Konstanz spielt in der Bundesliga

Die Südwestdeutsche Philharmonie ist als eines von nur sechs Berufsorchestern in Deutschland in das Förderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland“ des Bundes aufgenommen worden, das in den nächsten fünf Jahren erhebliche Mittel in die Kassen des Orchesters spülen wird. Woher das Geld kommt und wohin es fließen könnte, war gestern Thema einer Pressekonferenz. „Nachhaltigkeit“ und natürlich „Exzellenz“ waren dabei ganz zeitgeistig die häufigsten Schlagwörter.

Ein Erfolg hat bekanntlich immer viele Väter (aber in diesem Falle scheint’s wenige Mütter), und so gaben sich bei der gestrigen Pressekonferenz in der Konstanzer Philharmonie neben dem Intendanten Beat Fehlmann auch der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung (CDU) und der für Kultur zuständige Bürgermeister Andreas Osner die Ehre.

Bundesgelder für Musik am Bodensee

Kultur ist im föderalen Deutschland eine Angelegenheit der Länder, die sie auch zu finanzieren haben. Doch bereits 1998 schuf die Schröder-Regierung das Amt der/des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vulgo KulturstaatsministerIn, um verstärkt Bundes-Kulturförderung zu betreiben, wenn es schon kein Bundeskultusministerium gibt. In erster Linie wollte man die kulturellen Institutionen in der Bundeshauptstadt Berlin entwickeln, um der ehemaligen Preußenmetropole trotz der notorisch leeren Kassen des Landes Berlin ein wenig mehr hauptstädtischen Glanz zu verleihen. Auf lange Sicht soll die ehemalige Hochburg des deutschen Militarismus mit Zentren der Kultur (und des Kulturtourismus) wie Paris oder Rom mithalten können. Ein bisschen zumindest, denn echte kulturelle Weltgeltung entwickelt sich über Jahrzehnte und Jahrhunderte und nicht über ein oder zwei Legislaturperioden.

Im Moment aber schweift der Blick des Bundes über sein direktes Umfeld Berlin hinaus, so Andreas Jung. Angesichts der für 2017 zu erwartenden Steigerung der Bundesmittel für Kultur um 20 Prozent oder 660 Millionen Euro kam im Haushaltsausschuss die Idee auf, nicht nur wie bisher als einziges Orchester die Berliner Philharmoniker zu unterstützen. Wenn die einmalige deutsche Orchesterlandschaft mit ihren 130 Berufsorchestern schon immaterielles Weltkulturerbe ist, so befanden die Parlamentarier, sei es eine gute Idee, mehr Orchester mit Bundesgeldern zu fördern.

Allerdings sollte hierbei statt des Gießkannen- das Leuchtturmprinzip gelten, und so schwangen denn am Ende sechs Orchester obenaus: Bochumer Symphoniker, Hamburger Symphoniker, Jenaer Philharmonie, Münchner Symphoniker, Stuttgarter Philharmoniker und die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz.

Womit haben wir das verdient?

In dieser Liste „fehlen“ auf den ersten Blick namhafte Orchester etwa aus München, Bamberg, Leipzig oder Dresden. Wie also verlief das Auswahl- bzw. Ernennungsverfahren? Andreas Osner meinte hörbar (selbst-) zufrieden, „die Nachricht überraschte, das Ergebnis aber nicht“ und erinnerte daran, dass er und der Intendant ihre Ämter vor drei Jahren mitten in einer tiefen Philharmonie-Krise angetreten hätten. Man erinnert sich: Das Orchester hatte zwar einige große Namen der Klassikszene nach Konstanz gelockt, aber erhebliche Verluste eingefahren. Es stand – übrigens nicht zum ersten Mal – verlassen in der Ecke, hatte plötzlich weder Vater noch Mutter mehr und wurde stattdessen für einige Wochen als Sündenbock durchs Dorf getrieben.

Für den bald gefundenen neuen Intendanten Beat Fehlmann war erst einmal eisernes Sparen allerhöchste Pflicht. Keine teuren Solisten mehr, weniger Aushilfen, stattdessen eine Rückbesinnung auf das, was das Orchester aus eigener Kraft leisten kann. Man muss Fehlmann attestieren, dass er dabei erfolgreich war und ist: Seine Berichte über den Geschäftsgang der Philharmonie an den Gemeinderat sind vorbildlich und kommen pünktlich, das Orchester ist finanziell wieder im Plan, und die Abonnentenzahlen steigen deutlich. Dazu hat er das Orchester breiter aufgestellt, auf dem Seenachtfest, im Casino und beim Oktoberfest gespielt, mit der Universität und der HTWG zusammen gearbeitet und so immer wieder ein paar neue Interessenten gewonnen, „Qualitätsanspruch plus Schweizer Basisdemokratie“ charakterisieren seinen Ansatz.

Fehlmanns Arbeit der letzten Jahre wurde jetzt durch die Aufnahme des Orchesters in das Exzellenzprogramm des Bundes gewürdigt. Die geschah nicht nach einem formalisierten Verfahren durch das Ausfüllen von Fragebögen, Orchestervorspiele, Visitationen oder das Ausarbeiten von Geschäftsplänen. Vielmehr ließ sich der Bundestagsausschuss von Experten zum Thema Orchester beraten und legte nicht nur auf künstlerische Belange wert, sondern suchte nach rundum zukunftsträchtig aufgestellten Orchestern. So ging es um einen nachweislich weiten Kulturbegriff, den die Philharmonie ja auch durch die Zusammenarbeit mit einem DJ oder das in dieser Saison anstehende Konzert in der Bodenseetherme unter Beweis gestellt hat.

Es ging um aktive Musikvermittlung, um innovative Formate und nicht zuletzt um die Professionalität der Verwaltung. Ohne eine professionelle Buchhaltung, die das Alltagsgeschäft erledigt und einen Haufen Dashboards produziert, ist heute kein Unternehmen mehr zu führen, auch kein Orchester, das ja nicht nur Musentempel, sondern auch Wirtschaftsbetrieb ist. Es ist erstaunlich, wie lange man in Konstanz ohne diese Hilfsmittel auskommen zu können glaubte.

Die Summe der erfüllten Kriterien verhalf Konstanz letztlich zu einem Spitzenplatz unter den Orchestern. Eine persönliche Präsentation, die Fehlmann die Chance gab, seinen schweizerischen Charme und seine ganze Seriosität zu versprühen, taten dem Vernehmen nach ein Übriges.

Wohin mit dem Geld?

Dieses komplett neue Exzellenzprogramm läuft ab 2017 für fünf Jahre und bringt dem Konstanzer Orchester jährlich bis zu 900 000 Euro. Ob das Programm irgendwann verlängert wird, wagt selbst Andreas Jung nicht zu prognostizieren, man rechnet besser nicht damit. Allerdings ist klar: Das Geld aus Berlin gibt es nur, wenn Stadt und Land ihre Finanzierung in der geplanten Höhe fortsetzen. Die Stadt Konstanz und das Land Baden-Württemberg können hier also künstlerischen Ruhm ernten, aber kein Geld sparen. Bestenfalls schlägt sich eine größere künstlerische „Exzellenz“ irgendwann in höheren Einnahmen nieder.

Für Beat Fehlmann kam die Förderungszusage letzte Woche weitgehend überraschend, und er kann erst jetzt damit beginnen, Pläne zu entwickeln. Ungewöhnlich an diesem Programm ist nämlich, dass die Mittelverwendung nicht detailliert vorgeschrieben ist. Die Parlamentarier haben sich laut Andreas Jung gedacht, die Orchester wüssten besser als irgendwelche Abgeordneten, was ihnen gut tut. Das macht stutzig, denn in diese Art von Geberlaune geraten paragraphensinnige Gesetzesschmiede und regelungswütige Bürokraten eher selten, wie jeder Mensch weiß, der schon einmal versucht hat, auch nur seinen Steuerbescheid zu verstehen.

Wie auch immer, Beat Fehlmann will das Geld vor allem so verwenden, dass keine neuen Fixkosten entstehen, denn die Förderung läuft in fünf Jahren aus. Das heißt natürlich vor allem, dass er keine zusätzlichen festen Stellen im Orchester schaffen wird, die die Personalkosten dauerhaft erhöhen. Er sieht die Entwicklung und Steigerung von Exzellenz als eine Aufgabe, in die der gesamte Betrieb eingebunden werden muss, damit man sich in den fünf Jahren des Programms weiterentwickelt und danach auf einer höheren Ebene stabil fortfahren kann. Einerseits will Fehlmann einzelne Projekte entwickeln, andererseits denkt er auch an Incentives für das Personal.

Projekt kann so ziemlich alles sein, vom Auftritt mit einem Konzert für singende Säge und Streichorchester bei einem Chirurgen-Kongress bis hin zur Einladung an einen talentierten und noch nicht allzu bekannten Composer in Residence, der für das Orchester mindestens ein neues Werk schreibt, das das Orchester dann in sein Repertoire aufnimmt. Bei aller Musikvermittlung und aller Modernität von Außendarstellung und Binnenbetrieb ist die zeitgenössische Musik im Konstanzer Konzertbetrieb ja ebenso wie in vielen anderen kleineren Konzertorten praktisch inexistent.

Auf Fehlmanns Ideen darf man also gespannt sein. Man muss zudem darauf hoffen, dass er Konstanz noch einige Jahre erhalten bleibt, ehe ihn der Ruf zu Höherem ereilt. Mit dem Gewinn dieser Exzellenzgelder hat er jedenfalls schon mal vernehmlich an die Tür zur Intendanten-Bundesliga geklopft und gewiss auch seine Chancen als Cheftrainer in der schweizerischen Super League deutlich verbessert.

Harald Borges (Foto: Patrick Pfeiffer)