„Ich dachte an Menschen einer anderen Welt“

die_rassenHeinrich Karlanner ist ein Medizinstudent, kurz vor seiner Doktorprüfung, mit einer weißen Weste und einer großen Liebe – Helene. Helene ist Jüdin – für Heinrich bisher kein Problem, doch da erzählt ihm sein Freund und überzeugter Nationalsozialist Tessow von seinem großen Traum. So beginnt das Theaterstück „Die Rassen“, geschrieben 1933 von dem deutsch-österreichischen Schriftsteller Ferdinand Bruckner, das am Freitagabend im Konstanzer Stadttheater Premiere feierte.

Bruckners Stück erzählt nicht nur die Geschichte einer verbotenen Liebe zu Beginn des 3. Reichs, sondern auch die erschreckend schleichende Verbreitung menschenfeindlichen Gedankenguts. Tessow, Karlanners Kommilitone, ist ein Wutbürger erster Güte. Sein Vater kam zwar aus dem Krieg zurück, aber die schweren Arbeitsbedingungen in einer Fabrik und die soziale Aussichtslosigkeit seiner Zeit machten diesem solange das Leben schwer, bis er es sich schließlich nahm. Tessow ist unzufrieden mit den nachkriegszeitlichen Lebensbedingungen und enttäuscht von den demokratischen Parteien, die diesen seiner Meinung nach nichts entgegen zu setzen hätten. Er ist auf der Suche nach Antworten, die er in der neu gegründeten, nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei zu finden glaubt.

„Achtung, Jude“

Karlanner ist ohne Vater aufgewachsen – dieser blieb im Krieg – und neigte dazu, über die Stränge zu schlagen. Als Helene, die Tochter eines jüdischen Chemiefabrikanten, in sein Leben trat, bekam alles einen Sinn. Er trank weniger, lernte mehr und ist nun auf bestem Weg, Arzt zu werden. Sein Freund Tessow, mitgerissen von der neuen Ideologie eines reinen Volkes, redet ihm ins Gewissen, erklärt ihm vermeintliche Unterschiede zwischen Deutschen und Juden und vor allem, dass man nicht immer alles hinterfragen solle. „Bist Du irrsinnig oder ich?“ Geblendet und unter Druck gesetzt zugleich, beendet Karlanner das Verhältnis zu Helene, die die Welt nicht mehr versteht.

Ein Rausch ohne Alkohol

Karlanner nimmt an den nationalsozialistischen Ausschreitungen an der Universität teil, die Rosloh, ein Haudrauf im 14. Semester, initiiert. Rosloh, überzeugend manisch dargestellt von Axel Röhrle, ist zwar vielleicht nicht klug, aber er hat eine große Klappe. Sie hilft ihm, eine breite Masse Studierender zu mobilisieren, die mit viel Engagement durch den Jugendclub des Theaters Konstanz gemimt wird. Einen Eindruck der aufwendigen Inszenierung der Nazi-Propagandamärsche vermittelt dabei der beeindruckend durchinszenierte Chor.

Stimmgewaltige Sprechchöre und eine Choreografie aus synchronen Bewegungen zu elektronischem Rhythmus, die dem Zuschauer kalte Schauer über den Rücken laufen lassen, machen das Paradox der Einschüchterung durch Wir-Gefühl erlebbar. Die Gruppendynamik und das wiederholte Zureden Tessows ziehen Karlanner in einen gefährlichen Sog aus Gewalt, Hass und überhöhtem Selbstwertgefühl. Er tut Dinge, von denen er vorher nie für möglich gehalten hätte, dass er sie jemals tun würde, und erlebt Dinge, die ihn an dem zweifeln lassen, was er blind glauben wollte.

Zu Elektro lässt sich’s gut marschieren

Düster ist die Zukunft 1933, schwarz das Bühnenbild 2017. Wie so oft in modernen Inszenierungen durfte auch hier der Einsatz eines Beamers nicht fehlen, der in weißen Lettern die wichtigen politischen Ereignisse des Jahres 1933 über den schwarzen Hintergrund hinwegflackern lässt.

Leuchtende Gitterstäbe und grelle Lichteffekte scheinen den Zuschauer regelrecht mit dem winkenden Zaunpfahl auf die Parallelen zu den aktuellen gesellschaftlichen Geschehnissen stoßen zu wollen. Menschen wie du und ich, so durchschnittlich wie Tessow (überdurchschnittlich dargestellt von André Rohde), lassen sich in ihrer Verzweiflung und Leichtgläubigkeit damals wie heute infizieren von Vorstellungen, die eine absolute Gemeinschaft predigen und doch das menschliche Miteinander vollends erschüttern. Die Zeit allein wird dem nicht Einhalt gebieten – deshalb lässt sich die Regie (Barbara-David Brüesch) nicht nehmen, Björn Höckes volksverhetzendes Zitat – „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“ – dem Oberdemagogen Rosloh in den Mund zu legen. Denn wie das Stück zeigt, lässt es sich auch zu Elektro ausgezeichnet marschieren.

Carla Farré (Foto: Ilja Mess, Theater Konstanz)

Weitere Vorstellungen im Stadttheater:

Fr. 27.1. um 19.30 Uhr, Sa 28.1. um 20 Uhr, Di 31.1. um 19.30 Uhr, Fr 3.2. um 19.30 Uhr, Sa 4.2. um 20 Uhr, Mi 8.2. um 20 Uhr, Sa 11.2. um 20 Uhr, So 19.2. um 20 Uhr, Mi 22.2. um 15 Uhr, Mi 1.3. um 20 Uhr, Di 2.3. um 20 Uhr und Do 9.3. um 19.30 Uhr.