“ und auch in dieser Adaption des französischen Autors Frédéric Sonntag. Der Name Kaplan als Synonym für Bedrohung, für Manipulation, für Verwirrung.
Drei Stücke in einem
In allen drei (Versatz)Stücken wird dieser Handlungsfaden gesponnen: Da trifft sich erstens eine Gruppe anonymer Untergrund-Aktivisten zu einer Aktion mit besonderem Ziel: Das degenerierte System westlicher Kultur und ihrer Medien bloßzustellen. Zweitens betritt ein Team erfolgreicher Drehbuchautoren aus Hollywood die Bühne, um einen Plot zur Verteidigung des westlichen Wertesystems zu entwerfen. Und drittens versammeln sich Hintermänner und -frauen aus Politik, Medien und Hochfinanz, um einem Phantom auf die Schliche zu kommen, das die innere Sicherheit des Staates bedroht.
Und das heißt? Richtig: Kaplan. Und „George“ nennen sich auch alle Polit-Demonstranten im ersten Versatzstück, die in der Eingangsszene lustigerweise Occupy-Masken tragen – und eine, die Mutti Angie zeigt. Schwer auch für den Zuschauer, da noch den Überblick zu behalten, zumal auch die elektronischen Übertitel ihm neue Sehgewohnheiten angewöhnen.
Obwohl alle drei Aktionen aller drei Stücke absurd scheitern, ist diese schwarze Komödie über Verschwörungen und Verschwörungstheorien ein ungemein aktuelles, ungewöhnlich politisches Stück: Über Medien-Manipulateure, die sich selber manipulieren, über Autoren, die ihr eigenes Massaker inszenieren und über Strippenzieher, denen die Strippen entgleiten. Und unversehens fragt sich der Werkstatt-Zuschauer: Wie war das noch mit den manipulierten Kriegsgründen für den Irak-Krieg? Und wie steht die US-Waffenlobby zu den regelmäßigen Amokläufen in den USA? Wie weit reicht der Überwachungsstaat in unsere Wohnstuben und wer plant warum die Revolutionen in Arabien und anderswo? Wer hat da noch den Überblick?
Mythen der Politik und Märchen der Medien
Da sage noch mal eine(r), das diesjährige Motto der Konstanzer Theaterspielzeit „Märchen und Mythen“ sei unpolitisch. Was die fünf jungen Schauspieler der Sala Beckett aus Barcelona zu den modernen Mythen der Weltpolitik und zu den Märchen, die uns die Medien alltäglich auftischen, auf die Konstanzer Bühne zaubern, strotzt vor politischen Anspielungen und Hintergründigkeiten. So besehen, ließe sich auch der Untertitel des diesjährigen Konstanzer Theatermottos: „Damit ich Dich besser fressen kann“ trefflich assoziieren.
Und ganz nebenbei: Gerade in unseren Tagen eine „Werkstatt Europa“ mit Gastspielen vor allem südeuropäischer Theatergruppen zu organisieren, ist für sich schon ein Stück solidarischer Politik der Konstanzer Theatermacher.
Die katalanischen Darsteller um Regisseur Toni Casares tragen gehörig zu diesem eindrucksvollen Theaterabend bei, der wahrlich mehr Zuschauer verdient hätte. Wer den jugendlichen Revoluzzer und Minuten später den ausgebufften Geheimdienstagenten gleichermaßen glaubhaft verkörpert, darf schon als außergewöhnlicher Schauspieler gelten. Und wer in einer solchen talentierten, ambitionierten Theatertruppe mitspielt, schafft schon europäisches Theater auf hohem Niveau. Sollte noch mehr an diesem Abend bewiesen werden?
Ein Gastspiel einer Truppe, das eine größere Bühne als die der Theaterwerkstatt in der Inselgasse verdient hätte. Und ein Gastspiel von nur einer Woche – weitere Aufführungen sind am Mittwoch, 2.10. und am Freitag, 4.10. sowie am Samstag 5. Oktober jeweils um 20 Uhr -, das mehr Zuschauer verdiente. Noch also ist Zeit für „George Kaplan“ und seine wunderbaren, märchenhaften Mythen.
Autor: hpk