Im Schutz der Nacht, im Schatten der Macht?
Es gab auch zu Zeiten des Kalten Krieges (damals verquer erscheinende) Künstlerfreundschaften zwischen Ost und West. Dazu zählt etwa jene zwischen Benjamin Britten und Dmitri Schostakowitsch, die sich persönlich herzlich verbunden waren und die Werke des jeweils anderen sehr schätzten. Die Südwestdeutsche Philharmonie spielt in den nächsten Tagen mehrere Konzerte mit Musik der beiden sowie von Arvo Pärt, der ebenfalls einen musikalischen Tribut an Benjamin Britten entrichtete.
Der Brexit hat es wieder einmal deutlich gemacht: England ist von Kontinentaleuropa durch einen Graben getrennt, der tiefer ist als der Ärmelkanal, und das galt sehr lange auch für die Musik beiderseits der Straße von Dover: Auf den Inseln genossen etliche lebende Komponisten auch noch im 20. Jahrhundert allgemeine öffentliche Anerkennung, da sie sich hüteten, ihren Kollegen vom Festland in die Gefilde der „Atonalität“ zu folgen, in denen sie wenig mehr als Hunger und Hohn zu erwarten hatten.
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All seine zeitgenössischen Kollegen überstrahlte auf den Inseln aber Benjamin Britten (1913-1976), und das mag durchaus erstaunen. Britten, der auch als Dirigent und Pianist tätig war, lebte bereits seit jungen Jahren in einer homosexuellen Gemeinschaft mit dem Tenor Peter Pears, mit dem er Schubert-Einspielungen vorlegte, bei denen manche Menschen noch heute intuitiv nach der Waffe greifen. Außerdem schrieb Britten Musik zum Lobe der linken Interbrigadisten im Spanischen Bürgerkrieg, verweigerte im Zweiten Weltkrieg den Kriegsdienst und präsentierte 1962 als eines seiner Hauptwerke das so ganz und gar nicht kriegslüsterne „War Requiem“, das Schostakowitsch für eines der Schlüsselwerke des 20. Jahrhundert hielt.
Geächtet und geliebt
Natürlich hatten Britten und Pears lange unter der gesellschaftlichen Ächtung Homosexueller zu leiden – man sollte nicht vergessen, dass der geniale Mathematiker Alan Turing, der sich im Krieg große Verdienste um die Entschlüsselung der deutschen Codes erworben hatte, noch 1952 zur chemischen Kastration verurteilt wurde und sich daraufhin umbrachte, als bekennender Schneewittchen-Fan angeblich mit einem vergifteten Apfel. Trotzdem wurden Britten und Pears bewundert, und 1970 kamen gar die Queen und ihr schrulliger Ehemann zum Kaffeetrinken bei den beiden vorbei.
Welch großen internationalen Ruhm und welche persönliche Anerkennung Britten damals genoss, zeigt ein Detail: Schostakowitsch (1906-1975), der mit Britten auch privat befreundet war, widmete diesem 1969 seine 14. Sinfonie, deren westliche Erstaufführung Britten denn auch dirigierte. Britten war aufgrund seiner klaren politischen Haltung einer jener westlichen Komponisten, die in der UdSSR aufgeführt und eingeladen wurden. Auch der „Cantus in Memoriam Benjamin Britten“, 1977 von Arvo Pärt (*1935) komponiert, der wenig später aus der UdSSR in den Westen emigrierte und mit seiner aufs angeblich Wesentliche reduzierten Musik eine steile Karriere machte, ist eine Verbeugung vor Benjamin Britten, in der, typisch Pärt, ein Gebetsglöckchen den Rhythmus vorgibt. Mit diesem süffigen Stück beginnt die Südwestdeutsche Philharmonie ihren Konzertabend.
Brittens Liedzyklus „Serenade für Tenor, Horn und Orchester“ von 1943 schließt sich an. Sie ist während einer üblen Masern-Erkrankung entstanden und stellt einen auf Texten englischer Dichter verschiedener Jahrhunderte basierenden achtteiligen Zyklus dar. Das Werk ist eines der bekanntesten von Britten und bezeugt seinen guten literarischen Geschmack, denn er vertonte unter anderen William Blake, Alfred Tennyson, Ben Jonson und John Keats.
Genial!
Das herausragende Stück des Abends ist natürlich die rund 55-minütige 10. Sinfonie op. 93 von Dmitri Schostakowitsch, die 1953 entstand. Diese monumentale Musik ist auch Gegenstand des Konzertes „Genial“ am Samstag – in diesem Format wird ein paar Mal im Jahr ein einziges bedeutendes Werk eine Stunde lang vorgestellt, so dass auch ungeduldige Menschen einmal an klassischer Musik schnuppern können, ohne gleich einen ganzen Abend im Konzertsaal absitzen zu müssen. Intendantin Insa Pijanka wird an diesem Samstag die Moderation übernehmen.
Eins muss man der Südwestdeutschen Philharmonie lassen: Diese Konzerte mit dem Gedanken an Brittens Werk mit „Im Schutz der Nacht“ zu betiteln, gibt ob der vielfältigen Assoziationen zum Nachdenken Anlass. Vermutlich stand dabei Brittens „Serenade“ Pate, denn eine Serenade war einmal ein Abendständchen, das ursprünglich im Freien gespielt wurde dazu gedacht war, eine Frau schwer zu beeindrucken und möglichst bald ihren Balkon zu erklimmen. Spätestens in der Wiener Klassik wurde sie dann zur Kunstform verharmlost. Aber gerade jetzt in der dunklen Jahreszeit gibt der Titel „Im Schutz der Nacht“ doch zu allerlei Spekulationen Anlass – immerhin können ja subversive MusikerInnen nach einigen grausig falschen Tönen mit einem Hohnlachen in der allgegenwärtigen Finsternis verschwinden, noch ehe der zornige Donnerblick des Dirigenten sie in eine Pauke verwandeln kann …
MM/red (Foto: Robin Tritschler, Foto Garreth Wong)
Konzert „Im Schutz der Nacht“ mit Carsten Duffin (Horn) und Robin Tritschler (Tenor), Dirigent ist Marcus Bosch.
Öffentliche Generalprobe im Konzil: 17.01., 9.30 Uhr, Karten für 5 Euro ab 8.45 Uhr an der Tageskasse im Konzil (kein Vorverkauf, keine Reservierung).
Konzerte im Konzil: Freitag, 17.01., 19.30 Uhr; Sonntag, 19.01., 18 Uhr; Mittwoch, 22.01., 19.30 Uhr. Eine Stunde vor Konzertbeginn findet jeweils im Studio der Philharmonie im Gebäude neben dem Konzil ein Einführungsvortrag mit der Intendantin Insa Pijanka statt.
„Genial“ im Konzil: Kommentierte Auszüge aus Schostakowitschs 10. Sinfonie, Samstag, 18.01., 18 Uhr
Karten für die Konzerte sind beim Stadttheater Konstanz (07531 900-2150), bei der Südwestdeutschen Philharmonie (9.00 Uhr bis 12.30 Uhr) und bei der Tourist-Information am Hauptbahnhof sowie bei allen Ortsteilverwaltungen erhältlich. Tickets im Internet gibt es hier.
Für das Konzert „Genial“ gibt es Familienkarten zum Sonderpreis.
Literatur:
http://feuchtner.de/wp-content/uploads/2015/10/13_DSCH-Britten.pdf
http://feuchtner.de/wp-content/uploads/2015/11/10_Schostakowitsch-und-Mahler.pdf