Gefälligkeit ist nicht Jochen Kelters Ding
Der Titel „Wie eine Feder übern Himmel“ trügt: Jochen Kelters neuer Gedichtband hat Biss. Der Schriftsteller scheut sich nicht, immer wieder den Finger auf wunde Punkte zu legen.
Beschaulichkeit ist nicht Jochen Kelters Ding, schon gar nicht Gefälligkeit. Gewiss besucht er in seinen Gedichten die Natur: den englischen Park in Fontainebleau oder den Säntis. Aber oft ist da ein Bruch – die Scheinwerfer des Eiffelturms sind
wie die suchenden
Scheinwerfer / der Flakgeschütze in
der Normandie, und die Männer
laufen / auf den einzigen Grund
unserer Zeit.
„Nach der Natur“ endet so:
zu spät gekommen sein zu
verhindern / dass in den Oktoberstürmen
/ in den Winternächten die
Menschen / in die Wasser steigen
um an keinem / Ort mehr anzulanden.
Düster diese Welt, voller Vulkane (einem der Leitmotive) und mittelmäßigen Zufallsherrschern und Bomben in Bolognas Bahnhof. Jochen Kelter bleibt, nach „Hier nicht wo alles herrscht“ und „Die Möwen von Sultanahmet“ kritisch, politisch, deutlich, an Schauplätzen wie Distomo an Kriegsgräuel sich oft zurück erinnernd. „Von der gerechten Sache“ endet so:
… doch Glück / und
Klugheit werden selten nur / für die
gerechte Sache langen / das Wahre
bleibt zumeist allein / in einem Vers
in einer Zeile hangen.
Starke Bilder statt störender Satzzeichen
Traditionelle Lyrik ist nicht Jochen Kelters Sache. Er verzichtet auf starre Strophen, lässt Sätze über die Zeilen laufen, nutzt gern Ellipsen. Und nirgends sind Satzzeichen. Der Autor zwingt uns, langsam zu lesen. Das strengt an, dient aber den Botschaften:
Der Winter zerfällt zu Leichtigkeit […]/
es braucht keine Worte die Welt ist/
unerheblich nur die Möwen schreien
und / zerfallen im Flug über dem
Wasser / wie die Worte die ihnen
folgen.
Kelter sammelt je sieben einseitige Gedichte in zehn Kapiteln, die nach einem der enthaltenen Gedichte oder einem Vers benannt sind. Wunderbar, wie er im ersten Kapitel „Auf dem Grund der Zeit“ den Grund der Zeit als siebenfaches, durchlaufendes Motiv variiert. Wunderbar die starken Bilder, die er evoziert:
Der Winter zerfällt zu Leichtigkeit/
am Landungssteg döst einer / auf
der Bank an der blauen Sonne.
Und einmal steht Jochen Kelter vor dem Münster in Konstanz:
Plastik Pappbecher Bierdosen / Fast Food
Event Gegröle / Geschmier auf allen
Wegen / der Dunkelkammern /
Der Erinnerung eine alte / Apfellandschaft
am Rand der / Gipfel
der jungen Geldrepublik / aus lauter
braunen Geistern.
Dieter Langhart (Der Text erschien zuerst im St. Galler Tagblatt)
Jochen Kelter: „Wie eine Feder übern Himmel.Gedichte“. Weissbooks 2017. 108 Seiten. 25 Euro.
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