Er hatte aber auch Spaß

Nach rund vierzehn Jahren endet die Amtszeit des Konstanzer Theaterintendanten Christoph Nix. Er hat mit einem engagierten Team dafür gesorgt, dass die altehrwürdige Spielstätte wieder eine neue Blüte erlebte, nicht nur in Konstanz, sondern oft weit darüber hinaus. Während seiner Intendanz legte er sich aber auch gerne mit den städtischen Obrigkeiten an – was nicht allen gefiel und bisweilen zu heftigen Auseinandersetzungen führte. Hier sein rückblickender Abschiedstext.

Als der grüne Oberbürgermeister Horst Frank in mein Wartezimmer kam, sah er ziemlich belämmert aus. Ich rechnete also damit, dass der Gemeinderat mich nicht gewählt hatte. Ich wollte ihm schon „Auf Wiedersehen“ sagen, doch er sagte: „Sie haben es.“ Glücklich wirkte er nicht. Gott sei Dank hatte ich den damaligen Bürgermeister Claus Boldt auf meiner Seite. Ein stiller, ruhiger Mensch. Was mich anging jedenfalls immer verlässlich. Kein Zweifel, oft war er vorgeschoben worden, und die Gesundheitspolitik war keine Meisterleistung unter dieser Bürgermeisterei.

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Ich hatte viel Spaß, will sagen, das Theater war ziemlich leer, mit 60-70.000 Zuschauern pro Saison. Es gab Mittwochspremieren um 19.30 Uhr, zu zwei Drittel gefüllt, und das Theater spielte in der Stadt kaum eine Rolle. Es gab ein Defizit von um die 200.000 Euro, und so fing ich lustig an. Wir machten in meiner Eröffnung 33 Premieren. Ich wiederhole es noch einmal: 33 Premieren. Die Stimmung im Ensemble war unvergleichbar. Besser als am Ende meiner Zeit hier. Wir hatten uns dafür entschieden, dass Boxer in der Tiefgarage zu Brecht-Gedichten ihre Haken schlugen. Im kleinen Flugplatz von Konstanz wurde Der Ozeanflug inszeniert, das Haus mit dem Kaukasischen Kreidekreis eröffnet und der großen Frage: Was ist Gerechtigkeit, was Liebe? Mario Portmann setzte gleich das Niveau des Kinder- und Jugendtheaters hoch mit einer Uraufführung von Katz und Maus. Wir machten die Oper El Cimarrón von Henze. Anja Panse spielte den Augsburger Kreidekreis. Es war ein Brechtakel. Ich habe oft an die ersten DramaturgInnen gedacht, an Dr. Birte Werner und Michael von Oppen. Großartig war die Idee von Frank Lettenewitsch, den Konstanzer Totentanz im Freien zu machen.

Wenn Sie mich heute fragen, was mir besonders gefallen hat, so fällt die Antwort schwer. Die Zahl der hier in den 14 Jahren aufgeführten Stücke liegt bei fast 300. Unvorstellbar. Wir machten die Uraufführung Wie im Himmel von Pollak, Doktor Schiwago wurde gespielt, und der Italiener Feltrinelli kam auf Besuch. Wir hatten eine ganze Spielzeit „Die Russen kommen!“ und mein Lieblingsstück Don Camillo und Peppone spielte drüben überm See, als es dort noch lustig war. Natürlich gab es den Marine-Chor aus Konstanz mit einer Hans-Albers-Revue. Lange bevor die anderen Camus entdeckt hatten, spielten wir Das Missverständnis, und schon immer war Neil LaBute bei uns zuhause in diesem finsteren Haus. Ja, ich hatte viel Spaß mit der Oper Mord auf dem Säntis und der Afrikanerin auf der alten Fähre. Und ich hatte vor allem viel Spaß mit dem Sonnenwirt von Kurz, der unglaublichen Tragödie, die sich hier unweit auf dem Hohentwiel abgespielt hat. Wir haben natürlich auch von Scholz nicht ausgespart: Der Jude von Konstanz. Wir haben uns diesem Alt-Nazi-Schriftsteller gestellt und für ihn eine Interpretation gefunden. Wir haben uns überhaupt immer gestellt, wenn es wichtig war. Ja, ich hatte große Freude, Henning Mankell an diesem Haus begrüßen zu dürfen und mit Frank-Walter Steinmeier zu einer Diskussionsveranstaltung zusammenzuführen. Wir haben den Himmel aufgemacht, wir haben die Welt nach Konstanz gebracht. SpielerInnen aus Grönland, dem Irak, Togo, Malawi, Burundi, Kanada. Und wir sind nie verzweifelt. Es ist immer eine Auswahl, die man trifft. Aber wer spielt von Bert Brecht Die Rundköpfe und die Spitzköpfe? Und dann noch mit so viel Humor? Das Entstehen von Rassismen. Wer spielt Die Rassen von Bruckner? Wer hat so einen großartigen Regisseur wie Wolfram Mehring, der in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden ist? Taboris Mein Kampf hat mir etwas den Kopf gekostet, weil sie uns missverstehen wollten, all die Progressiven. All die, die meinen zu wissen, wie die Welt funktioniert. In solchen Situationen merkt man auch, wie alleine man ist.

Aber kaum ist ein Zirkuszelt aufgestellt, kaum sind die alten Zirkusleute da, die ich 40 Jahre kenne, schon spielt Foottit und Chocolat mit dem großartigen Ramsès Alpha und dem wunderbaren Olli Hauenstein. Ja, wir haben viel Spaß gehabt, zwischen all den Dingen, die wir nicht erledigen konnten. Und es ist traurig, dass Wein und Brot, König Baabu, Der Himbeerpflücker, Weisman und Rotgesicht, nie auf die Bühne gebracht wurden. Ich hatte viel Spaß in dieser kleinen Stadt, in der es wenig konstruktive Opposition gibt, in der die Intellektuellen schweigen, in der die Universität abgelegen und die Alltagspolitik eher müde als sexy ist. Beim Theater brannte immer ein Licht. Ich sage herzlichen Dank und bin dann mal weg.

Christoph Nix (Bild: Michael Schrodt)


Zuerst erschienen im „Trojaner“, Ausgabe Juli/2020