Imperium der Milliardäre

Von der Occupy-Bewegung ist nur noch selten etwas zu sehen, aber in Deutschland erklingen wenigstens schon die ersten Wahlkampf-Schlachtrufe, die soziale Kluft sei eindeutig zu tief, dagegen müsse etwas unternommen werden; in diesem September wird ein neuer Bundestag gewählt. Befeuert wird diese Debatte von dem Vierten Armuts- und Reichtumsbericht, den die konservativ-liberale Bundesregierung im März nach vielen Geburtswehen unter dem Titel „Lebenslagen in Deutschland“ vorlegte

Der regierungsamtliche Befund: eine ständig wachsende Ungleichheit der Vermögen, eine drastische, aber momentan nicht zunehmende Ungleichheit bei den Einkommen. Zusätzliche Aufmerksamkeit erhielt dieser Bericht, weil vor allem die FDP versuchte, ihn mit Produkten aus ihrem politischen Kosmetikkoffer aufzuhübschen, sprich: zu verfälschen. So jubelte Philipp Rösler, FDP-Wirtschaftsminister und Vizekanzler: „Der Bericht zeigt: Deutschland ging es noch nie so gut wie heute.“

Krysmanski belegt, wem es tatsächlich noch nie so gut ging wie heute: den Reichen und Superreichen. Hans Jürgen Krysmanski hat sich als Soziologe – er ist seit 2001 emeritiert – immer wieder mit diesem Thema beschäftigt. Verdienstvoll, dass er dieses Buch überhaupt geschrieben hat. Denn es ist an Diskussionen in der Öffentlichkeit nachzuvollziehen, wie `undankbar`gerade dieses Thema ist: Es wird viel und faktenreich über Armut und soziale Klüfte gesprochen, selten aber über Reichtum und Reiche. Die Gründe sind vielfältig: Reichtum eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, einerseits kritisches Wissen über ihn unzugänglich zu machen, andererseits können Reiche als Mäzen, Sponsor, via eigener Stiftungen mit leichter Hand eine positive Berichterstattung mobilisieren. Dieses Problem haben Journalisten ebenso wie Steuerbehörden, aber eben auch Wissenschaftler.

Vielleicht sind diese Probleme der Recherche und der Zugänge der Grund dafür, dass der Autor einen sehr weiten Blick auf das Thema wirft. So bekommt der Leser einen Überblick über alle möglichen Facetten: der eine mag es als sehr anregend und abwechslungsreich empfinden, der andere verliert sich vielleicht zwischen der Davos-Klasse, der Nomadisierung, der Definition von Eliten, der globalen herrschenden Klasse, zwischen persönlichen Erlebnissen und wissenschaftlichen Analysen, anregenden Behauptungen und Thesen und Fakten, dem Empire und der Biopolitik. Der Autor begründet die Vielfalt seiner 1 000 Aspekte so: Eine Begrenzung auf Deutschland sei nicht sinnvoll, „denn diese Schicht der Superreichen … ist ein kosmopolitisches Phänomen“. Und es gebe nicht einen Markt, ob Waffen oder Finanzen, nicht ein wichtiges Thema, auf dem und bei dem diese Superreichen nicht mitmischten – das rechtfertige diese Vielfalt.

Ein entscheidendes Element von Reichtum spielt in diesem Buch jedoch immer wieder eine Rolle: seine stumme Macht. Reiche müssen nicht laut werden, um ihre Interessen durchzusetzen. Offensichtlich wird sie für so selbstverständlich gehalten – so weiß die Alltagssprache seit Jahrzehnten: Geld regiert die Welt -, dass sich niemand mit ihr beschäftigen mag. In der deutschen Öffentlichkeit ist sie zwar ständig präsent: in der recht harmlos daherkommenden Formulierung, Geld und vor allem Kapital verhielten sich eben wie `scheue Rehe`, sie blieben nur im Land, wenn alles nach ihrem Willen geschieht, sonst flüchteten sie. Aber zu einem Thema wird es deshalb nicht. Krysmanski schildert seine persönlichen Eindrücke, die nahelegen, dass auch seine Kollegen Wissenschaftler, nicht nur die Soziologen, das Thema gerne meiden: „Wer aber beobachtet die wirklichen Oberschichten?“ Er bleibt dran: an der Plutokratie, der Welt der Geldeliten, der Einflussnahme auf Wissen und politische Prozesse via zahlloser Stiftungen und Think-Tanks.

Übrigens, dieses Buch findet, wenn es nach dem Autor geht, so schnell kein Ende: Es sei „Teil eines offenen Projekts, keine abgeschlossene Analyse oder gar ein fertiges Theoriestück. Es soll anregen, sich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen – auch im Internet.“

Autor: Wolfgang Storz/woz

Hans Jürgen Krysmanski: „0,1 Prozent. Das Imperium der Milliardäre“, Frankfurt/Main, 2012, Westend Verlag, Preis: 19,99 Euro, 287 Seiten