„Gehen, ging, gegangen“
Die Berliner Schriftstellerin Jenny Erpenbeck zu Gast bei den „Konstanzer Literaturgesprächen“. „Jenny Erpenbeck hat das Buch der Stunde geschrieben“, titelte im Spätsommer 2015 „Der Spiegel“ seine Rezension zu „Gehen, ging, gegangen“. Das Buch handelt vom Flüchtlingselend in Deutschland; es ist wohl die längste Stunde in der kurzen Geschichte dieser Republik. Das Thema ist immer noch heiß. Und es wird bleiben, so, wie die Weltlage sich darstellt.
Am Donnerstag Ende August, so heißt es lapidar in dem Buch, versammeln sich zehn Männer vor dem Roten Rathaus in Berlin. Sie haben beschlossen, nichts mehr zu essen. Wenige Tage später beschließen sie, auch nichts mehr zu trinken. Es sind Farbige, sie sprechen kein Deutsch. Sie sprechen englisch, französisch, italienisch. Und noch andere Sprachen, die hierzulande niemand versteht. Was wollen die zehn Männer, Flüchtlinge? Arbeit wollen Sie und in Deutschland bleiben …
Er ist ein „trauriger Glücksfall“ (Elke Schmitter) für die deutsche Literatur, dieser Roman, der fünfte der in Berlin lebenden Autorin, die zunächst als Dramatikerin reüssierte. Er bringt das Dilemma der Flüchtlingspolitik – diesseits und jenseits unserer Grenzen – auf den Punkt: subtil, engagiert, mit viel Empathie und ohne falsches Pathos, vor allem aber mit einer enormen erzählerischen Kompetenz. „Gehen, ging, gegangen“ galt als Favorit für den Deutschen Buchpreis; immerhin gelangte das Buch auf die Shortlist der letzten sechs Titel. Ganz ohne Würdigung blieb der Roman nicht: Erpenbeck wurde der Thomas-Mann-Preis 2016 zuerkannt.
Seit ihrem so grandiosen wie eigentümlichen Debüt „Geschichten vom alten Kind“ (1999) gehört Erpenbeck (s. Foto) zu den „kraftvollsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur“, wie die NZZ zu Recht notierte. In ihren Romanen, Erzählungen, Essays und Dramen stellt sie sich der prekären politischen Geschichte des 20. Jahrhunderts ebenso wie den brennenden Fragen der Gegenwart. Sie nimmt dabei eine Haltung ein, die durch ihre unbedingte Aufrichtigkeit überzeugt.
In „Gehen, ging, gegangen“, sagte sie in einem Interview, versuche sie „unsere Wirklichkeit, das, was wir für selbstverständlich halten, auch mit den Augen der Flüchtlinge anzuschauen.“ Versuch geglückt. Auch in Romanen wie „Heimsuchung“ (2008) oder „Aller Tage Abend“ erzählt sie von Tätern, Opfern und Mitläufern in Umbruchs- und Migrationszeiten wie den heutigen – und das in einer ebenso eigenwilligen wie mitreißenden Sprache.
Nun ist Jenny Erpenbeck Gast der „Konstanzer Literaturgespräche“; bereits am Vortag liest sie in Friedrichshafen im Kiesel. An beiden Abenden wird sie begleitet von Wolfgang Ferchl, Programmchef bei Knaus, wo Erpenbecks Bücher herauskommen. Ferchl ist am See kein Unbekannter. Der 59-Jährige studierte in Konstanz u. a. bei Hermann Kinder, volontierte in einem Konstanzer Verlag und hat auch bei anderen prominenten Verlagen wie Piper und Eichborn Buchzeichen gesetzt. Die Besucherinnen und Besucher dürfen einen spannenden Abend erwarten.
Apropos Hermann Kinder. Sein neues Buch „Porträt eines jungen Mannes aus alter Zeit“ (eine Rezension von Ernst Köhler war kürzlich auf seemoz nachzulesen), wird am Donnerstag, 21. Juli, ebenfalls im Rahmen der „Konstanzer Literaturgespräche“ diskutiert. Für den Herbst kündigt „Forum Allmende“, unter dessen Dach die Reihe durchgeführt wird, einen Abend mit Büchner-Preisträger Arnold Stadler an. Nach mehr als zehn Jahren wird im Sommer ein neuer Roman von ihm im S. Fischer Verlag erscheinen.
Konstanzer Literaturgespräche mit Jenny Erpenbeck am Dienstag, 21. Juni, 20 Uhr, Spiegel-Halle (Hafenstraße 12). Moderation: Wolfgang Ferchl. Eintritt 8.- €, Karten nur an der Abendkasse.
MM/M. Bosch