Eine undogmatische, rote Kämpferin
Lotte Schwarz (1910-1971) war eine überzeugte Antifaschistin und musste 1934 vor Hitler in die Schweiz fliehen. Ihre Biografie „Jetzt kommen andere Zeiten“ ruft eine fast vergessene linke Widerstandsgruppe in Erinnerung: die rätekommunistischen «Roten Kämpfer». Beschreibt aber auch das Zürich der Kriegszeit sowie den Einfluss der Emigranten. Und huldigt nicht zuletzt einer der ersten Vorkämpferinnen für das Frauenwahlrecht in der Schweiz
Lotte Schwarz – damals hieß sie noch Lotte Benett – wuchs in Hamburg auf und erlebte als Tochter von sozialdemokratischen Arbeitereltern die Wirren der Weimarer Republik und als Dienstmagd die Willkür der Bürgerklasse. 1932 stieß sie zu einer kleinen rätekommunistischen Gruppe, die sich «Rote Kämpfer» nannte. Hier fanden sich oppositionelle Sozialisten zusammen, die mit der konformen SPD gebrochen hatten, aber auch die autoritäre KPD kritisierten und in traditionellen Arbeiterparteien keine Zukunft mehr sahen. Dafür stand ihnen umso klarer die drohende Diktatur Hitlers vor Augen, der sie durch den Aufbau einer klandestinen Kaderorganisation begegnen wollten. Der Name der Gruppe stammte von einer linkssozialistischen Zeitung im Ruhrgebiet, die von der SPD-Führung scharf bekämpft wurde.
Kampf für das Rätesystem
Karl Schröder, Alexander Schwab, Peter Utzelmann und Helmut Wagner sind Namen, die heute niemand mehr kennt. Damals waren sie die führenden Köpfe der «Roten Kämpfer», jung und unverbraucht. Sie wollten keine neue Partei sein, sondern eine Bewegung, die an die gescheiterte Novemberrevolution von 1918 anknüpfte. Sie waren gegen den Parlamentarismus und für ein Rätesystem, das sie für das geeignete Mittel zur Realisierung eines humanen Sozialismus hochhielten. Die «Roten Kämpfer» trafen sich heimlich, lasen Marx’ «Kapital», gaben die «Rote Korrespondenz» heraus und betrieben ideologische Agitation sowohl in den Reihen der SPD als auch in der kommunistischen Jugend.
Lotte Benett war eine geeignete Drehscheibe der Rätesozialisten in Hamburg , weil sie in einer Bibliothek arbeitete und außerdem in der Kommunistischen Jugend aktiv war. Doch nach Hitlers Machtantritt wurde es immer schwieriger, gefahrlos in der Illegalität zu operieren. In mehreren Verhaftungswellen ließen die Nationalsozialisten ab 1933 Oppositionelle aller Couleur festnehmen und in die entstehenden Konzentrationslager abtransportieren. Lotte Benett hatte Glück, dass sie nicht in der Strafanstalt Fuhlsbüttel landete, die in Hamburg als KZ diente. Mehrere «Rote Kämpfer» wurden in «Schutzhaft» genommen und verschwanden hinter Gittern. Andere wie Helmut Wagner, der mit Lotte liiert war, mussten untertauchen. Beiden blieb wenig später nur noch die Flucht ins Exil nach Zürich.
Hochblüte durch Emigranten
In Christiane Uhligs sorgfältiger Biografie über Lotte Schwarz kann man nachlesen, wie es der Hamburger Antifaschistin als politischer Emigrantin in der Schweiz erging. Das Buch ist vor kurzem unter dem Titel «Jetzt kommen andere Zeiten» im Zürcher Chronos-Verlag erschienen und blendet in die Zwischenkriegszeit zurück, die wohl spannendste Epoche des 20. Jahrhunderts. Zahlreiche deutsche Linksintellektuelle, Schritsteller und Künstler, darunter viele verfolgte Juden und Jüdinnen, setzten sich damals vor der Nazi-Herrschaft in die Schweiz ab. Emigrierte Kulturschaffende sorgten in der kleingeistigen Eidgenossenschaft für eine kurzzeitige kulturelle Hochblüte.
Dank einer Scheinheirat, wie sie aus politischen Gründen oft geschlossen wurde, konnte Lotte in der Schweiz bleiben und sich als Verkäuferin, dann als Bibliothekarin im Schweizerischen Sozialarchiv eine neue Zukunft aufbauen. Lotte heiratete den Architekten Felix Schwarz, der erst vor kurzem im hohen Alter starb. Auch politisch blieb sie aktiv, und zwar vorzugsweise im debattierfreudigen Kreis von Freigeist-Sozialisten wie dem Ehepaar Fritz und Paulette Brupbacher. Der von ihnen veranstaltete «Donnerstagsklub» zählte zu den Treffpunkten, wo linkes Bewusstsein undogmatisch geschärft und gepflegt wurde.
Politische Schockstarre in der Schweiz
Souverän führt Autorin Uhlig durch die zerklüftete Emigrantenszene, welcher Promis wie der italienische Schriftsteller Ignazio Silone, der Wissenschaftler Robert Jungk oder auch weniger bekannte, aber nicht minder wichtige Personen wie die unermüdliche deutsche Bildungsreformerin Anna Siemsen angehörten. Sie alle lebten ein Doppelleben: Emigranten war die politische Betätigung streng untersagt, daher waren sie in ständiger Angst vor den Nachstellungen der fremdenfeindlichen Bundespolizei. Doch mit ihren fieberhaften Aktivitäten brachten sie eine Schweiz intellektuell voran, die offiziell in politischer Schockstarre und ängstlicher Leisetreterei gegenüber einem übermächtig scheinenden Fachismus verharrte.
1936 wagte Lotte Schwarz in tollkühner Manier einen Besuch in Hamburg. Der hätte leicht schiefgehen können, auch wenn sie inzwischen Schweizerin geworden war. Deprimiert musste sie die endgültige Zerschlagung der «Roten Kämpfer» konstatieren. Die allgegenwärtige Gestapo war im Rahmen von Fahndungen nach KPD-Leuten auf diese bisher unbekannte Gruppierung gestoßen. Auch der Name von Lotte Schwarz tauchte auf. Doch unterließen die Nazi-Behörden weitere Ermittlungen, da kaum Aussicht bestand, die Frau je vor ein deutsches Gericht zu bekommen. Die «Roten Kämpfer» wurden wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt und landeten im Zuchthaus und im KZ. Mitgründer Alexander Schwab starb in Haft, und Karl Schröder überlebte die erlittenen Strapazen nur um wenige Jahre. Lottes Freund Helmut Wagner gelang von der Schweiz aus der rettende Sprung in die USA.
Kämpferin für das Frauenstimmrecht
Die Historikerin Christiane Uhlig hatte bei der Abfassung der Biografie ein vergleichsweise leichtes Spiel, da sie auf zahlreiche Texte von Lotte Schwarz zurückgreifen konnte, die auch eine hervorragende Schriftstellerin war. Zum Vorschein kam dabei ein unpubliziertes Romanmanuskript mit dem Titel «Die Brille des Nissim Nachtgeist», das von der Zürcher Emigrantenszene handelt und sich als historiografische Trouvaille entpuppte. Lotte Schwarz verfasste mehrere Erzählungen, hielt Vorträge und schrieb etliche Artikel und Rezensionen in der Gewerkschaftspresse, in denen sie sich insbesondere für die Aufwertung der Haushilfearbeit und des Frauenstimmrechts einsetzte, das in der Schweiz bekanntlich erst 1971 flächendeckend eingeführt wurde. Sie war also eine Feministin avant la lettre.
Im selben Jahr starb Lotte Schwarz im Alter von erst 61 Jahren, nach einem reichen, fraulich-kämpferischen Leben. Dank der Biografie von Christiane Uhlig kennen wir nun das Wirken dieser beeindruckenden Antifaschistin, die durch diese Publikation aus den Tiefen der Geschichte ins kollektive Gedächtnis empor gehoben wird. Ein notwendiges, sehr spannendes und auch politisch wichtiges Buch.
Autor: Ralph Hug
Christiane Uhlig, «Jetzt kommen andere Zeiten». Lotte Schwarz (1910-1971). Dienstmädchen, Emigrantin, Schriftstellerin, Chronos-Verlag Zürich 2012, 220 Seiten, ca. EUR 38.
Die fundierte Besprechung des Buches von Christiane Uhlig freut uns sehr. Bitte beachten Sie: Der Verkaufspreis beträgt ca. Euro 31 (bzw. CHF 38)