„Ein Orchester kann ganz schön rocken“

Ab 1. Januar 2019 übernimmt mit Insa Pijanka erstmals eine Frau die Intendanz der Südwestdeutschen Philharmonie. Was sie anders machen will als ihre Vorgänger, erklärt sie im Interview, und hat bereits eine Vision: „Wäre es nicht schön, wenn das Orchester zum Botschafter würde?“ Wer hören will, wie die Philharmonie klingt: Am 9., 11. und 14. November spielt sie im Konstanzer Konzil ein romantisches Programm „Umstritten“ mit Werken von Carl Maria von Weber und Johannes Brahms.

Frau Pijanka, eines der größten in der laufenden Spielzeit anstehenden Projekte trägt den Titel „Daheim – eine Odyssee“. Was bedeutet Heimat für Sie?
Für mich ist das vor allem der Ort, an dem die Menschen sind, die mir was bedeuten. Heimat ist für mich eine ideelle und keine räumlich gebundene Sache. Natürlich ist Mannheim meine Heimat, da wurde ich geboren und ich empfinde die Stadt immer noch als Heimat. Aber dadurch, dass ich schon so lange von dort weg bin und Kassel inzwischen so etwas wie eine zweite Heimat geworden ist, hängt das für mich sehr an Menschen.

Kann Konstanz in diesem Sinne neue Heimat werden?
Ja, natürlich. Das finde ich ja das Interessante, wenn man seinen Geburtstort verlässt: Egal wo man hingeht, man findet eigentlich überall Menschen, die einem etwas bedeuten. Man trifft an jedem Ort, an dem man lebt, besondere Menschen, die Teil des eigenen Lebens werden können. Insofern freue ich mich jetzt auch auf die neuen Begegnungen in Konstanz und in der gesamten Bodenseeregion. Wir spielen ja auch in der Schweiz, wo übrigens meine beste Freundin lebt.

Warum fiel Ihre Entscheidung eigentlich für Konstanz?
Zum einen ist die Stelle natürlich sehr reizvoll. Zum anderen hatte ich für mich schon länger überlegt, ob es nach 16 Jahren in Kassel jetzt nicht an der Zeit wäre, den nächsten Schritt zu gehen. Nicht, weil es mir dort nicht mehr gefallen hätte, sondern mehr so aus dem Gefühl heraus, dass Kassel die erste richtige Stelle nach meinem Studium war und ich vor meiner Rente gerne noch mal etwas anderes gemacht hätte.

Sie selbst haben Politik, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Neuere Geschichte und Soziologie studiert. Wie sind Sie eigentlich zur Musik gekommen?
Ich habe als Kind angefangen, Klavier zu spielen. Meine Eltern haben mich in den Klavierunterricht gesteckt, weil sie das Gefühl hatten, dass ich zuhause immer am Rumsingen bin und Musik offensichtlich irgendwie mag. Meine Klavierlehrerin war Sängerin im Opernchor des Nationaltheaters Mannheim und über sie bin ich dann im Kinderchor des Nationaltheaters gelandet. Ich wollte dann unbedingt Opernsängerin werden, habe ernsthaft Gesangsunterricht genommen. Letztlich habe ich mich aber nach dem Abitur doch für ein anderes Studium entschieden, worüber ich heute noch sehr froh bin. Aber das Theater und die Musik waren für mich immer ganz zentrale Bestandteile meines Alltags. Das hat mich in meinem Studium bestimmt zwei Semester gekostet. Aber es war nie denkbar, das nicht zu tun.

Offiziell beginnen Sie ihre Aufgabe am 1. Januar 2019. Wie sehr sind Sie schon jetzt eingebunden in den Philharmonie-Betrieb?
Recht viel, vor allem, wenn man bedenkt, dass ich ja in Kassel noch eine Stelle habe. Ich versuche schon jetzt, möglichst viel kennenzulernen, die Kollegen, das Orchester und das Publikum. Und natürlich befinde ich mich auch schon in der Planung der Spielzeit 2019/20. Deswegen bin ich immer wieder tageweise hier.

Und wie ist ihr Eindruck vom Orchester bislang?
Das Orchester klingt wirklich sehr gut. Die persönlichen Begegnungen, die ich mit Musikern habe, sind unglaublich offen, neugierig und engagiert. Da kommen ganz viele Ideen auch aus dem Orchester, was sie gerne machen würden. Ich spüre eine große Offenheit, sich auszuprobieren und zu entwickeln.

Wie verstehen Sie Ihre Aufgabe als Intendantin?
Ich möchte die Entwicklung immer gemeinsam mit den Musikern machen. Es ist ja so: Ich kann mir als Intendantin super Ideen ausdenken, aber das ist alles totaler Blödsinn, wenn das nichts mit den Künstlern zu tun hat. Letztendlich am Abend im Konzert stehe da nicht ich, da sitzen die Musiker. Das heißt, alles was ich mache, muss im Dialog mit dem Chefdirigenten, dem Orchester, mit den einzelnen Kollegen geschehen und sich aus dem musikalischen Material, aus dem Kollektiv, aus den Fähigkeiten, Stärken und Schwächen der Musiker heraus ergeben. Eigentlich ist meine Aufgabe, das alles aufzugreifen, zu kanalisieren und daraus dann Projekte zu entwickeln.

Ihr Vorgänger Beat Fehlmann hat Ihnen ein ziemlich bestelltes Feld übergeben und hat hier großen Eindruck hinterlassen. Wie wollen Sie Eindruck machen?
Erstmal würde ich nicht sagen, dass es mein Ziel ist, Eindruck zu machen. Ich möchte genau wie er an einen Punkt kommen, an dem man respektiert wird, und dass die Stadt und die Region weiter das Gefühl haben, dass das Orchester ein wichtiger, unverzichtbarer und notwendiger Teil für die Menschen am Bodensee ist. Wenn man an Konstanz denkt, soll man auch an die Philharmonie denken. Das geht nicht über Effekte. Ich persönlich habe gute Erfahrung damit gemacht, authentisch zu bleiben. Beat Fehlmann hat eine gewisse Art, wie er auftritt und wie er kommuniziert, die seiner Persönlichkeit entspricht. Und ich habe auch eine Art, wie ich das mache. Ich versuche dabei immer, ich selbst zu bleiben und den Leuten offen gegenüberzutreten, für meine Ideen zu kämpfen und die Begeisterung für Musik, die ich habe, überall zu übertragen.

Welche inhaltlichen Ideen gibt es denn schon? Oder anders gefragt: Wohin soll die Reise gehen mit der Südwestdeutschen Philharmonie?
Grundsätzlich möchte ich gerne da weitermachen, wo Beat Fehlmann aufgehört hat. Also das Orchester breit aufzustellen. Wir wollen ein möglichst vielseitiges Programm bieten, an dem sich die Menschen, die sich für Musik interessieren, andocken können. Ich fände es schön, mit dem Orchester stärker im Bereich der Barockmusik zu arbeiten. Das ist zum einen ein sehr spannendes musikalisches Feld. Außerdem tut es dem Orchester für das Zusammenspiel und die Klangkultur gut, sich mit dieser Art von Musik zu beschäftigen. Ich würde zudem gerne versuchen, in den Abokonzerten eine Neugierde zu wecken gegenüber Komponisten, die man noch nicht kennt. Und ich möchte versuchen, die Ohren zu öffnen für Hörerlebnisse jenseits der Klassik.

Eine nicht ganz einfache Aufgabe wird es sein, das Publikum von morgen zu gewinnen. Wie wollen Sie ein junges Publikum an die klassische Klangwelt heranführen?
Keine ganz einfache Frage. Es gibt ja bereits viele Aktivitäten im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit und die werde ich auf jeden Fall noch weiter ausbauen. Zum Beispiel durch Patenschaften mit Schulklassen. Es muss immer das Ziel sein, junge Menschen intensiv, persönlich und dauerhaft an das Orchester zu binden und eine Leidenschaft für Musik zu wecken. Da gibt es gerade bei kleinen Kindern sehr vielfältige Möglichkeiten. Schwieriger sieht es in der Tat bei jungen Erwachsenen aus. Konstanz hat viele Studenten – und die konnten wir meinem Eindruck nach bislang viel zu wenig im Konzert begrüßen. Hier muss es Gespräche über Kooperationen mit der Uni geben und wir müssen uns auf die Suche nach den geeigneten Formaten und Orten machen.

Ein solches Format könnten Crossover-Projekte sein, die Sie auch schon in Kassel initiiert haben. Gibt es in dem Bereich schon Ideen für Konstanz?
Oft funktionieren Crossover-Projekte ja so: Man holt sich einen berühmten Namen und legt dann unter bestehenden Songs einen Orchesterteppich. Wir haben in Kassel einen anderen Weg gewählt. Wir haben Abende eigens für das Orchester arrangieren lassen. Das heißt, wir haben uns immer ein musikalisches Thema genommen, zum Beispiel Abba, Queen, 70er-Jahre-Disko, Swing, 80er-Jahre, so etwas. Da war dann auch immer eine Rockband dabei und natürlich auch Sänger. Aber der Fokus der Arrangements war uns immer wichtig: Das Orchester spielt an diesen Abenden immer die zentrale Rolle. Und ich finde immer wieder spannend, dass am Ende dieser Konzerte immer das Orchester den meisten Applaus bekommt. Ich würde gerne auch hier am Bodensee zeigen, dass so ein Orchester als Kollektiv rocken kann.

Dafür bräuchten Sie dann die große Bühne. Wo soll das in Konstanz stattfinden?
In der Tat ist das alles ein bisschen schwierig in Konstanz aufgrund der Raumsituation. Das ist mein größter Hemmschuh, weil es für so etwas eigentlich keinen geeigneten Ort gibt.

Das ist ein Dauerthema in Konstanz – die Hoffnung auf ein echtes Konzerthaus. Das wird Sie in Ihrer Intendanz mutmaßlich begleiten.
Das ist ja auch kein Thema, das man schnell erledigen kann. Wenn man sich dazu entschließen sollte, ist das etwas, das Jahre brauchen wird. Das ist mir schon klar. Aber man muss auch deutlich sagen: Die aktuelle Situation hemmt das Orchester in seiner Entwicklung auf ganz vielfältiger Ebene. Es verursacht Kosten, weil wir jeden Saal extra mieten müssen, teils mehrere Tage hintereinander, in jeden Saal müssen wir einbauen, was wir da drin haben wollen. Es gibt in Konstanz einfach keinen Ort, zu dem wir einfach hingehen können und wir finden die notwendige Infrastruktur bereits vor. Aber es hilft ja nichts: Wir müssen uns jetzt mit der Lage arrangieren und perspektivisch darauf hoffen und auch hinarbeiten, dass es doch mal einen Weg gibt, ein Konzerthaus zu ermöglichen. Auch wenn mich das dann persönlich vielleicht nicht mehr betrifft.

So lange werden Sie mit dem Konzil als Hauptaufführungsort leben müssen.
Ideal ist das Konzil sicher nicht. Die Musiker haben keine richtigen Garderoben, können sich nicht angemessen auf das Konzert vorbereiten, dann fahren ständig Züge vorbei. Für die Musiker wäre es enorm beflügelnd, wenn es eine konkrete Perspektive auf ein Konzerthaus gäbe. Es wäre ein Signal von Wertschätzung.

Welche Rolle spielen der Thurgau und die weitere Schweiz in Ihren Überlegungen?
Der Thurgau und die gesamte Schweiz werden natürlich weiter eine bedeutende Rolle spielen! Da hatte Beat Fehlmann als Schweizer natürlich einen Vorteil, weil er entsprechende Kontakte hatte. Für mich ist das Neuland. Da bin ich sehr gespannt auf die ersten Begegnungen. Das Orchester hieß ja früher Bodensee-Sinfonie-Orchester. Das finde ich eigentlich eine schöne Vision, diese außergewöhnliche Lage mit dem großen See und den vielen Anrainerstaaten als eigene Identität zu nutzen und diese Lage eben nicht als Trennung wahrzunehmen. Wäre es nicht schön, wenn das Orchester da zum Botschafter würde? Also ich finde den Gedanken wunderbar!

Wir sprachen eingangs schon über das große Beteiligungsprojekt „Daheim – eine Odyssee“ Welche Erwartungen verbinden Sie damit?
Für mich ist das wie eine Wundertüte, extrem spannend. Solche Beteiligungsprojekte sind eine tolle Art und Weise, in die Stadt hinein zu kommunizieren und mit sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zusammenzuarbeiten. Man kommt so ein bisschen aus seinem üblichen Klassikzirkel heraus und hat sehr direkten Kontakt. Daraus entstehen ganz viele reizvolle Inputs. Auch für mich selbst.

Zum Beispiel?
Sich selber wieder dran zu erinnern, warum man das eigentlich tut. Und welche Leidenschaft man selbst hat. Weil man die von Leuten, die bei solchen Projekten mitmachen, sehr stark gespiegelt bekommt. Unsere Branche professionalisiert sich dermaßen, dass wir das Spielerische, die eigentliche Leidenschaft, manchmal vergessen. Dabei ist es eine Lebensentscheidung, in einer Kulturinstitution zu arbeiten. Das ist keine normale Berufsentscheidung. Davon bin ich überzeugt. Das ist nichts, das ich mir strategisch überlege. Das ist eine Entscheidung, die sehr mit der eigenen Persönlichkeit zu tun hat, die extrem ins Privatleben herein greift, sehr in die persönliche Überzeugung. Solche Projekte führen einen an diese Wurzeln zurück. Darauf freue ich mich!


Insa Pijanka im Profil

Insa Pijanka (*1974) ist ab 1. Januar 2019 Intendantin der Südwestdeutschen Philharmonie in Konstanz. Derzeit ist sie noch in ihrer 16. Spielzeit am Staatstheater Kassel als Orchesterdirektorin und leitende Konzertdramaturgin des Staatsorchesters tätig. Insa Pijanka wurde 1974 in Mannheim geboren. Dort hat sie an der Universität Mannheim und der London School of Economics and Political Science LSE Politische Wissenschaften, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Neuere Geschichte und Soziologie studiert. Seit ihrer Kindheit ist sie der Musik verbunden – früh erhielt sie Klavierunterricht und absolvierte eine Gesangausbildung. Am Nationaltheater Mannheim war sie im Kinderchor, später in der Opernstatisterie und schließlich, nach dem Studium, bei der „Internationalen Orchesterakademie Mannheimer Schule“ unter der künstlerischen Leitung des Ehrendirigenten des Staatsorchesters Adam Fischer tätig.

Neben der organisatorischen und künstlerischen Arbeit für das Orchester ist die eigene künstlerische Arbeit Insa Pijanka ein wichtiges Anliegen. So ist sie häufig auf der Bühne und vor dem Publikum präsent. Vor den Sinfoniekonzerten in der Kasseler Stadthalle hat sie die Einführungen als festen Bestandteil des musikalischen Programms etabliert. Sie arbeitet als Dramaturgin nicht nur im Konzert, sondern auch in den Sparten Oper, Musical und Schauspiel und führt als Moderatorin durch Konzerte, Galaprogramme und Open Airs. Immer wieder hat sie dabei eigene Reihen und Formate entwickelt – vom Kammerkonzert mit Lesung bis zur großen Crossover-Show.


Das Projekt „Daheim – eine Odyssee“

Seit Mitte Oktober läuft das große Beteiligungsprojekt „Daheim – eine Odyssee“. Mehr als 200 Schülerinnen und Schüler der Konstanzer Geschwister-Scholl-Schule arbeiten gemeinsam mit dem Orchester und weiteren Freiwilligen an einem großen musiktheatralischen Stück, das sich mit dem Thema Heimat befassen soll. Ein professionelles Team ist verantwortlich für den roten Faden und die Gesamtleitung. „Basis der gemeinsamen Arbeit ist jedoch das Begegnen auf Augenhöhe und die Möglichkeit aller Beteiligten sich einzubringen“, heißt es in einer Projektbeschreibung. Die Aufführungen sollen am 4. und 5. Juli 2019 in Konstanz stattfinden. Möglich wird das Projekt vor allem durch die Förderung des Bundes, von dem die Südwestdeutsche Philharmonie Gelder im Rahmen eines Exzellenzprojektes erhielt.


Michael Lünstroth (Foto: Johannes Raab; das Interview erschien erstmals auf www.thurgaukultur.ch)