Jüdische Bauern am Bodensee – gab’s die?

seemoz-Cover-Bosch-BurgerWas von der lokalen Geschichtsforschung lange übersehen wurde, haben jetzt Manfred Bosch und Oswald Burger ausgegraben – ein besonderes Flucht-Kapitel im Dritten Reich: Zumeist vermögende Intellektuelle jüdischen Glaubens, die in den 1930er Jahren aus den Großstädten an den Bodensee, nahe der Schweizer Grenze, flohen und hofften, dort dem Nazi-Terror zu entgehen. Aber sie waren keine Bauern, sondern meistens Gutsbesitzer, die von der Landwirtschaft selten Ahnung hatten.

Das Buch „Es war noch einmal ein Traum von einem Leben“ ist ein Bodensee-Gesamtwerk: Der Konstanzer Manfred Bosch und der Überlinger Oswald Burger haben es im September 2015 in der Konstanzer UVK Verlagsgesellschaft herausgebracht: Ein reich bebildertes 240-Seiten-Büchlein voller neuer Informationen zum Leben am Bodensee und nicht nur Historikern zu empfehlen.

Gegenüber den intellektuellen Tätigkeitsfeldern waren Juden lange Zeit in traditionellen Berufsfeldern wie Handwerk oder Landwirtschaft nur unterdurchschnittlich vertreten – am ehesten gingen die Begriffe ‚Jude‘ und ‚Landwirtschaft‘ noch in der Figur des Viehhändlers zusammen. Dennoch gab es jenseits des Landjudentums, das aufgrund von Emanzipation und Stadtflucht ständig an Bedeutung verlor, Juden, die sich für eine landwirtschaftliche Existenz entschieden. Was ihre Motive waren, wie sie die Bedrohung des Nationalsozialismus erlebten und welches ihre Schicksale wurden, belegen Bosch/Burger an einem knappen Dutzend unterschiedlicher Beispiele im Bereich des nördlichen Bodensees.

Manfred Bosch beschäftigt sich als Publizist seit langem mit der südwestdeutschen Zeit- und Literaturgeschichte und hat sich durch zahlreiche Bücher und Herausgaben, vor allem mit seiner „Bohème am Bodensee“, einen Namen gemacht. Für sein Werk wurde er mit dem Bodensee-Literaturpreis 1997 und dem Kulturpreis des Bodenseekreises 2008 ausgezeichnet.

Oswald Burger ist Lehrer i. R., Historiker, Literaturveranstalter und Kommunalpolitiker aus Überlingen am Bodensee, der für die Erforschung der Überlinger Zeitgeschichte mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Er publiziert seit den 1980er-Jahren regelmäßig Beiträge über Geschichte, Literatur und Politik in der Bodenseeregion.

Noch heute bekannte Namen – wie Erich und Liesel Bloch aus Konstanz/Schienen oder Hugo Landauer (Onkel des Räte-Revolutionärs Gustav Landauer) aus Karlsruhe/Daisendorf – tauchen auf, längst vergessene – oder umgebaute – Gehöfte bei Markdorf oder Weingarten und auf der Höri werden ins Licht gerückt: Fundstellen nicht nur für Lokalhistoriker, sondern auch für Heimatverliebte, die das Bodenständige am Bodensee so sehr mögen.

Was macht es da, dass manche der fleißig dokumentierten Lebensgeschichten arg holzschnittartig-dürr erzählt werden, distanziert zuweilen und lehrerhaft? Gar nichts, denn die Schicksale der „jüdischen Bauern“ sind an sich schon anrührend genug. Und schärfen heutzutage den Blick auf das Los von Flüchtlingen – kein Zufall womöglich, dass dieses Buch gerade in diesen Tagen auf den Markt kommt. Denn lesenswert und lehrreich ist es allemal.

hpk

Manfred Bosch, Oswald Burger: „Es war noch einmal ein Traum von einem Leben“, Schicksale jüdischer Landwirte am Bodensee 1930-1960. Mit einem Beitrag von Christoph Knüppe. Verlag: UVK Verlagsgesellschaft mbH. 1. Auflage. Erscheinungstermin: 09-2015, 240 Seiten, 30 Farbbilder, 50 Bilder (S/W), ISBN 978-3-86496-861-7. Preis: 19,99 €