Ein Schlag mit dem Essstäbchen zur Mittagsstunde
Das Schlagzeug in all seinen Ausprägungen wird in der abendländischen Kunstmusik – anders als im Jazz – traditionell eher stiefmütterlich behandelt. Eine eigenständige Rolle gewann es eigentlich erst im 20. Jahrhundert. Am Sonntag präsentiert die Reihe High Noon Musik 2000+ das Trio „We Spoke“. Dessen drei Musiker pflegen ein weites Verständnis von Schlaginstrumenten, denn in ihrem Werkzeugkoffer bringen sie einige ausgefallene Gegenstände mit, bei denen man nicht zwingend an Schläge denkt.
Gewiss, so ganz sind Schlagzeuge aus der abendländischen Musiktradition nicht wegzudenken. Wenn die Trommel gerührt wurde, hieß es aufzumerken (und strammzustehen oder vorgeblich gelassen und mit einem stillen letzten Seufzer das Schafott zu besteigen). Eine führende Rolle nahmen Schlagzeuge wie selbstverständlich nur in der Militärmusik ein, denn wenn der Rhythmus stimmt, lässt es sich doch gleich viel leichter in den Tod marschieren als über das Leben nachdenken.
Türkische Abteilung
Von der Janitscharenmusik, wie sie auch vom klassischen Dreigestirn Haydn-Mozart-Beethoven eingesetzt wurde, sei hier ganz geschwiegen: Dieser schlagzeughaltige Sound war bei den Osmanen sowohl zur Unterhaltung als auch bei Militärparaden in Gebrauch und wurde sogar zur Steuerung des Schlachtengetümmels eingesetzt. Laut Wikipedia wurde die Schlagzeuggruppe des Sinfonieorchesters daher lange als „Türkische Abteilung“ bezeichnet, aber das mag auch ein Gerücht sein. Nicht nur in Mozarts berühmter Klaviervariation „alla turca“ klingt diese Musik jedenfalls bis heute hörbar nach.
Richtig erwachsen wurde das Schlagwerk dann aber mit Edgard Varèses „Ionisation“, einem atemberaubenden Stück für 13 Schlagzeuger, die insgesamt 43 Instrumente bedienen. Dieses 1933 uraufgeführte Jahrhundertwerk von wenigen Minuten Dauer hat Frank Zappa nach seinem eigenen Bekunden zur Musik gebracht. … Aber so langsam ist’s denn wohl genug des einleitenden Palavers, also zum Thema.
Klock zwölf
Am Sonntag um 12.00 Uhr sind in Konstanz Julien Annoni, Julien Mégroz und Olivier Membrez zu Gast, die das international besetzte Trio „We Spoke“ bilden und mit ihrem „Théâtre musical“ konzertieren. Sie werden Werke von Fritz Hauser, Christian Kesten, John Lely und Simon Løffler aufführen. Bei ihrem Auftritt nimmt auch der theatralische Aspekt einen großen Stellenwert ein, ihre Art des Konzerts bewegt sich also irgendwo zwischen experimenteller Musik und Musiktheater. Sie werden ausschließlich auf unüblichen Instrumenten wie Effektpedalen, ihren Zungen, Schalldämpfern und Essstäbchen musizieren. Auch der obligatorische Aperitif von Ralf Kleinehanding wird bei diesem Konzert natürlich nicht fehlen.
Wer komponiert eigentlich für eine solche Besetzung? In diesem Fall ist es etwa John Lely mit seinem „Distance learning“. Lely (*1976) ist in London ansässig und will als Komponist und Improvisator mit elektronischen Objekten und Instrumenten die Welt von Klang, Stille, Proportion, Prozess, Wahrnehmung und Hören erforschen. Ganz ähnlich formuliert auch Christian Kesten, der mit seinem Werk „Zunge lösen“ vertreten sein wird, sein musikalisches Credo. Wie viele KomponistInnen seiner Generation ist er auch als Regisseur, Klang- und Intermedia-Künstler, Vokalist und Performer im Spannungsfeld zwischen Musik und Theater, Sprache und Bildender Kunst daheim. Er ist Mitglied der „Maulwerker“, des bekannten Berliner Ensembles für experimentelle Vokalmusik und experimentelles Musiktheater, das einst im Umfeld Dieter Schnebels entstand.
Klingt wie eine Schraffur
Der Däne Simon Løffler beackert laut Selbstauskunft einen weiten „Bereich von sehr intimen Besetzungen bis hin zu enigmatischen Konstruktionen sowohl mit traditionellen Instrumenten (die auf verschiedene Weisen verändert werden) als auch mit neuartigen Instrumentalkonzepten.“ Er wurde 2014 mit dem prestigeträchtigen Preis der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik ausgezeichnet, deren Einfluss auf die deutsche Musikgeschichte nach 1945 nicht hoch genug veranschlagt werden kann, zumal sie in der Frühzeit auch schon mal „fast in handgreiflichen Auseinandersetzungen [endeten], nachdem eine Meinungsverschiedenheit über die radikale neue Musik in offene Feindseligkeit umgeschlagen war“.(1)
Von Fritz Hauser (*1953), einem schweizerischen Schlagzeuger und Komponisten, führt das Trio an diesem Sonntag das Werk „Schraffur“ auf. Auch Hauser hat sich in vielen musikalischen Haifischbecken getummelt, vom Artrock über die Alte Musik bis zur Avantgarde und Improvisation. Er entwickelt Programme für Schlagzeug und Perkussion und arbeitet spartenübergreifend mit Architektur, Theater und Tanz sowie an Klanginstallationen und für den Film. Sein spannendes Stück „Schraffur“ trägt seinen Titel mit allem Recht, denn besser lässt sich sein Klangbild wohl kaum beschreiben.
Harald Borges
(Fotos: HighNoon – Freunde Neuer Musik e.V., © Patricia Dietzi, François Volpé, Ketty Bertossi)
Sonntag, 4. November 2018, 12.00 Uhr, Kolpinghaus-Hofhalde 10a, Konstanz
Eintritt: 10 €/6 €. Veranstalter: www.highnoonmusik.de
Anmerkung: (1) Francis Stonor Saunders, Wer die Zeche zahlt … Der [sic!] CIA und die Kultur im Kalten Krieg, Berlin 2001, S. 34.