„In Nomine Diaboli“ – das Wimmelbilderbuch des Konzils

20131029-222015.jpgEs kommt täglich näher, das von einigen Konstanzern seit Jahren herbei gesehnte Konziljubiläum. Beim Blick auf die kommunalen Instanzen besteht aber immer noch der Eindruck, dass es kein schlüssiges und alle vier Jahre umfassendes Konzept zum 600. Jubiläum des Kirchenkonzils zu geben scheint. Es bleibt die Frage, inwieweit die Inhalte und Themen des Konstanzer Konzils zur Zeit des Spätmittelalters in der aktuellen Gegenwart einer größeren Öffentlichkeit wirklich vermittelt werden können. Das aktuelle Buch von Monika Küble und Henry Gerlach könnte da womöglich Abhilfe schaffen – allemal zur Einstimmung empfohlen

Seit einigen Wochen liegt mit der vom Gmeiner Verlag aus Messkirch herausgegebenen historischen Kriminalerzählung „In Nomine Diaboli“ eine konkret anschauliche Darstellung der Situation in Konstanz zu Beginn des Konzils vor. Das Autorenpaar Monika Küble und Henry Gerlach (s. Fotos) entwirft für die interessierten Leser einen voluminösen Bilderbogen über das erste Jahr des legendären Conciliums zu Costentz. Küble und Gerlach erbringen damit im Gegensatz zu den diversen offiziellen Gremien mit der Veröffentlichung ihres 770seitigen „Histo-Krimis“ über das Konstanzer Konzil eine logistische Punktlandung.

Als der Alpenbogen noch zum Zentrum zählte

Immerhin wurde Konstanz zwischen 1414 und 1418 zu einer Art mittelalterlichem Brüssel, da beinahe alle wichtigen weltlichen und geistigen Entscheidungsträger des damaligen Europas entweder selbst oder in Form von hochrangigen Vertretern am Konzil erschienen sind. Die Machtelite des christlichen Abendlands traf sich in der Stadt am Bodensee. Konstanz lag zentral in einer blühenden und prosperierenden Städtelandschaft in der Mitte des nördlichen Alpenbogens – erst 100 Jahre später kommt es mit den Entdeckungen zur „atlantischen Wende“ und damit zum Niedergang des gesamten mediterranen Raumes, von dem der Alpenbogen dann unmittelbar betroffen war. Die gesamte alpine Region von Marseille bis Slowenien verfiel mehr oder weniger für viele Jahrhunderte in einen Dornröschenschlaf. Erst nach der Mitte des 20. Jahrhunderts erfolgte ein brachiales Erwachen der heute demografisch und ökonomisch dynamischsten Region Europas.

„In Nomine Diaboli“ gibt uns ein spürbares Bild dieser für lange Zeit verlorenen, historischen Zentralität der voralpinen Region. Viele der hierin handelnden Figuren verkehren zwischen den alten Weltstädten Venedig, Mailand, Florenz, Rom und sogar Konstantinopel

Was hat der „Taugenichts“ in Konstanz verloren?

Der Text entfaltet das Panorama der alten Bischofsstadt am See mit einer opulenten Beschreibung der uns heute bekannten, baulichen Struktur. Immer wieder geht es mit Cunrat Wolgemut durch die Gassen und Plätze des historischen Konstanz. Neben dem Bäcker Cunrat ist der mittelalterliche Stadtplan ohne Zweifel eine Hauptfigur im Text des Autorenpaars. Als langjährige Stadtführer muss es Küble und Gerlach eine Verpflichtung gewesen sein, ihre Figuren möglichst detailgetreu entlang der Wege zu führen, auf denen sie heute interessierten Reisegruppen die Spuren der mittelalterlichen Vergangenheit von Konstanz zeigen.

Die Kriminalhandlung lebt von diversen Morden an Konzilbesuchern sowie von der Gefahr für Leib und Leben einer sich um den tollpatschigen Bäcker Cunrat Wolgemut gruppierenden Freundesgruppe. Diese spätmittelalterliche Form des Eichendorffschen „Taugenichts“ kommt aus dem oberschwäbischen Kloster Weissenau und verkörpert den unerfahrenen Dorfjungen, der in der großen Welt in Konstanz eine vielfache Mannwerdung erlebt. Selbst Kaiser Sigismund ist in die Cunratsche Welt eingewoben und der dann flüchtende (Alt-)Papst Johannes XXIII. ist gleichsam in seiner Nähe, da Cunrat sich auch mit dem päpstlichen Sekretär Poggio Bracchiolini befreunden wird.

Der amerikanische Philologe Stephan Greenblatt hat Poggio Bracchiolini in seinem zum Bestseller gewordenen Buch „Die Wende“ zur zentralen Gestalt gemacht, die u.a. den Übergang der europäischen Kultur in die Renaissance maßgeblich mitgetragen habe. Daneben ist die Arbeit von Greenblatt eine gelungene Darstellung über den bereits in der Spätantike einsetzenden, christlichen Fanatismus gegenüber allen anderen religiösen Kulturen und den schriftlichen Zeugnissen der antiken Philosophie und Wissenschaft.

Eine Kriminalerzählung kann diese Themen natürlich nicht aufnehmen, und der florentinische Gelehrte dient in erster Linie dazu, die Kälte, die Provinzialität sowie die Enge der damaligen Bischofsstadt am See zu beschreiben. Mit Cunrat wird die regionale, auf den Straßen und Plätzen stattfindende Lebenswelt beschrieben. Bracchiolini spiegelt die Gesellschaftsform des einfachen Volkes mit der des päpstlichen Hofes und seinen Intrigen wider.

Richental Chronik – das erste historische Wimmelbilderbuch

20131029-222206.jpgAm besten vergleichen lässt sich die 770seitige Erzählung wohl mit der Form des Wimmelbilderbuches. Auf den Bildern des Wimmelbuchs wimmelt es von detailliert dargestellten Menschen, Tieren und Dingen. In einem Bild werden viele kleine Alltagsszenen dargestellt, die miteinander durch die gemeinsame Umgebung, wie hier eben das historische Konstanz zur Konzilzeit, zusammen geführt werden. Die historischen Landschaftsmalereien der niederländischen Maler wie Hieronymus Bosch und Brueghel gelten als die ersten Formen des Wimmelbuchs. Letztlich aber hat wohl gerade Ulrich Richental, der im Roman natürlich auch mit Cunrat Wolgemut in Kontakt kommt, bereits kurz nach dem Konzil eine Urform des Wimmelbuchs in Form der bekannten Richental Chronik erstellt.

Bei der Lektüre führt uns die Kriminalhandlung wie ein roter Faden durch die große Galerie dieser „Wimmelbilder“. So besucht Cunrat im Franziskanerkloster eine an das „Oberuferer Weihnachtsspiel“ der Anthroposphen erinnernde Aufführung mit „lebenden Figuren“. Natürlich gibt es Ritterturniere, opulente Festbankette, Schankstubenszenen mit dem obligaten Besuch beim Bader, einen holzschnittartigen Henker mit Dogge, die erotische Ökonomie der zünftigen Handwerksmeisterfamilie sowie eine Beschreibung der in Konstanz bis heute gepflegten Fasnacht am „schmalzigen Donnerstag“.

Auch das Leben der mittelalterlichen Juden in der Bodenseeregion wird in einem Bild skizziert, und dank der Hilfe der jüdischen Mystik gibt es erste Hinweise auf das Profil des Täters. Parallel zur aktuellen Diskussion um die Rolle der Geheimdienste innerhalb der internationalen Diplomatie scheinen zu dieser Zeit in Costentz wohl beinahe mehr Spione als die hinreichend bekannten Hübschlerinnen aktiv gewesen zu sein.

Ein wunderschönes Detail in der Kriminalgeschichte ist das „Wimmelbild“ der Beschreibung der niedergehenden Klosterkultur auf der Insel Reichenau. Einer der letzten noch auf der Reichenau lebenden Mönche wird zum sinnlichen Ausdruck der sterbenden klösterlichen Kultur. Hier endet die alte Welt der „Mönche am Bodensee“ im banal dramatisch menschlichen Stumpfsinn.

Weniger Geschichtsdarstellung – mehr Kriminalgeschichte

20131029-222142.jpgNatürlich erscheint auch der bekannte Minnesänger Oswald von Wolkenstein. Der aus Südtirol stammende Adlige beschrieb u.a. in einem seiner Konstanzer Lieder die ökonomischen Verhältnisse in der Konzilsstadt mit dem zweideutigen Ausspruch: „Denk ich an Konstanz, tut mir der Beutel weht“. „In Nomine Diaboli“ folgt diesem Blick von Wolkenstein auf das Konzil weniger, sondern webt ein von ihm verfasstes Loblied auf das „wonnigliche Paradies“ als frühe Form der touristischen Konstanz-Werbung mit in die Erzählung ein.

Küble und Gerlach streifen insgesamt die sozio-ökonomischen Verhältnisse um das Konzil nur knapp. Für eine literarisch-historische Darstellung im Geiste der geschichtswissenschaftlichen Annales-Schule ist hier trotz der 770 Seiten kein Platz. Es geht vor allem um das schnelle Tempo der Kriminalgeschichte, um die Darstellung der vielfachen Gefahren und Bedrohungen, denen insbesondere die Figuren um den Bäcker Cunrat ausgesetzt sind.

Selbst Kaiser Sigismund muss mehrmals um Leib und Leben fürchten. Der naive Cunrat glaubt deshalb auch, dass hinter diesen Vorkommnissen nur der Leibhaftige stecken könne, u.a. schon deshalb, da bei jeder ermordeten Leiche ein infernalischer Gestank zu riechen ist. Die Lebenswelt des Mittelalters kann eine in der Ausdrucksform des Wimmelbuchs verfasste Kriminalgeschichte mit holzschnittartigen Figuren natürlich nicht mit wissenschaftlicher Präzision und Objektivität beschreiben.

Kurzum: Ein leicht lesbarer Bilderbogen

Es wäre aber trotzdem möglich, dass sich der verstorbene Konstanzer Mediävist Arno Borst („Lebensformen im Mittelalter“) nicht ohne Lächeln der entspannenden Lektüre des Buches gewidmet hätte. Denn „In Nomine Diaboli“ ist wohl bewusst keine akademische Darstellung mittelalterlicher Lebensformen, sondern eine in der Tradition des Heimatlobs und der Heimatbeschreibung angelegte historische Kriminalerzählung. In vielem gleicht z.B. die Hauptfigur Cunrat Wolgemut der Figur des im barocken Lindau lebenden „lieben Augustin“. „Der liebe Augustin“ wurde von Horst Wolfram Geissler verfasst und seine Figur verliebt sich wie der mittelalterliche Cunrat in eine „geistige Frau“. Wie im Lindau zur Zeit des „lieben Augustins“ müssen Cunrat und seine Konstanzer Zeitgenossen gegen die zerstörerischen Kräfte des Bodensees kämpfen und beide Romanhelden verbindet eine tiefe Liebe zur Bodenseeregion.

Monika Küble und Henry Gerlach ist es gelungen, mit einem enormen Aufwand, mit profundem fachlichem Wissen und sprachlichem Geschick ein hochkomplexes historisches Thema in einen leicht zu lesenden Bilderbogen zu verweben. Inwiefern es anderen „KonzilmacherInnen“ in den nächsten Jahren gelingen wird, die Geschichte des Konstanzer Konzils in einer passenden Form ins Bild zu setzen, bleibt offen.

Der wahre Held des historischen Konstanzer Konzils ist ohnehin Ulrich Richental. Seine „Richental Chronik“ ist die allererste Wimmelgeschichte auf dem Hintergrund der spätmittelalterlichen Stadt am See und ihres Konzils – womit Richental wohl die definitive Deutungshoheit über die alltäglichen Geschehnisse in dieser für Konstanz so bedeutenden Zeit für immer behalten dürfte.

Autor: Herbert Lippenberger