„In dir die Erde“
Was kommt dabei heraus, wenn ein Brasilianer für Johann Sebastian Bach schwärmt? Eines jener Stücke, die man einmal hört und dann nie wieder vergisst: Die „Bachianas Brasileiras No. 5“ von Heitor Villa-Lobos, der Ohrwurm der brasilianischen Kunstmusik schlechthin. Zu hören am Wochenende in einem Konzert dreier Musikerinnen, die ein Programm „Musikalische Preziosen aus Frankreich, Südamerika und der Karibik“ für die stimmungsvolle Besetzung Sopran, Klarinette und Akkordeon präsentieren.
Die Verbindung von Literatur und Musik ist in den Konzertsälen selten, und die drei Künstlerinnen Liv Lange Rohrer (Sopran, Foto), Azra Ramić (Klarinette) und Ina Callejas (Akkordeon) beweisen lyrisches Gespür, wenn sie in ihrem Konzert auch Pablo Neruda und Guillaume Apollinaire rezitieren. Nerudas anrührendes Liebesgedicht „In dir die Erde“ hat dem Konzert den Titel gegeben und deutet an, worum es geht: Um meist erzromantische, oft folkloristisch gefärbte Musik aus Frankreich, Südamerika und der Karibik in eigenen Bearbeitungen.
Musikalische Naturschilderungen
Ein typischer Komponist von Volksmusikbearbeitungen für eine klassische Besetzung ist der Franzose Joseph Canteloube (1879-1957), der mit seinen melodienseligen „Chants d’Auvergne“ das ländliche Flair der zentralfranzösischen Landschaft voller Vulkane und Volvic heraufbeschwört. Diese Stücke bedienen sich ganz unbefangen der Melodik des 19. Jahrhunderts und beschreiben das Leben auf der Weide, singen ein Wiegenlied und schwärmen natürlich von der Liebe. Ähnlich populär komponierte der hierzulande unbekannte Argentinier Carlos Guastavino (1912-2000), der in seinen „Flores Argentinas“ die unsichtbare Grenze von Chanson, Kunstmusik und Pop immer wieder und hörbar lustvoll überschritt. Es geht dabei um liebevolle Porträts von Pflanzen wie des Pampasgrases, der Heckenkirsche, von Sauerklee, Jasmin und Korallenbaum.
Im Salon
Ein wichtiger Ort musikalischer Unterhaltung war vor allem im 19. Jahrhundert der (groß-)bürgerliche Salon, in dem musiziert wurde, was das Zeug hielt, sei es von geladenen Künstlern, sei es von „höheren“ Töchtern. Es ging damals um den Verkauf von Noten, denn Schallplatten, CDs und ähnliches gab es ja noch nicht. Also bedienten Komponisten, teils auch unter Pseudonym, diesen lukrativen Massenmarkt mit so genannter Salonmusik, rührseligen Stücken von meist geringerem bis mittlerem Schwierigkeitsgrad, die auch gut trainierte Laien spielen konnten. Nein, die Rede ist nicht von Chopin, sondern von Werken, deren Stil in der herzerwärmenden „Cantilène“ des Klarinettisten und Komponisten Louis Cahuzac (1880-1960) nachklingt. Rhythmisch prägnante Musik des kubanischen Jazzers Paquito d’Rivera rundet den unterhaltsamen Streifzug durch südlichere Gefilde ab.
Eine eigene Klangsprache
Die drei Musikerinnen, die in den verschiedensten Ensembles und mit Orchestern in aller Welt zusammenarbeiten, haben diese Werke selbst für ihre Besetzung umgestaltet. Man merkt ihren Bearbeitungen an, dass sie in allen Stilen von Barock bis zur zeitgenössischen Musik zuhause sind. „Das Publikum“, versprechen sie, „soll ein neues Hörerlebnis erfahren, vermittelt durch die besondere klangliche Konstellation des Instrumentariums Klarinette, Akkordeon und Stimme.“
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte stammt von Neruda:
„kaum noch ermessen kann ich die gewaltigen Augen des Himmels
und neige mich zu deinem Mund, die Erde zu küssen.“
Termine
Samstag, 16. September, 19.00 Uhr, Jakob und Emma Windler-Saal, Stein am Rhein
Sonntag, 17. September, 11.00 Uhr, Kammermusiksaal der Musikschule, Konstanz
Sonntag, 17. September, 19.45 Uhr, Rietmann’sches Haus, Neunkirch
PM/Harald Borges