Es geschah am 3. Mai 1977

An jenem Tag geriet das Städtchen Singen am Hohentwiel in den Blickpunkt der bundesweiten Aufmerksamkeit. Die beiden RAF-Terroristen Günter Sonnenberg und Verena Becker sind auf ihrer Durchreise in Singen gelandet, werden erkannt und nach einer Verfolgungsjagd festgenommen. Autor Gerhard Zahner, im Hauptberuf Anwalt, hat aus dem Stoff das Bühnenstück „In den Wiesen der Aach“ gemacht, das vergangenen Samstag in der Gems aufgeführt wurde 

Am 3. Mai 1977 betreten ein Mann und eine Frau um 8.25 Uhr das Singener „Cafe Hanser“, einen beliebten Treffpunkt fast direkt am Singener Bahnhof. Sie wollen frühstücken. Kurz darauf meldet sich eine ältere Dame, die ebenfalls im Cafe war, bei der örtlichen Polizeidienststelle und berichtet von zwei verdächtigen Terroristen, die sie im Hanser erkannt haben will. Es war die Zeit der RAF-Hysterie, die damals auf ihren Höhepunkt zutrieb und das ganze Land in einen dauerhaften und oft auch grotesken Erregungszustand versetzte. Brave Bürgersleut` vermuteten in jenen Tagen hinter jedem zweiten Lederjackenträger mit etwas längerem Haupthaar einen mordlüsternen Politrambo.

Nach dem brandheißen Tipp eilen die Polizisten Wolfgang Seliger und Uwe Jacobs sofort ins Hanser und wollen von Becker und Sonnenberg die Ausweise sehen. Die befänden sich in ihrem Auto, lässt das Pärchen wissen. Zusammen macht man sich auf die Suche nach dem PKW. Plötzlich, gegen 9.05 Uhr, eröffnen Becker und Sonnenberg das Feuer und schießen die Polizisten nieder. Jacobs kommt mit einer leichteren Schußwunde davon, Seliger überlebt seine schweren Verletzungen nur mit viel Glück. Die beiden Terroristen fliehen erstmal zu Fuß und erreichen ein Autohaus. Dort zwingen sie einen Kunden mit vorgehaltener Waffe, ihnen seinen PKW zu überlassen.

Es kommt zu einer wilden Verfolgungsjagd mit der Polizei, die schließlich in der Singener Nordstadt auf einer Wiese ihr Ende findet. Die beiden Terroristen verlassen ihr Auto und versuchen zu Fuß zu entkommen. Nach einem kurzen Feuergefecht bleibt Becker mit einem Beinschuss liegen, Sonnenberg wird in den Kopf geschossen. Diese Kugel, das ergaben die späteren Untersuchungen, stammte aus der Waffe, mit der wenige Wochen zuvor Generalbundesanwalt Siegfried Buback erschossen wurde. Sie lag auf der Rückbank des Fluchtautos. Ein Polizist hatte sie benutzt, weil er seine Dienstwaffe bereits leer geschossen hatte.

Ein guter, ja spannender Stoff, den sich Gerhard Zahner (s. Foto), der schreibende Jurist und gebürtige Singener, rund 36 Jahre nach dem Vorfall da ausgesucht hat. Mehrmals schon hat er mit ähnlichen Produktionen für Aufsehen gesorgt. In seinem neuen Stück „In den Wiesen der Aach“ rückt Zahner den Polizisten Wolfgang Seliger (Claudius Kämpf) in den Mittelpunkt. Seliger soll einige Monate nach dem Vorfall auf Anordnung des Bundeskriminalamts an einer filmischen Rekonstruktion mitwirken und schildern, wie es zu seinem „Fasttod“ kam. Das ist belastend für Seliger, er wehrt sich, sträubt sich gegen den schmerzhaften Rückblick: „Ich soll meine Erinnerung wie ein Jojo werfen und es wieder einfangen, als hinge mein Leben noch einmal an einem dünnen Faden (…)“. Kämpf spielt die Rolle des so Gequälten allerdings etwas sehr steif und wirkt bisweilen zu bemüht. Durchweg überzeugend hingegen sein Gegenpart, Hauptkommissar W, der die Dreharbeiten organisiert, gespielt von Raphael Bachmann. Die Erzählerin (Maxi Fetsch) berichtet, quasi als Alter Ego von Seliger, was der „Fasttote“ nicht preisgeben möchte, aber untrennbar mit seiner Geschichte verwoben ist.

Viel Lokal- und Politprominenz, darunter auch der wahrscheinlich neue Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler, versammelte sich in der Gems und es gab langen Beifall, wie man es bei einem Heimspiel auch erwarten darf. An Abenden wie diesen hält man sich in der Regel als Beobachter mit Kritik etwas zurück. Doch spätestens am folgenden Tag bürden sich Fragen auf, die wohl und vor allem auch den Regisseur Otto Edelmann schon während der Proben beschäftigt haben dürften. Taugt das Stück, gerade mal 60 Minuten lang, wirklich für die Bühne? Warum, um Gottes willen, sitzen beispielsweise zwei junge Männer an einem Tisch und geben, was erst am Ende klar wird, Hilfspolizisten ab, die man ersatzlos hätte streichen können. Sie stören und lenken immer wieder vom Eigentlichen ab. Auch das ständig herumhampelnde Fernsehteam wirkt eher lästig. Am liebsten würde man es weg zappen.

Edelmann hätte die interessante und gut durchrecherchierte Vorlage von Gerhard Zahner besser nicht als klassisches Bühnenstück konzipiert. Weniger, und damit ist vorwiegend die irritierende personelle Aufblähung gemeint, wäre mehr gewesen. Uraufgeführt wurde der Stoff am 3. Mai als szenische Lesung – im Cafe Hanser. Und als solche überzeugt das Stück: eng zugeschnitten auf die Hauptdarsteller, ohne überflüssiges Beiwerk, dicht und ähnlich fesselnd wie Zahners letzte Lesung „Boger“, in der übrigens die Hauptdarsteller Raphael Bachmann und Otto Edelmann restlos begeistern konnten.

Weitere Aufführungen von „In den Wiesen der Aach“ in der Singener Gems: 25. bis 30.Juni, täglich ab 20 Uhr. Telefonische Kartenbestellung: 07731-66 55 7 oder: info@diegems.de

Autor: H.Reile