Eine Reis‘ ins Jenische

Niemand weiß so recht, warum gerade Singen zum Zentrum für Jenische wurde. Auch Gerd Zahner nicht, der mit „Die Reis’“ dem fahrenden Volk jetzt ein dramaturgisches Denkmal setzt. Das Schauspiel erlebt am kommenden Freitag seine Uraufführung an symbolträchtiger Stätte – in der Scheffelhalle zu Singen, die auf jenischem Gelände stehen soll.

800 Jenische leben in Singens Südstadt, 800 Menschen, die nie staatlicherseits als Minderheit anerkannt wurden, die von den Nazis dennoch verfolgt und ermordet wurden, die keine ethnische Gruppe wie die Sinti und Roma sind, sondern als „fahrendes Volk“ verunglimpft wurden, die in früheren Zeiten als Kesselflicker oder Scherenschleifer übers Land zogen und dabei eine eigene Sprache und eigene Musik entwickelten. Ihnen und ihrer Kultur setzt Gerd Zahner, Anwalt und Autor aus Singen, nun ein dramaturgisches Denkmal.

Zahner, bekannt für Stücke mit historisch-politischen Hintergrund aus der Region, hat mit vielen Jenischen gesprochen, hat recherchiert, wie es seine Art ist, und hat vieles von der jenischen Tradition in seinem neuesten Stück untergebracht. Dazu gehört auch jenische Musik, die der Chor der Wessenbergschule beisteuert, begleitet von Rudolf Hartmann aus Radolfzell, der für dieses Stück sogar das „Handörgeli“ nutzt, ohne das jenische Musik nicht denkbar ist.

Die Handlung ist schnell erzählt: Ein todkranker Vater hat nach seinem Sohn geschickt, um mit ihm, längst als Rechtsanwalt in Frankfurt erfolgreich, ein letztes Mal in jenischer Tradition auf die Reis‘ zu ziehen. Dabei erkunden sie das Land rund um Singen, spielen wieder ihre Musik, lernen sich erstmals richtig kennen und erkennen, wie schwer es ist, unterschiedliche Lebensentwürfe zusammen zuführen. Und der Vater sagt: „Die Reis‘ kann nicht aufhören, solange wir noch jenisch sprechen und denken.“

„Die Reis’“ ist eine Koproduktion des Theaters Konstanz – Regie, SchauspielerInnen, Dramaturgie, Ausstattung und Tanz werden aus der Nachbarstadt geliefert – und dem Kulturzentrum GEMS in Singen. Dass auch die Stadt Singen und das Land Baden-Württemberg dem Projekt einen hohen politischen Stellenwert beimessen, lässt sich am finanziellen Engagement ablesen: Mit 44.000 Euro werden die Aufführungen in der Scheffelhalle bezuschusst. Denn schließlich ist die Idee, in Singen ein jenisches Kulturzentrum zu schaffen, längst nicht aus der Welt.

hpk

Nach der Premiere am morgigen Freitag um 20 Uhr gibt es „Die Reis‘“ noch am 6. / 7./10./ 11./ 12./ 13./ 14. / 15. und 17. Oktober, jeweils um 20 Uhr zu sehen. Vorverkauf über die Theaterkasse Konstanz, 07531 / 900150, und über theaterkasse@konstanz.de

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