Grauenvoll: Und das gleich doppelt!
Vor 100 Jahren eroberte das Grauen die Leinwände der Weimarer Republik. Friedrich Wilhelm Murnaus (unautorisierte) Adaption des Romans „Dracula“ von Bram Stoker ist das Gründungsdokument kinematographischen Horrors, gleichermaßen ein ästhetischer Meilenstein wie eine visuelle Verarbeitung sozialer Traumata. Am 11. April um 19 Uhr zeigt das Zebra Kino in Kooperation mit der Universität und dem Theater Konstanz den Film in einem double feature zusammen mit der Neufassung des Films durch Werner Herzog aus dem Jahr 1978 mit Klaus Kinski als tief melancholischem Vampir.
Vampire? Diese Blutsauger mit Fangzähnen und wallenden Mänteln, gegen die Knoblauch und Pflöcke durch’s untote Herz helfen? Ist das nicht etwas, was nur noch Teenis interessiert? Von der kalifornischen Vampirjägerin Buffy über die schmachtenden Augen Robert Pattisons als verliebter Blutsauger Edward Cullen der Twilight-Saga oder der Endlosigkeit vampirischer Tagebücher zwischen Menschen- und Tierblut scheint der Vampir inzwischen eine recht harmlose coming-of-age-Figur geworden zu sein. Haben blutsaugende Untote uns noch etwas zu sagen?
Vielleicht schon. Vor kurzem erschien im Suhrkampverlag, noch immer das Herz der literarischen Hochkultur Deutschlands, der Roman „Die nicht sterben“ von Dana Grigorcea, der die postkommunistische Gesellschaft Rumäniens mit ihren unruhigen Untoten thematisiert. Und wenn man sich in den autokratischen Gegenwarten so umschaut, dann könnte man auf den Gedanken kommen, das das politisch Untote gerade nicht nur jenseits der Wälder fröhliche Urständ feiert.
Vampire sind an allem schuld
Aber auch die Pandemiesituation eignet sich in doppelter Weise in der Vampirfigur passende Bilder zu finden. Einerseits ist der Vampir spätestens seit dem 18. Jahrhundert auch eine Figur der Seuche, die sich von einer Person auf die nächste überträgt. Der Biss in die Halsschlagader ernährt ja nicht nur die Untoten, sondern kreiert von Biss zu Biss auch neue Untote mit, ja, man mag es kaum mehr sagen, einer Tendenz zu exponentiellem Wachstum. Auch zu realen Seuchenzeiten ist der Vampir immer wieder eine mögliche Erzählfigur und manchmal, leider, auch Erklärfigur gewesen: Cholera- und Tuberkuloseepidemien wurden immer wieder dem Wirken von Vampiren zugeschrieben.
„Consumtion“ („Verzehrung“) war während des 19. Jahrhunderts in den USA der Begriff, auf den man die Tuberkulose brachte. 1820 beispielsweise gruben die Einwohner des Städtchens Griswold in Connecticut ihren an Tuberkulose verstorbenen Mitbürger John Barber wieder aus, um ihm das bereits verweste Herz aus dem Leib zu reißen und den Körper mit schweren Steinen am Verlassen des Grabes zu hindern.
Diese Methode ist durchaus typisch. Die moderne Vorstellung des Vampirs wird im 18. Jahrhundert geprägt. 1725 stirbt im serbischen Dorf Kisolova, das damals zum Habsburgerreich gehörte, Peter Plogojoviz. Acht Tage später sind neun weitere Menschen tot. Alle sind, davon sind die Dorfbewohner, laut Bericht des Kaiserlichen Kameralprovisors Frombald, überzeugt, von Plgogojoviz posthum ermordet worden. Die kaiserliche Verwaltung ist interessiert an einer schnellen Beruhigung der Situation und erlaubt deshalb das von den Dorfbewohnern für angemessen angesehene Pfählen und Verbrennen der Leiche. Dieses ist nur der erste einer ganzen Reihe von Fällen, in denen Tote nicht verwesten, voll frischen Blutes seien, nachts umhergingen und Menschen wie Vieh die Lebenskraft aussaugten und eben deshalb durch Pfählen, Köpfen, Beschweren der Leichenteile oder schließlich ihrer Verbrennung unschädlich zu machen seien.
Die Geschichte entwickelt sich zum gelehrten Medienhype in ganz Europa. Das protestantisch-aufgeklärte Preußen kann sich kaum halten vor Ergötzen ob der Rückständigkeit des katholischen Habsburgerreiches. Maria Theresia möchte die Fälle medizinisch aufgeklärt und beendet sehen: nach verschiedenen Medizinern schickt sie auch ihren Vertrauten und Leibarzt, Gerhard van Swieten.
Die Aufklärung gelingt, aber der Vampir ist in der Welt. Das Wort basiert auf einem Missverständnis der Ärzte, die die lokalen Sprachen und Dialekte nicht oder nicht hinreichend verstehen und das verstanden Geglaubte eben ‚Vampir‘ nennen: ein produktives Missverständnis, denn im Unterschied zu den korrekten Ausdrücken verschiedener slavischer Sprachen ist Vampir in allen üblichen Hochsprachen des westlichen Europas problemlos artikulierbar.
Der Vampir als Popikone
Und so entstehen stückweise alle Versatzteile einer Figur, die bis heute die Fantasie vieler Mediennutzer:innen inspiriert: die Fangzähne und das Blutsaugen zunächst, der adelige Status und die tierhafte Wandelbarkeit darauf, der Mantel, das zurückgegelte Haar, der Sexappeal, die Promiskuität, die Gewalt des Begehrens… Aus einer dörflichen Figur wird eine Popikone, die nicht nur gegenwärtige und zukünftige Medienproduktionen befeuert, sondern auch vergangene Erscheinungen – Wiedergänger, Nachzehrer, schmatzende Leichen – in ein einheitlich erscheinendes Mythologem zusammenführt.
Zentrale Schaltstelle dieser Umdeutung ist wohl Bram Stokers 1897 erschienener Roman „Dracula“, der selbst ein Durchlauferhitzer verschiedenster Erzählungen, Glaubensvorstellungen, Medienberichte darstellt. Und Stokers Roman ist so produktiv in der Vampirisierung der Medienwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dass auch das neu entstehende Massenmedium Film sich seiner – vampirestyle ohne Zustimmung der rechteinhabenden Witwe Stokers – annimmt. Dass 1925 das Urteil ergeht, alle bestehenden Filmkopien seien zu verrnichten, ficht Untote kaum an. Es überleben zahlreiche Schnittfassungen, die inzwischen nicht nur zusammengefügt und digital auf’s Schönste wiederbelebt wurden, sondern auch Murnau geht als Gründer eines ganzen Filmgenres in die Geschichte ein.
Freilich – so geht es Leuten, die sich mit den Untoten einlassen – hat Friedrich Wilhelm Murnaus Leiche irgendwann 2015 seinen Kopf verloren. Bis heute bleibt der Schädel vermisst.
Wann? 11. April, 19 Uhr
Wo? Zebra Kino Konstanz
Die Vorführung ist Teil einer Kooperation zwischen Theater und Universität anlässlich der Theaterfassung des Stoffs für das kommende Konstanzer Sommertheater auf dem Münsterplatz.
Text: Albert Kümmel-Schnur
Bild: Pixabay