Von der Lust, heutzutage Komponist zu sein
Es ist selten genug, dass ein zeitgenössischer Komponist in Konstanz in einem Porträtkonzert – mit also nur von ihm komponierten Stücken – vorgestellt wird. Am 18.2. ist es so weit: In einem Kammerkonzert der Südwestdeutschen Philharmonie werden drei neuere Werke von Wolfgang-Andreas Schultz aufgeführt. Wir sprachen mit diesem Komponisten, der sich außerhalb des Mainstreams der Neuen Musik wohlfühlt – und gerade deshalb kein Problem mit dem Publikum hat. Ein Gespräch in zwei Teilen:
Teil I
Dass es zeitgenössische Musik heutzutage nicht leicht hat, zeigen die Programme der Orchesterkonzerte landauf, landab: Das Repertoire endet meistens um den 1. Weltkrieg herum. Zeitgenössische Musik gilt außerhalb der fast ausschließlich von Spezialisten besuchten Festivals als sperrig und erklärungsbedürftig. Ist die Kunstmusik am Ende?
Wie kommen Sie zu Ihrem Publikum?
Das ist nicht ganz einfach. Ich habe zum Glück eine Stelle an der Musikhochschule und bin daher finanziell nicht auf Kompositionsaufträge und Aufführungen angewiesen. Wenn ich eine tolle Idee habe, dann mache ich das einfach – ohne Rücksicht darauf, was vielleicht bei den Veranstaltern ankommt. Aber ich gehöre nicht zum Netzwerk Avantgardemusik, dazu ist meine Musik viel zu romantisch und zu tonal, daher werde ich gemobbt, was das Zeug hält. Irgendetwas geht schief, eine Aufführung platzt plötzlich ohne ersichtlichen Grund … Aber ich habe eine ganze Reihe von Aufführungen auch meiner Orchesterwerke erlebt, von daher jammere ich auf hohem Niveau.
Pflegen Sie ihr eigenes Netzwerk?
Oft kommen Konzerte, wie auch das in Konstanz, letztlich durch persönliche Kontakte zustande. Meine vierte Sinfonie wurde beispielsweise uraufgeführt, weil der Dirigent eine Sängerin geheiratet hatte, die ihm erzählte, dass meine Musik etwas taugt. Aber es kann auch anders kommen: Das Stück für Flöte und Klavier, das jetzt in Konstanz uraufgeführt wird, habe ich ursprünglich nicht für Karoline Renner und Timon Altwegg, die es hier spielen, geschrieben. Es ist schon früher für ein Paar entstanden, das sich dann vor der Uraufführung so zerstritten hat, dass die Fetzen flogen. Darum wird es erst jetzt uraufgeführt.
Gibt es ein Überangebot, gibt es eine mangelnde Nachfrage, oder woran liegt es, dass zeitgenössische Musik in den Konzertsälen so schlecht vertreten ist?
Die Dirigenten kommen mit dem Partiturenlesen nicht nach, so viele landen bei ihnen. Das begünstigt natürlich jene Komponisten, die durch das Netzwerk Avantgarde und die Festivals ohnehin bekannt sind. So nach dem Motto: Wir müssen etwas Modernes machen, was machen wir denn da? Dann nehmen wir halt Rihm oder Widmann – oder wer gerade total angesagt ist. Aber junge Komponisten, die sich nicht so an dieser Avantgarde à la Lachenmann oder wem auch immer orientieren, haben es unglaublich schwer, überhaupt gespielt zu werden.
Welche Rolle spielen denn die Musikkritiker in der Vermittlung Neuer Musik?
Die Leute von der Presse schreiben oft nicht, was sie möchten, weil sie unter Druck gesetzt werden. Ich weiß von einem Journalisten, der mir sagte, er habe keine Aufträge mehr bekommen, als er anfing, die etablierte Neue Musik zu kritisieren. Und als ein Stuttgarter Journalist über einen Großkomponisten schrieb, mit ihm sei es wie mit des Kaisers neuen Kleidern bei Andersen, haben zwei andere Großkomponisten bei der Zeitung interveniert und wollten verhindern, dass er dort jemals wieder schreiben darf – das hat aber zum Glück nicht funktioniert.
Wie kommt es, dass Sie, der Sie aus dem Ligeti-Stall kommen, in der tonalen Ecke gelandet sind?
Ich wollte die Musik schreiben, die ich gerne mag. Ich wollte den Romantiker in mir nicht abtöten. Ich habe überlegt, wie neue Musik schöner und sensibler klingen könnte und mir viele Gedanken über Dissonanz-Konsonanz-Verhältnisse gemacht. Ich habe schließlich eine Tonsprache entwickelt, an deren einem Ende die Atonalität steht und am anderen die Tonalität, wobei beide miteinander verbunden sind. Das war mein Ausgangspunkt, und mit dem bin ich in den späten siebziger Jahren aus der Ästhetik der Neuen Musik komplett rausgeflogen. Damals war es übrigens noch viel schlimmer als heute: Am Anfang allerdings, wenn man noch jung ist, wird einem so manches verziehen, aber wenn man erst über 30 ist, gilt man als gefährlich.
Der Komponist Wolfgang-Andreas Schultz (Foto) hat seine Wege immer wieder ganz bewusst abseits der ausgetretenen Pfade gesucht. Der 1948 geborene Hamburger studierte Musikwissenschaft, Philosophie und Germanistik, danach Komposition bei György Ligeti. Er wurde 1977 dessen Assistent und 1988 selbst Professor für Komposition in Hamburg.
Schultz wandte sich schon früh gegen jede dogmatische Begrenztheit des zeitgenössischen Musikbetriebs: „Seit den 50er Jahren ist das Komponieren umstellt von Verboten der Art: Man kann heute nicht mehr … tonal komponieren, Melodien schreiben, harmonische Klänge verwenden … Längst ist es Zeit zum Umdenken. Auch in Deutschland sollte der Weg endlich frei werden für eine Pluralität der Stile.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang-Andreas_Schultz
https://www.wolfgangandreasschultz.de/
Die Moderne in der „atonalen“ Schönberg-Nachfolge gilt also heute, nach rund 100 Jahren, immer noch als das Muster für neue Musik schlechthin?
Ja. Es ist ein wesentliches Paradigma des westlichen Denkens, in Fortschritt auf einer materiellen Ebene zu denken, aber das wird zum Glück langsam in Frage gestellt. Man soll durchaus Fortschritt oder Entwicklung denken, aber die Richtungen, in die das gehen kann, können sehr vielfältig sein. Ich sehe Entwicklungsmöglichkeiten für Musik mehr in der Integration, und das in vielfacher Hinsicht. Einerseits innerhalb der europäischen Tradition durch das Einbeziehen älterer Stile. Andererseits durch die Integration anderer Musikkulturen, also etwa der Indiens. Dabei geht es nicht darum, neue Akkorde oder Klänge zu erfinden, sondern das alles völlig neu zusammenzusetzen, so dass sich indische Ragas und europäische Strukturen gegenseitig durchdringen. Das finde ich spannender als irgendwelche neuen Kratzgeräusche auf der Geige zu erfinden.
Im 18. und 19. Jahrhundert riss sich das Publikum um Uraufführungen. Wird es bald wieder dazu kommen?
Ich denke, je mehr die Neue Musik darauf verzichtet auszugrenzen und sich öffnet und integrativ denkt, desto besser wird die Resonanz des Publikums werden. Meine Musik hat beim Publikum kaum jemals Schwierigkeiten. Natürlich gibt es Leute, die nie über Brahms hinausgekommen sind – für die ist das furchtbar modern, was ich mache. Die etablierten Avantgardisten andererseits sehen mich als schlimmsten aller Reaktionäre. Dass man heutzutage atonal schreiben müsse, kommt aus dem 20. Jahrhundert und ist Ausdruck eines linearen Geschichtsdenkens. Brahms-Wagner-Schönberg-Atonalität-Zwölftonmusik-Serialismus, so etwa geht diese Reihe. Das Denken in einer einzigen Linie nimmt heutzutage kein Historiker mehr ernst, aber in der Musik wird es noch immer ernst genommen, weil es eine herrlich einfache Weltsicht ist. Das versperrt den Blick auf so viel Interessantes, das nebenher passiert.
Den zweiten Teil dieses Gesprächs lesen Sie morgen.
Harald Borges (mit Material der Südwestdeutschen Philharmonie)
Von der Lust, heutzutage Komponist zu sein – Teil II