Hilfe, die durchgeknallten Russen kommen

Regisseur Andrej Woron hat eine ihm sehr eigene Handschrift. Grell, laut, pornografisch, skurril. Wer das nicht mag, wird kein Freund von „Hundeherz“. Woron-Fans hingegen müssen umgehend zur Spielzeitstart-Inszenierung in die Konstanzer Spiegelhalle. „Hundeherz“ ist – wie so häufig bei Woron – hervorragend.

Rumms, geht die Tür auf und herein stürmen sie, begleitet von sibirischem Schneegestöber: die Russen. Singend, grölend, saufend. Mit Pauken und Trompeten, mit leichten Mädchen im Arm, mit Fellkappen und schweren Lederstiefeln. Ein eisiger Wind weht durch Moskaus Straßen und man möchte nicht einmal einen Hund vor die Tür jagen – doch genau da ist er gelandet: Lumpi, ein Straßenköter mit räudigem Fell und einer fies eiternden Verletzung an der Flanke.

Wie eine Erscheinung taucht da der noble Herr im Pelzmantel auf, der feine Wurst in der Tasche hat und Lumpi damit in seine Wohnung lockt. Der Hund kann es kaum fassen: Perserteppiche, Ölgemälde, ein Klavier – kein Zweifel, er hat den Jackpot der Hundelotterie geknackt, wenn das sein künftiges Zuhause sein soll. Der angesehene Professor Dr. Preobraschenski, Inhaber dieses luxuriösen Etablissements, kümmert sich rührend um den Streuner – bis dieser begreift, warum, ist er schon auf dem OP-Tisch gelandet und damit ist auch klar, woher die geballte Nettigkeit weht: Lumpi wird Teil eines Experiments. Hoden und Hirnanhangsdrüse werden durch menschliche Organe ersetzt. Was nicht zu erwarten war: Lumpi überlebt den Eingriff, verwandelt sich zu seinem Spender, dem Balalaikaspieler, und macht dem Professor das Leben zur Hölle.

Die satirische Vorlage von Michail Bulgakow aus den 1920ern geht der Frage des „Neuen Sowjetmenschen“ nach, an welchem zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts eifrig gebastelt wurde. Die Hodenverpflanzung ist also keine Erfindung der Literatur, und auch heute ist die Verwendung tierischen Gewebes Usus, denken wir nur an Herzklappen von Schweinen. Ist das der Grund, dass manch einer so ein herzloses Schwein ist? Bulgakow spielt mit dieser Metamorphose und lässt seinen Lumpi zu einer Person des Proletariats werden, sogar mit fester Anstellung und bald auch einer Braut.

Gefundenes Fressen ist dieser Stoff für Regisseur Andrej Woron, der in der vergangenen Spielzeit mit „Der Meister und Margarita“, ebenfalls aus der Hand Bulgakows, eine schrille und knallige Inszenierung auf die Bühne brachte. Seiner Handschrift bleibt er in „Hundeherz“ treu und übernimmt auch einige Elemente aus der letzten Inszenierung. Wem der wilde Umzug der Hexen bei „Der Meister und Margarita“ zu schnell um die Ohren geflogen ist, bekommt in der Spiegelhalle nochmal die Möglichkeit einer näheren Betrachtung.

I like Woron

Woron arbeitet am Theater wie an einem Gemälde: Das Bühnenbild ist seine Leinwand. Mit groben Pinselstrichen malt Woron ein opulentes russisches Wohnzimmer, das sich im Handumdrehen in einen weiß gekachelten OP-Saal verwandelt. Allein das statische Bild wäre schon ein Kunstwerk für sich, doch damit ist es bei Woron lange nicht genug. Er füllt die Inszenierung bis zum Rand mit einer Bildersprache Russlands, die er bis ins Ironische zieht.

Das zeigt sich, wenn André Rhode als Hipsterprolet verkleidet zur Penisverlängerung „kommt“, oder Antonia Jungwirth als Revolutionärin nicht nur die Fassung, sondern auch mal die Buxe verliert. Es sind (homo-)erotische Momente, die nicht ausbleiben dürfen, schrille, bunte Kostüme, die mit winzigen Details gekonnt Highlights setzten, aber vor allem sind es Szenen, die vor Skurrilem nur so strotzen und in ihrer Anordnung einfach genial sind, die einen echten Woron ausmachen. Hier sei das überragende ornithologische Flötenkonzert genannt – man möchte sich die Szene mit nach Hause nehmen und in Dauerschleife laufend übers Bett hängen.

Neue Ensemblemitglieder: vielversprechend

Die Premiere von „Hundeherz“ ist die zweite der neuen Spielzeit und damit Auftakt für neue Mitglieder des Ensembles, die allesamt einen fulminanten Start aufs Parkett legen. Beginnen wir mit der Dame, Renate Winkler, sie spielt das Hausmädchen und ist mit ihrer Frida-Kahlo-artigen Aura eigentlich fast schon zu schön für eine einfache Angestellte, die sie mit Witz und Esprit vorführt.

Harald Schröpfer, der bourgeoise Professor, hat seine Rolle bis ins Detail verinnerlicht und changiert in dieser gekonnt zwischen Sanftmut und Cholerie. Und dann ist da noch Nikolai Gemel: Lumpi. Er hat die Körpersprache des Hundes studiert und hält die damit verbundene Anspannung während des gesamten Stückes aufrecht – bis in die Zehenspitzen. Vermenschlicht erinnert er an den Wiener Xanax-Rapper Yung Hurn und gibt überzeugend den alkoholaffinen Kneipenmusiker. In allen drei Fällen kann man sich auf weitere Inszenierungen freuen.

Und auch das bestehende Ensemble zeigt sich wunderbar. Axel Julius Fündeling ist herrlich korrekt und spießig, Jonas Pätzold hat den Durstlöscher im Griff wie kein zweiter und Denis Ponomarenko gehört natürlich zum russischen Inventar. Die Statisten Jens Weber und Michael Käse fügen sich nahtlos in das verrückte Treiben.

Alles in allem ein wunderbarer Theaterabend, der Woron-Fans auf ihre Kosten kommen lässt. Lediglich das Ende kommt ein wenig überraschend und wirkt nicht ganz rund. Ist der Lumpi jetzt tot? Oder doch wieder ein Hund? Während man noch rätselt, geht das Licht an und der Applaus erschallt – verdientermaßen.

Veronika Fischer (Foto: Ilja Mess/Theater Konstanz)