I Will Rock You
Dieses Gespräch ist eins von der Sorte „Früher war alles besser“: Zwei alte weiße Männer unterhalten sich über Dinge, von denen Menschen wie Du, der Du nicht mehr unter dem Kaiser … Aber lassen wir das. Ein Gespräch mit Thomas Bohnet, heutzutage in Konstanz vor allem als DJ mit seiner „Tour de France“-Reihe im K9 populär, über Vergangenheit und Gegenwart der Konstanzer Musikszene, über Moden und ewige Werte. Und darüber, wie die „Einstürzenden Neubauten“ beinahe mal die Uni lahmgelegt hätten.
Dies ist Teil 1 des Gesprächs, Teil 2 lesen Sie hier.
seemoz: Du bist seit bald 40 Jahren unter anderem DJ. Viele Leute denken bei DJs an Palmen, Glamour, ganz viel Sex und Parties bis zum Sonnenaufgang. Wie wird man/frau DJ?
Thomas Bohnet: Man/frau? Lass‘ das Gendern! Wir beide sind Jahrgang 1958, da wirkt das ziemlich albern. Und zu Sex sage ich eh nichts, denn ich bin schon lange glücklich verheiratet, sehr, sehr glücklich. Aber klar, jüngere Kollegen von mir, selbst in den Kleinstädten und Dörfern … DJs kommen da gleich nach dem Rockstar, und Rockstars gibt’s da nicht (grinst).
seemoz: Wie also fing alles an? Was hast Du richtig gemacht?
Thomas Bohnet: Alles purer Zufall. Ich bin 1980 nach Konstanz gekommen und habe an der Uni mit Sozialwissenschaften begonnen. Ich war damals noch Juso, denn im Nordschwarzwald, wo ich herkomme, waren das die Linkesten. Hier an der Uni gab es aber echte Linke, und mir waren die Jusos schnell zu wenig links. Ich bin also bei den Basisdemokraten gelandet und wurde dann später auch in den AStA gewählt [die damalige Studentenvertretung].
seemoz: Richtig, ich entsinne mich noch, wie Du an der Uni vor 1.000 Kommilitonen im Audi Max eine flammende Rede zum Lobe des Genossen Len …
Thomas Bohnet: … Du wirst senil! Das war nie mein Ding, vor einer Vollversammlung von 600 Leuten zu reden, das konnten andere viel besser. Ich habe bald geholfen, Konzerte zu organisieren. Die Uni hatte etwa 4.000 Studierende, und der AStA hat Konzerte veranstaltet, bei denen bis zu 1.000 Leute kamen. Ich habe mit aufgebaut, an der Kasse gesessen usw., auch bei dem legendären Konzert der „Einstürzenden Neubauten“. Das war am 15.2.1982 im Eingangsbereich der Uni [Thomas führt seit den 80ern eine Konzertdatei]. Da ist FM Einheit mit einem Presslufthammer von der Bühne runtergesprungen und hat angefangen, die Steine aufzubohren. Am nächsten Morgen haben uns die Hausmeister erzählt, dass das eine ziemlich blöde Idee war, weil dort zahlreiche Leitungen verliefen. Wir haben also richtig Glück gehabt, dass es nicht einen Riesenstress und einige Verletzte gab.
seemoz: Der Asta war damals eh ein eigenes Biotop. Ich glaube, manche Leute haben da sogar gewohnt?
Thomas Bohnet: Beinahe. Ende 1982 hat der Asta ein Konzert mit „Misty in Roots“ veranstaltet, einer damals ziemlich angesagten englischen Reggae-Band. Ich habe ihnen säckchenweise Gras besorgt, das ich selber und Freunde auf dem Balkon angebaut hatten. Die Band hat drei Tage lang in den Räumen des Asta an der Uni gelebt. Das waren Vegetarier, die allerdings Fisch aßen, und sie haben dort mehrfach Fisch gekocht. Ich weiß nicht, was das für ein Zeug war, aber der ganze Trakt hat wochenlang nach Fisch gestunken. Sehr zur Freude der Angestellten der Univerwaltung, die den Mief aushalten mussten.
Ich hatte viel Stress mit den zehn Leuten, denn die haben jeder Frau, die vorbeikam, hinterhergepfiffen. Das waren zwar alles nette Menschen, aber ich musste ihnen immer wieder klar machen, dass der Raum gegenüber das Frauenreferat des Asta ist, und dass sie sich gefälligst zusammenreißen sollen mit ihren Machoallüren. Ich hatte Angst, die laufen einer Frau hinterher bis in den Trakt für die Biologie, und dann finden sie nie wieder zum Asta zurück, und ich muss sie als vermisst melden …
seemoz: Die Uni war damals das Herz für den Konstanzer Musikkreislauf?
Thomas Bohnet: In der Stadt war sonst wenig los. 1980 gab es das „s’beese Miggle“, eine legendäre Studenten-Kneipe, das „Café Chaos“, wo ich gern war und die Punks rumhingen, und nachts die Halbwelt-Disco im Kino am Bodanplatz, wie hieß die noch mal?
seemoz: „Roxy Bar“.
Thomas Bohnet: Die war aber scheißteuer. Und dann gab es noch die „Seekuh“, aber die war sehr gediegen, richtig jazzclubmäßig, die machte Hannes Bärmann, der vorher Journalist beim „Südkurier“ war. Da gingen wir ungern hin, das war was für Vollbartträger – und Vollbart war damals ganz klar no go.
Die legendäre „Katakombe“ [an der Laube, heute ist dort das „Pinocchio“] hatte im Herbst 1980 gerade dichtgemacht, und irgendjemand aus meiner Clique hat in der Not das „Mikado“ entdeckt. Das war ein großer Laden, in dem viele Spielgeräte, Flipper und Daddelautomaten standen Eigentlich ging da aber niemand rein. Das lag an der Salmannsweilergasse in einem Hinterhof, direkt hinter dem besetzten Haus am Fischmarkt. Etwa dort, wo heute die kulturell wertvolle Tiefgarage steht.
seemoz: Geschichte wird gemacht, es geht voran! [Fehlfarben!]
Thomas Bohnet: Jetzt rede mir mal die Konstanzer Stadtentwicklung nicht schön! Die Leute hinter der Theke, Chefin Mariangela, Hammid sowie Mariangelas Bruder Claudio, waren sehr nett, aber da war nichts los, nur fünf bis zehn Gäste, ziemlich stier an irgendwelchen Automaten. Wir waren bald so 15 oder 20 Leute, die da öfter mal reingingen, vor allem, weil dort einfach Platz war.
Die hatten zwei Plattenspieler und eine Mixanlage rumstehen. Irgendwann haben wir gefragt, ob wir mal Platten auflegen dürfen. Dann sind Hubert Knoblauch, der heute Soziologieprofessor in Berlin ist, der heutige Rechtsanwalt Raphael Fischer, ich und noch ein paar andere dort abends mit unseren eigenen Platten aufgetaucht und haben aufgelegt. Damals mussten wir früh anfangen, denn es war ja schon um Mitternacht Sperrstunde, nur am Wochenende ging es bis um eins.
seemoz: Das war kein Problem, man musste mit dem Vorglühen halt um 16 Uhr anfangen, die Geschäfte machten alltags noch um 18.00 Uhr zu, samstags um 12:00 oder 13:00 Uhr …
Thomas Bohnet: Egal, wir haben da von Mittwoch bis Samstag aufgelegt, das sprach sich schnell rum, und der Laden begann zu brummen. Wir haben, glaube ich, 30 oder 40 Mark pro Abend bekommen für vier Stunden Auflegen. Das Wichtigste war aber nicht das Geld, klar, das haben wir als Studenten auch brauchen können, aber vor allem konnte ich dort umsonst trinken, und zwar immer, auch an Abenden, an denen ich nicht aufgelegt habe. Das Gebäude wurde dann vielleicht anderthalb Jahre später im Zuge der Sanierung des Fischmarkts abgerissen.
Das waren meine ersten Erfahrungen als DJ. Parallel dazu habe ich mit anderen bei den großen Studentenparties an der Uni aufgelegt. Das war mein Einstieg als DJ – und als Konzertveranstalter.
seemoz: Aber damit kamest Du sicher nicht über die Runden?
Thomas Bohnet: Ich habe ab 1983 oder 1984 im „Nebelhorn“ [alternatives Stadtmagazin in Konstanz, Vorläufer von seemoz] mit Filmkritiken angefangen und mir dort dann mit Harald „Hucky“ Fette bald auch die Musik geteilt. Allerdings unentgeltlich. Das „Nebelhorn“ hat sich grade mal selbst getragen.
Außerdem waren Hucky und ich sicher dreimal die Woche in Zürich zu Konzerten und haben die Redaktion der legendären Sendung „Sounds“ von DRS III in Basel besucht und über sie im „Nebelhorn“ geschrieben. 1987 kamen die „Chills“ aus Neuseeland, damals eine angesagte Band, nach Stuttgart, und da haben wir sie für „Sounds“ interviewt, so dass die eine Sendung daraus machen konnten. Das haben wir immer öfter gemacht und wurden so was wie Deutschland-Korrespondenten und Interviewzuträger für die Schweizer. 1989 ging zum Beispiel der Grunge los. Damals haben wir für „Sounds“ die Band „Mudhoney“ interviewt. Damals dachten alle, wenn es eine Grunge-Band schafft, dann die, „Nirvana“ hatte niemand auf der Liste. Ich habe bald neben dem Nebelhorn auch noch für die WOZ in Zürich geschrieben und kam darüber auch zur taz in Berlin. Schreiben wurde mein nächstes Standbein.
seemoz: Wir beide waren ja auch mal Konkurrenten auf dem Markt der Anzeigenblätter.
Thomas Bohnet: Ja! Anfang der neunziger Jahre war ich anderthalb Jahre bei dem unsäglichen Anzeigenblättchen „Kreuzlinger Nachrichten“ beschäftigt, das war mein erster fester Job, bei dem es richtig Geld gab. Das Geld war eine neue Erfahrung für mich. Bis dahin lief es so: Als meine heutige Frau Karin das erste Mal bei mir übernachtete, und wir morgens aufstanden, klingelte es, und der Gerichtsvollzieher kam in die Wohnung gestürmt. Karin war ganz überrascht, dass der mich auch noch persönlich kannte, weil er schon ein paar Mal dagewesen war. Karin hat mich trotzdem nicht verlassen, was ich ihr bis heute hoch anrechne (lacht).
Das war aber auch deshalb eine tolle Erfahrung, weil der Thurgau stockschwarz war und ich eher links. Der Verleger jedenfalls war erzkonservativ. Er hatte eigentlich eine Druckerei in Wil und unterhielt circa 10 kleine Anzeigenblätter mit Auflagen zwischen 15.000 und 30.000. Damit hatte er eine Gesamtauflage von 150.000 oder so, reichte also schon an den Südkurier heran, er hat damit seine Druckerei ausgelastet.
seemoz: Bei Euch ging es sicher auch nicht um redaktionellen Text, sondern um Anzeigen?
Thomas Bohnet: Genau so ist es. Ich hatte mal 20 oder mal 16 Seiten, auf denen ich mit meinen Texten die Lücken zwischen den Anzeigen füllen musste, und das erschien dann einmal in der Woche. Thematisch konnte ich aber einige Schwerpunkte setzen. Ich war überrascht, wie viele tolle Leute es im stockkonservativen Thurgau gab. Musiker, Theaterleute, Schriftsteller, hochengagiert, oder die Genossenschaft Löwen in Sommeri. Außerdem musste ich Straßenumfragen machen, „wie finden Sie das Wetter“ oder so, alles totaler Quatsch. Die Leitartikel allerdings waren der Horror, denn es sollte gern mal was Rechtes sein, am besten „Stoppt die Asylantenflut!“ oder in dem Stil. Da sollte ich dann immer den sogenannten „Leitartikel“ des Kollegen aus Will mitübernehmen. Der war selber Österreicher, hat die Schweizer aber in Sachen Ausländerfeindlichkeit noch rechts überholt. Ganz schlimme Artikel konnte ich verhindern und dann selber was schreiben. Einmal habe ich einen Text zum Thema „Armut im Thurgau“ verfasst, mit dem ich Probleme mit dem Herausgeber hatte der einfach meinte, es gäbe doch gar keine Armut im Thurgau. Naja. Nach eineinhalb Jahren habe ich gekündigt; ich denke mal, ich bin dem Herausgeber nur knapp zuvorgekommen … Aber ich habe dort viel gelernt, etwa unter Zeitdruck zu schreiben. Ich habe damals auch noch die Fotos in der Dunkelkammer selbst entwickelt und abgezogen, ich habe die Texte an einer Schriftsatzmaschine eingegeben und gesetzt, es war sehr lehrreich. Zudem hatte ich zwei sehr nette Kolleginnen in der Anzeigenabteilung.
seemoz: Wie ging es denn mit dem Kulturladen in der Chérisy-Kaserne los? Der war doch – von der Stadt aus gesehen – im letzten Gebäude oben unterm Dach, direkt an der Elberfeldstraße? Heute ist er ja im stadtseitig ersten Gebäude an der Oberlohnstraße.
Thomas Bohnet: In den achtziger Jahren gab es in Konstanz Jazz-Konzerte, Punk-Konzerte und Hard Rock, etwa „High Voltage“, aber es gab keine Indie-Konzerte, obwohl hier ja auch viele Studenten waren. Einige Leute wollten das ändern. Hucky und ich, aber auch der Österreicher Claudius Baumann vom Südkurier (ein wunderbarer Mensch!), der seine Doktorarbeit über depressive Texte in der Rockmusik geschrieben hat und leider viel zu früh verstorben ist, Michael Zinsmaier, der das tolle Fanzine „Out of Depression“ machte, dann noch Andreas und Wolfgang vom legendären Plattenladen „Kanal 23“. Wir haben uns den Namen „Der Pakt“ gegeben und sind als Konzertveranstalter aufgetreten. 1986 ging es los, wir haben „The Membranes“ im Jugendzentrum gemacht und an der Uni den damals grade zum Indie-Star durchstartenden „Phillip Boa and the Voodooclub“.
seemoz: Eine Art Konzertveranstalter-Genossenschaft?
Thomas Bohnet: Nicht ganz. Zu Anfang haben wir mit Geldern der Uni oder des Jugendzentrums gearbeitet und nichts riskiert, aber auch nichts verdient, wir haben eher kuratiert. Irgendwann sind wir dann auf den „Kulturladen“ gekommen. Zu der Zeit war der Kula tatsächlich da hinten unterm Dach, aber er war eine Art Folk-Kneipe, die ein oder zwei Konzerte im Monat hatte, mit Tischdeckchen und einer zehn Zentimeter hohen Bühne, und sonst ist da nix passiert.
Den Kula zu überreden war nicht ganz einfach, weil wir mit einer brachialeren Band, den an die Ramones erinnernden „Maniacs“ aus Genf, ankamen. Das erste Konzert war 1986, aber vorher sind alle anderen aus dem „Pakt“ ausgestiegen außer Hucky und mir, denn jetzt ging es um eigenes Geld. Hucky und ich haben die Band zu zweit selbst bezahlt und hatten ein Risiko von mehreren tausend Mark. Zum diesem Konzert kamen aber überraschenderweise mehr als 200 Leute, und wir haben sogar ein bisschen was verdient, ein paar hundert Mark. Wir hatten ja auch Helfer hinter der Theke, an der Kasse usw., und beim Pakt war es so, wenn was übrig blieb, hat jeder was bekommen, und wenn nicht, dann nicht. Wir haben den Pakt von ’86 bis ’96 weitergemacht und im Jahr zehn bis zwölf Konzerte veranstaltet.
seemoz: Zum ersten Rolls hat’s aber nicht ganz gelangt?
Thomas Bohnet: Im Gegenteil. Anfang der neunziger Jahre kam eine Steuerprüfung, und jeder von uns musste 5.000 Mark nachzahlen. Wir hatten nicht beschissen, waren aber zu blauäugig, hatten irgendwelche Ausländersteuern nicht abgeführt, von denen wir noch nie gehört hatten. Wir hatten zwar eine Buchführung, aber keinen Steuerberater, und das war tödlich. Die Steuerprüferin hat sich bei Hucky tatsächlich eine ganze Woche in die Wohnung gesetzt und hat dann circa 10.000 Mark aus uns herausgeholt. Das bei einem kleinen Quasi-Verein wie uns, da hätte sie in jedem Unternehmen mehr holen können …
Also mussten wir das Geld abstottern, und das war auch der Grund, den „Pakt“ langsam auslaufen zu lassen, zumal wir nicht wirklich was daran verdienten. Aber immerhin: Das erste Rockkonzert im Kula haben damals wir veranstaltet, ehe der Kula dann auch langsam auf die Idee gekommen ist, andere Konzerte als Folk-Tralala zu machen. Die haben dann auf unser Anraten auch eine höhere Bühne eingebaut, weil man auf der ursprünglichen Minibühne bei 200 Leuten nichts mehr sah. Zum Teil waren die Konzerte wahnsinnig voll, es passten maximal 250 Leute in den Saal, und wir haben natürlich, wenn mal was lief, reingestopft, was irgendwie ging. Die Lausanner Hip-Hop-Band „Sens Unik“ hatte bei uns ihren allerersten Auftritt in Deutschland, da ist der Laden aus den Nähten geplatzt. Aber es gab auch andere Konzerte mit nur 80 oder 100 Leuten, etwa Experimentalrock der englischen „The Work“ mit Tim Hodgkinson, einst bei der Avantgarde-Band „Henry Cow“ oder den schrägen Ami Eugene Chadbourne. Gut besuchte Konzerte haben die Shows mit experimentellerer Musik mitgetragen.
seemoz: Ihr hattet damals wirklich einige ungewöhnliche Konzerte.
Thomas Bohnet: Ein großartiges „Pakt“-Konzert war der Auftritt der finnischen „22-Pistepirkko“. Hier kam Donath Heppeler [Theatercafé, Tanzschiff MS Kempten, Rheinterrasse] ins Spiel. Donath hat uns immer wieder ideell und auch finanziell unterstützt, ohne das an die große Glocke zu hängen. Der Mann hat insgeheim sehr viel für die Konstanzer Kulturszene getan! Bei den Finnen war das legendär. Die drei Musiker und ihr Fahrer kamen zu spät nach Konstanz und konnten vor ihrem Konzert im Kula nichts mehr essen. Kein Problem, sagt Donath, ich koche nach dem Konzert gegen Mitternacht noch für die Band bei mir im Theatercafé. Nach 24 Uhr fielen dann ca. 30 Leute, Band und Fans, bei ihm ein. Donath kochte – und bespaßte anschließend die ganze Gesellschaft mit einem ins Bein gehenden DJ-Set. Er war wirklich ein großartiger DJ, von dem auch ich einiges gelernt habe. Irgendwann fingen alle an zu tanzen und die sehr netten, aber wortkargen Finnen fragten mich in ihrem wunderbaren Finnen-Englisch verblüfft: „Arrrrreee people in this town every time like this?“
seemoz: Nicht immer, aber manchmal …
Thomas Bohnet: Donath hat uns auch bei unserem größten Projekt geholfen, dem Konzert mit dem texanischen Akkordeon-Virtuosen Flaco Jimenez im Juni 1989. Ein Winterthurer Veranstalter hat ihn samt Band für sein Konzert extra aus Texas eingeflogen und fragte mich, ob wir ihn nicht einen Tag vorher in Konstanz veranstalten wollten. Wir wollten, hatten aber Probleme, das zu finanzieren. Donath versprach, uns im Notfall zu helfen. So kamen wir zum einzigen Deutschland-Konzert von Flaco Jimenez, was sogar dem Frankfurter Stadtmagazin „Pflasterstrand“ eine Notiz wert war. Das Konzert im Thomas-Blarer-Haus war leider nicht so gut besucht, aber Donath ist dann tatsächlich eingesprungen und hat unser Minus noch in derselben Nacht ausgeglichen, weil ihm das Konzert so gut gefiel.
Die Party ging aber noch weiter. Nach dem Konzert im TBH ging die ganze Gesellschaft noch mit aufs Tanzschiff. Das war der Hammer! Das Schiff war rappelvoll und dort lief samstags in der Regel schwarze Musik, also House, Funk und Soul. Und nun kommen ein paar Akkordeon-Typen an, Donath machte den DJ und es läuft TexMex zwischen Cumbia und Polka. Gnadenlos, nach einer Stunde hatte er den Laden leer gespielt, aber die Verbliebenen feierten. Auch die Band – damals schon ältere Herren um die 50 –, machte mit. Die Party ging dann noch nach 4 Uhr morgens im Theatercafé weiter. Unvergesslich für uns Fans und die Musiker, und leider auch für den Winterthurer Veranstalter. Flaco & Co haben sich bei uns so verausgabt, dass das Konzert in Winterthur nicht ganz so gelungen war, wie man hörte. Zum Beispiel musste der Drummer immer mal wieder kurz backstage, wo ein Kotzkübel bereitstand …
seemoz: Damals gab es dort unterm Kulturladen-Dach ja auch die legendären Samstags-Discos, bei denen zum Schluss das Wasser von den Wänden tropfte.
Thomas Bohnet: Die Discos waren auch von uns. Die haben am Anfang auch Hucky und ich abwechselnd gemacht. Ich habe alles kreuz und quer gespielt, und damals schon gelegentlich mit französischer Musik angefangen. Als Nirvanas „Nevermind“ rauskam, habe ich das vor dem Veröffentlichungstermin als Musikjournalist des „Nebelhorns“ von der Firma auf einer Kassette bekommen. Wir haben damals im Kulturladen mit zwei Plattenspielern und zwei Kassettenrecordern gearbeitet, erst später kam dann der CD-Player. Auf dieser Demokassette war „Smells Like Teen Spirit“, und ich wusste, nachdem ich das Stück das erste Mal laufen ließ, sofort, dass das ein Hit wird. Ich habe es, weil das ja niemand kannte, am Anfang des Abends gespielt und musste es im Lauf des Abends dann gleich noch zweimal auflegen. Im Kula war es toll, ich konnte ganz verschiedene Musik auflegen bis hin zu Jimi Hendrix.
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seemoz: Hattest Du auch andere Erlebnisse?
Thomas Bohnet: Einmal gab es bei einer Disco dann einen Toten, etwa 1995, da saß ein junger Mann auf der Treppe und alle dachten, der sei besoffen. Irgendwann hat jemand gemerkt, dass er völlig weg war. Dann kam der Notarzt und hat eine Reanimation versucht, aber der ist gestorben. Wir haben daraufhin so gegen 1.30 Uhr mittendrin aufgehört. Er hat tatsächlich in der Chérisy gewohnt. Mir ist das ziemlich nahe gegangen, denn das Thema Tod war für uns damals ja wahnsinnig weit weg.
seemoz: Wie sich die Zeiten doch ändern – heute hören wir schon morgens beim Zähneputzen den Sarg hinter uns erwartungsvoll mit dem Deckel klappern.
Das Gespräch führte Harald Borges, die Fotos stammen aus dem Archiv von Thomas Bohnet.
Hallo Thomas,
per Zufall stolpere ich über das Gespräch mit Dir, Spannend Dein Studien- und „Musikeinstieg“ als AStA-Mitglied ab 1982.
10 Jahre früher (1972) war ich AStA-Vorsitzender. Wir waren damals schon links – eine Koalition von MSB Spartakus (da war ich bei) ,Juso und SHB.
Nach meiner AStA-Zeit und verschiedenen Wahlfunktionen und Nebenbeijobs habe ich ab 1973 Eine Serie von insgesamt 8 Unifesten organisiert. Ab dem 3. Unifest waren es jedesmal zwischen 5.000 und 7.000 zahlende Besucher, hochgebracht durch einen Bus-Pendeldienst. Es gab Auftritte von 5 bis 10 Gruppen, Spontantheater, Slapsticks ..Mit meinem Verwalterdiplom und Jobs weit weg von Kn. ab 1976 kamen diese Unifeste nicht mehr auf die Reihe. Heute nennt sich das „Uni-Ball“ und so läuft da auch so.. Brech ..ko…..soweit nur das.
Eindrucksvoll, was Du noch so auf die Beine gestellt hast. +++