How to get away without murder
Ein Schweizer Bauer in den schottischen Highlands. Agenten, die sich die Straßenlaterne, unter der sie des Nachts eine Wohnung observieren, erst selbst aufstellen. Tote, die sich auch nach ihrem Ableben noch zu Wort melden, weil … ja warum eigentlich? Wo gibt es denn sowas? In der Kriminalkomödie „Die 39 Stufen“, die Joachim Rathke aktuell am Theater Konstanz inszeniert.
Das Stück basiert auf Patrick Barlows Bühnenfassung von Alfred Hitchcocks Spionagethriller aus dem Jahr 1935. Letzterer wiederum nahm sich den gleichnamigen Abenteuerroman des englischen Schriftstellers John Buchan zur Vorlage und ergänzte diesen um zahlreiche weitere Ereignisse.
„Die 39 Stufen“ erzählen die Geschichte des Junggesellen Richard Hannay, der im Theater in London auf die russische Agentin Annabella trifft. Sie bittet ihn, die Nacht in seiner Wohnung verbringen zu dürfen, um ihre Verfolger – zwei feindliche Spione – abzuhängen. Und schon steckt Hannay mittendrin im Schlamassel um den Spionagering „39 Stufen“. Auf der Flucht vor der Polizei, die ihn als Mörder sucht, begibt er sich auf eine abenteuerliche und irrwitzige Reise von London nach Schottland. Auf dem Weg macht er viele urkomische Begegnungen, denen es aber auch an Nervenkitzel nicht mangelt.
Vier Schauspieler*innen in 39 Rollen
Um genau zu sein, sind es eigentlich drei Schauspieler*innen in 38 Rollen, denn Patrick O. Beck als Richard Hannay bildet die einzige Konstante. Den unschuldigen Helden, der durch die äußeren Umstände getrieben von einer brenzligen Situation in die nächste geworfen wird und dabei alle Herausforderungen annimmt, beherrscht er aus dem Effeff. Seine Kolleg*innen Maëlle Giovanetti, Miguel Jachmann und Dominik Puhl stehen dem Hauptdarsteller in diversen Rollen – von besagtem Schweizer Bauer (Giovanetti) über den talentierten „Mr. Memory“ (Jachmann) bis zum mysteriösen Professor mit nur neun Fingern (Puhl) – in nichts nach. Maëlle Giovanetti jongliert mit Akzenten, Miguel Jachmanns Stimme brilliert in verschiedenen Gesangseinlagen und Dominik Puhl kann Eleganz im Frauen-Negligé genauso wie im Smoking. Für das Publikum können Stücke mit so vielen Rollenwechseln der blanke Horror sein, wenn nicht mehr erkennbar ist, welche Figur was genau gesagt oder getan hat. Doch das ist für die drei Darsteller*innen kein Problem. Im Eiltempo werden die Kostüme gewechselt. Jede Figur bekommt einen einzigartigen Habitus und eine unverwechselbare Stimme, die makellos durchgehalten werden – und am besten ist: Das Ensemble strotzt vor Freude am Gag, vor Perfektion für das passende Timing und Liebe zum komödiantischen Spiel!
Die Kunst des Understatements
Rathkes Inszenierung erweist sich nicht nur hinsichtlich der Besetzung als stimmige Gesamtkomposition. Sie glänzt durch die Leichtigkeit, mit der dem Publikum die dramatischen Ereignisse um den Helden Richard präsentiert werden. Da wir uns in Zeiten des Schwarz-Weiß-Films bewegen, ist die Bühne (Caro Stark) in schwarz und weiß gestaltet. Die schwarz-weißen Streifen an den Seitenwänden und der Decke laufen auf eine graue Metall-Rückwand zu, die meist von einem weißen Vorhang verdeckt wird. Selbst das wenige Mobiliar ist schwarz-weiß gestreift. Die Proportionen, etwa von Stehlampe und Straßenlaterne, sind nicht immer stimmig, aber gerade deshalb reicht es vollkommen aus, wenn die Forth Bridge einfach aus zwei Leitern besteht. Die Darsteller*innen bauen in der dynamischen Inszenierung viel um, aber jede Bewegung erscheint exakt getaktet und lenkt in keinem Fall von der Handlung ab. Farbige Requisiten und Kostüme (ebenfalls Caro Stark) wirbeln die schwarz-weiße Übersichtlichkeit ihrer Umgebung ordentlich durcheinander. Im Vergleich zu anderen modernen Inszenierungen kommen viele Requisiten zum Einsatz, dennoch wirkt das Stück nicht überladen. Mordopfer verabschieden sich nicht mit einem Schrei des Erschreckens oder des Schmerzes, sondern mit Sätzen wie „Oh, shit!“ und lassen die kaltblütige Weise, auf die sie zu Tode gekommen sind, nebensächlich erscheinen. Auch hier echt britisches Understatement also, das Hitchcock höchstselbst an der Romanvorlage so schätzte.
„Die 39 Stufen“ am Theater Konstanz ist Persiflage von Horror- und Agentenfilmen und Hommage an das Genre zugleich. Als Zuschauer*in kommen einem immer wieder bestimmte Posen oder Szenen bekannt vor und man muss obgleich der überzeichneten Darstellung sofort schmunzeln. Die charmante Selbstironie (Stichwort „eiserner Vorhang“) tut das ihrige. Spannung und Unterhaltung kommen nicht zu kurz. Das Stück verspricht einen heiteren Abend mit Hintersinn – für die Einhaltung von Infektionsschutzprozedere und Maskenpflicht wird man royal belohnt!
Weitere Aufführungstermine: 9.12./16.12./17.12./18.12./22.12./31.12.
Text: Franziska Spanner
Bild: Theater Konstanz