Kinder trifft Assmann

Ein seltenes Ereignis: Hermann Kinder, Schriftsteller und Ehemaliger der Universität Konstanz, trifft auf Aleida Assmann, renommierte Konstanzer Kultur­wissen­schaftlerin und – gemeinsam mit ihrem Mann Jan Assmann – diesjährige Trägerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. Der Anlass zu diesem „Konstanzer Literatur­gespräch“ von Forum Allmende ist das neue Buch des Schriftstellers „Die Herzen hoch und hoch den Mut“.

Es geht um das „Familienalbum“, das Kinders „lutherischer Vater“ Ernst über den Zeitraum von 1942 bis 1949 verfasst hat. Kinder gibt dieses Konvolut nicht nur heraus, er kommentiert es auch: „Ich erinnere mich an glückliches Zusammensein mit meinem Vater, an quälende Auseinandersetzungen mit ihm. Ich habe Respekt vor seinem durch die Umstände erzwungenes, geplagtes Leben und vor der Kraft, mit der er es bestand. Ich vergesse nicht die militärchirurgische Kreuznarbe in seinem Nacken, nachdem ein Granatsplitter entfernt wurde; andere wanderten weiter durch seinen Körper. Ich bedaure seinen frühen Tod. Doch mit der Abschrift des Albums und anderer Manuskripte erfuhr ich von Überzeugungen meines Vaters, die ich nicht teilen kann.“

Der Vater, bis zu seinem Tod 1970 in Münster Professor für Systematische Theologie, berichtet in dem Album über seine Herkunftsfamilie, seine Ausbildung, über die Eltern, Geschwister, Liebe, Eheschließung und auch über die erste Auslandsreise – in den Polenkrieg. Er schreibt darüber in einem eher zurückhaltenden Tonfall ohne jegliche Empathie oder Selbstentblößung. Über sich und seine frisch angetraute Lotte heißt es: Das Paar verbringt eine „schöne, reife Zeit“ miteinander.

Hermann Kinder ergänzt, dass die Ehe nicht glücklich gewesen sei – sie liebte einen anderen. Was den Sohn mehr irritiert und sein Vaterbild verändert, ist dessen Haltung im „Dritten Reich“. Der Krieg, der die Familie auseinanderriss, der Verlust des Zuhauses, wird als gottgegeben dargestellt. Wie überhaupt das Vertrauen in Christentum, Vaterland und Volksgemeinschaft ungebrochen ist. Der Glaube gibt ihm und den Seinen angeblich Halt.

Auf der anderen Seite fehlt dem Theologen der Blick und das Verständnis für das Leid anderer. Es fällt kein kritisches Wort zum Nationalsozialismus, den Krieg empfindet Kinder nicht als Politik- und Systemversagen, sondern als naturhafte „Katastrophe“. Und selbst der Massenmord an den Juden ist in dem Album kein Thema – immerhin war der Theologe Mitglied der Bekennenden Kirche, wobei nicht alle ihre Mitglieder im Widerstand waren. Nach dem Krieg setzte er sich für die Ökumene ein. Ein Verdienst, das die Nachwelt kaum gewürdigt hat. Dass der Professor der Theologie seine Biografie geschönt hat, sich in der BRD zum Gegner des Regimes stilisierte, ist eine peinliche Lebenslüge.

Hermann Kinder rechnet nicht mit seinem Vater ab, wie das Christoph Meckel in seinem Roman „Suchbild“ gemacht hat oder Bernward Vesper mit „Die Reise“. Er zeigt im Gegensatz Verständnis. Er ist kein „posthumer Besserwisser“ (Hans Magnus Enzensberger), er erklärt sich die Haltung des Vaters, die männerbündische, obrigkeitstreue, soldatische Mentalität vor allem aus dessen protestantischem Glauben, der an manchen „Stellen“ mit dem Nationalsozialismus gut konnte.

Und hier kommt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann ins Spiel. Auch ihr Vater, der 1991 verstorbene Günther Bornkamm, war ein bekannter Theologe, ein Neutestamentler mit Professur in Heidelberg. Die beiden Männer kannten sich. Auch war Bornkamm, wie Ernst Kinder, Mitglied der „Bekennenden Kirche“. Allerdings machte er, im Unterschied zu ihm, aus seiner Gegnerschaft zum Nazi-Regime keinen Hehl – und sah sich dafür etlichen Repressalien ausgesetzt.

Auch darüber – über ihre Väter – werden Hermann Kinder und Aleida Assmann am Montag, 17. Dezember, 18.45 Uhr im Hörsaal A 703 der Universität sprechen. – Karten für 8.- und 5 .- € (Studenten) an der Abendkasse.

Manfred Bosch (Foto: privat)

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