„Konzentrationsgeruch“ im Audimax
Mittwochabend wurde die szenische Lesung von Gerd Zahner „Die Liste der Unerwünschten“ vor rund 300 Zuhörern an der Universität aufgeführt. Mit einem Nachspiel ist zu rechnen, denn das lange und sorgsam gepflegte Denkmal Hans Robert Jauß zerfällt rasant und löst sich allmählich in seine Einzelteile auf. Ein Ende der Debatte ist nicht absehbar, sie beginnt erst, wie auch die Diskussion nach der Aufführung zeigte
Regisseur Didi Danquarts Mühe hat sich gelohnt. Er formte Zahners Vorlage zu einem dichten Stück und besetzte Jauß´ Rolle mit dem grandiosen Schauspieler Luc Feit. Dazu die eindrucksvolle Musik von dem Freiburger Komponisten Cornelius Schwehr, die es vortrefflich schaffte, die einzelnen Szenen miteinander zu verbinden und damit den Spannungsbogen zu halten.
In einer etwas anderen Antrittsvorlesung jagte sich Feit durch die NS-Geschichte des Hans Robert Jauß, rückblickend, rechtfertigend, relativierend, oft auch verlogen und so gar nicht glaubhaft: „Von den Judenverfolgungen habe ich nur im Radio gehört“, so SS-Hauptsturmführer Hans Robert Jauß bei einer späteren Vernehmung. Er, der sich nach 1945 problemlos seiner alten Haut entledigte und Karriere machte als Wissenschaftler von Weltrang. Er, gefeierter Star der neugegründeten Konstanzer Universität, zu dem die Studenten bewundernd aufschauten, das zum Teil auch heute noch tun und einfach nicht zulassen wollen oder können, dass ihr Idol aus Studententagen jetzt vom Sockel geholt wird. Festhalten an einer eigenen Lebenslüge, die man jahrzehntelang mit sich herum getragen hat? Jauß ein Täter, ein Mörder sogar, der vielleicht auch direkt an Kriegsverbrechen beteiligt war? Noch ist das nicht endgültig bewiesen, aber die Hinweise verdichten sich. Ein ausführliches Gutachten ist in Arbeit und soll kommendes Jahr veröffentlicht werden. Auch das ein Verdienst von Zahners Recherche über Jauß. Applaus für sein Stück, aber auch betroffene Gesichter reihum.
Bei der anschließenden Diskussion zeigte sich Didi Danquart zufrieden. Er habe beim Publikum das gespürt, was er gemeinhin „Konzentrationsgeruch“ nennt. Mit auf dem Podium auch der Historiker Jens Westemeier, den die Universität Konstanz beauftragt hat, eine wissenschaftliche Biografie über das Wirken von Jauß zwischen 1939 und 1945 zu erstellen (siehe gestern auch die Stellungnahme der Universität, die auf seemoz vollumfänglich nachzulesen ist). Westemeier lobte das Stück, wollte aber seiner Endbeurteilung nicht vorgreifen: „Jauß wurde als Angehöriger einer verbrecherischen Organisation verurteilt, nicht aber als Kriegsverbrecher“. Und dann der Zusatz: „Was aber nicht heißt, dass er keiner war“. Nachdenkliches Schweigen.
Ein ehemaliger Schüler von Jauß und mittlerweile ergrauter Professor fühlt sich berufen, seinem verehrten Lehrer posthum beizustehen. Zahner, so sein Vorwurf, erhebe mit seinem Stück einen „hohen moralischen Anspruch“ und „vergifte“ somit sein Anliegen. Der Mann wirkt unsicher und fast hilflos bei seinem Rechtfertigungsbemühen. Murren im Publikum. Professor Wolfgang Seibel steht seinem Kollegen bei. Die Lesung erwecke einen „falschen Eindruck“, denn die Schuld von Jauß sei bislang nicht bewiesen. Das Murren wird lauter. Den eindrucksvollen Schlusspunkt setzt ein Zuhörer, der sogar aus dem fernen Frankreich angereist ist. Er habe Jauß als Student erlebt und ihn damals auch bewundert. Nun aber habe ihm die Lesung die Augen geöffnet. Dafür sei er dankbar: „Der weite Weg hat sich gelohnt“.
Luc Feit steht im Freien und gönnt sich eine Zigarette. Wolfram Vogel, langjähriger Pressesprecher der Universität, kommt auf ihn zu. „Wissen Sie“, sagt er zu Feit, „als ich Sie sah, da dachte ich mir sofort: Der Jauß steht vor mir. Viele an der Uni haben damals von seiner SS-Vergangenheit gewusst und lieber geschwiegen“.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]
Autor: H. Reile, Fotos: Nicolas Kienzler
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21.10.2013: Gestatten: Hans Robert Jauß, SS-Hauptsturmführer
30.10.2014: Die etwas andere Erinnerung an Hans Robert Jauß
20.11.2014: Die ruhmlose Vergangenheit von Hans Robert Jauß
Das war ein Abend, der um Bewusstsein bleibt und/oder solches schafft. Diese pseudowissenschaftliche Bereitschaft zur Relativierung hat mich geschockt. Die Wortmeldung der Jüdin hält die Frage wach, ob sich im Umgang mit der Nazi-Vergangenheit wirklich nichts in Deutschland geändert hat?! Der Franzose, ein ehemaliger Schüler des Professors, beantwortete die Frage, wo denn dieser Grandsegnieur der Romanisten das Tarnen und Täuschen gelernt habe: Bei der SS!
Zu lesen ist später die Überschrift „Ein Denkmal wankt“. Warum der unbestimmte Artikel? Warum „wankt“ da etwas? Da liegen im Audimax nicht nur Manuskriptblätter am Boden, das sind die Überreste/Scherben von einst: Da liegt das Denkmal am Boden!
Wie Wolfram Vogel ist es auch mir ergangen: Die Erinnerung war und ist da. Alles ein Gesamtkunstwerk. Aber das scheint sich manches/m Wissenschaftsbegriff zu entziehen.