Istanbul – No problem

Die Istanbuler haben es satt, sich ständig mit den Vorurteilen der Besucher aus dem christlichen Abendland herumzuschlagen. Und da es angesichts des Ereignisses: „Istanbul 2010, Kulturhauptstadt Europa“ wahrscheinlich noch mehr städtereisende Studienräte an den Bosporus verschlagen wird, ist es besser, schon jetzt einiges richtig zu stellen.

Man muss für seine Reise ans Goldene Horn keine besondere Krisenversicherung abschliessen, eine Impfung gegen Hepatitis reicht. Istanbul ist bald so sicher wie New York und in Neapel trinken Sie auch nicht das Wasser, das aus dem Wasserhahn läuft. Nebenbei: Wenn Sie kein Geld haben, bleiben Sie zu Hause und schauen sich lieber einen Film über Istanbul an. Davon gibt es inzwischen genug – Touristen, die nur ein T-Shirt und 20 Euro im Gepäck haben auch. Letztes Jahr hatten sich mehr Urlauber die Blaue Moschee angesehen als je zuvor – und dabei deutlich weniger Geld ausgegeben, als früher. Das muss sich 2010 ändern.

Wenn Sie glauben, Sie seien reich genug für Istanbul, dann „Herzlich willkommen“ !. Sagen Sie aber nicht dauernd: Ich hab’ gedacht, hier laufen viel mehr Frauen mit Kopftüchern rum. Sie outen sich allenfalls als Bewohner einer deutschen Stadt mit vielen türkischen Mitbürgern, und der Istanbuler hat es nicht gern, wenn man ihn mit seinem Landsmann in Berlin-Kreuzberg vergleicht.

Schütteln Sie auch nicht ständig den Kopf und sagen dabei: Sowas gäbe es bei uns aber nicht! Eigentlich sind Sie ja nur neidisch, dass es „so was“ in Deutschland nicht gibt: z.B. dass die Haupt-Fussgängerzone der Stadt (Istiklal-Strasse) fünf Mal vom Autoverkehr gekreuzt wird. In Essen können Sie allenfalls einen Big Mac vom Auto aus kaufen. Der Istanbuler Autofahrer geniesst das „drive and buy“ in der ganzen Altstadt: Er bleibt in seinem Fahrzeug sitzen, und weil das viele so machen, stehen alle im Stau und jeder Fahrer hat genügend Zeit, ab und an von seinem Fenster aus einem Händler in einem der Geschäfte einen Einkaufswunsch zuzurufen. Wer gerade nichts einkaufen will, der hupt ab und zu ein bisschen, das sorgt für eine lebendige Mittelmeeratmosphäre auch frühmorgens um 3 Uhr.

Schluss mit den Negativ-Meldungen.  In Berlin können Sie sich mit einem Taxifahrer nur vernünftig unterhalten, wenn sie Türkisch können, oder Kroatisch, oder Persisch. In Istanbul können fast alle Fahrer Englisch, zumindest beherrschen beinahe alle ein fast akzentfreies: „Hello Mister- Taxi !“, „Ok“ und „No problem“ – und wenn Sie genau wissen, wohin Sie wollen und wie man am besten dorthin hinkommt, dann läuft bzw. fährt alles wie geschmiert.

Istanbul ist nicht umsonst europäische Kulturhauptstadt geworden. In anderen Städten lässt man aus einem Kulturhauptstadtbugdet ein paar Fotografen etwas knipsen, ein paar Trommler auftreten oder Tänzer. In Istanbul setzt man auf „Nachhaltigkeit“. Hier wird das Geld für die Restauration der Brunnen, Mauern und Moscheen aus vergangenen Epochen verwendet. Dafür war lang genug kein Geld da und davon haben auch spätere Generationen noch etwas. Kleinliche Kritiker meinten, Kultur bedeute nicht nur „Altes zu bewahren“, auch das „Moderne“ müsse vertreten sein. Ja dann bieten Sie mal dem Istanbul-Besucher als Alternative an: „Blaue Moschee“ – oder: Ausstellung „zeitgenössische türkische Kollagen aus Akryl und Entenfedern“. Raten Sie mal, für welche Tour der grössere Bus bestellt werden muss.

Auf Nachhaltigkeit wurde auch beim Geld geachtet. Um „Istanbul 2010“ zu finanzieren wurde die Mineralölsteuer erhöht. Und die wird natürlich nach 2010 nicht wieder gesenkt. Wenn das nicht europäisch ist!

Trotzdem: Kritik muss auch sein, und darauf sei hingewiesen: Kein Kritiker sitzt im Gefängnis. Jeder, der als Planer anderer Meinung war als die Regierung, konnte problemlos aus dem Organisationskomitee für 2010 wieder austreten. Und alle Planer, die sich bei der Vergabe der Projekte bereichert haben sollen, konnten ebenfalls zurücktreten, ohne persönliche Nachteile fürchten zu müssen. Allerdings: Beim Gemunkel über Korruption und Vetternwirtschaft in diesem Organisationskomitee hat es dann doch ein bisschen an „europäischem“  Niveau gefehlt. In Deutschland macht man aus solch einem Vorwurf wenigstens ein kulturelles Erlebnis wie einen „Tatort“. Am Bosporus werden stattdessen langweilige Rücktrittserklärungen veröffentlicht.

Aber auch das ist nun alles ausgestanden. Inzwischen sitzen nur noch die Vertreter der Regierung im Organisationskomitee – aber leider können die nun auch nicht alles alleine bestimmen. So ist das halt in Europa. Z.B. soll für viel Geld die alte byzantinische Stadtmauer restauriert werden. Manche Mauerstücke waren schon in der Vergangenheit so täuschend echt wieder aufgebaut worden, dass man sich in Disneyland wähnt. Jetzt wollen sogenannte NGOs (nichtstaatliche Organisationen) diese Art von Restaurierung stoppen. Das Ergebnis: Es geht nun leider gar nichts mehr voran.

Das „Atatürk-Kulturzentrum“ im Herzen der Stadt, das noch immer so aussieht, als habe sich ein Architekt von Erich Honecker am Bosporus eine neue Existenz aufgebaut – auch das gammelt weiter vor sich hin. Jahrelang stritten sich alle möglichen Parteien und Organisationen, ob es nun abgerissen, neu aufgebaut oder nur renoviert werden soll. Inzwischen hat ein Gerichtsbeschluss alle Pläne vorläufig gestoppt – ganz wie in Europa eben.

Die Restaurierung der Hagia Sofia kommt dafür gut voran. Seit 18 Jahren zeigt das immer selbe mächtige Gerüst unter der Kuppel, wie gewissenhaft jedes Mosaiksteinchen unter die Lupe genommen wird. Natürlich kritteln einige, die ganze Basilika sei vor 1.500 Jahren in gerade mal 5 Jahren gebaut worden. „Sorgfalt geht vor Schnelligkeit“ sagen schliesslich auch europäische Politiker immer wieder gern, wenn etwas länger dauert als geplant. Und damals konnte der byzantinische Kaiser seine Handwerker, Zulieferer und Hilfsarbeiter einfach dienstverpflichten. Bekanntlich ist das in Europa nicht mehr möglich. Die Pläne des hessischen Ministerpräsidenten mit den Arbeitslosen sind hier in Istanbul jedenfalls noch nicht bekannt.

Foto: Dieter Sauter

Autor: Dieter Sauter