Kreuzlinger Gespräche mit Nachtfaltern

Die „menschliche Psychiatrie“ wurde in Kreuzlingen entwickelt, das Sanatorium Bellevue war weltberühmt – allerdings eher seiner Patienten als seiner Ärzte wegen: Gründgens, Fallada und Heidegger waren da, Freud forschte in der privaten, psychia­tri­schen Heilanstalt der Arztfamilie Binswanger, die 1980 aufgelöst und abgerissen wurde. Und eben Aby Warburg, über den der Konstanzer Autor Gerd Zahner sein neues Stück schrieb, das am 21. März in Kreuzlingen seine Premiere feiert.

Im neuen Kult-X Kulturzentrum im Schiesser Areal Kreuzlingen, unweit des einstigen Sanatoriums, wird das Theaterstück „Aby Warburg. Gespräche mit einem Nachtfalter“ nächsten Mittwoch uraufgeführt. Und dort, inmitten der phantasievollen Kulissen der Bühnenbildnerin Elena Bulochnikova, präsentierten Gerd Zahner und Regisseur Oliver Vorwerk gestern auch das Stück und seine Inszenierung.

„Ich schreibe Stücke über Orte“, sagt Zahner. Bei „Flüsterstadt“ war das Radolfzell, bei „Boger“ Singen und „Der alte Weg“ handelt vom alten Postweg in Watterdingen. Und jetzt eben „Aby Warburg“ und Kreuzlingen. Die Geschichte des weltberühmten Kunsthistorikers und Kulturwissenschaftlers, der 1921 ins Kreuzlinger Sanatorium eingeliefert wurde, Diagnose: Schizophrenie, entstanden aus den Traumata der Kriegserlebnisse.

Drei Jahre blieb der jüdische Bankierssohn, der kein Finanzmensch werden wollte, in Kreuzlingen, drei Jahre der Heilung, der Pflege und der Gespräche mit Psychiater Ludwig Binswanger. Diese drei Jahre umfasst das Zahner-Theater – mit allen Wahnvorstellungen des Patienten und allen Schreckensbildern des Kriegsheimkehrers, die mehr mit der Wirklichkeit des geschundenen Europas zu tun hatten, als die vermeintlich gesunde Umwelt wahrhaben wollte.

Denn Aby Warburg erahnte in seinen Halluzinationen den Schrecken, der seinem Volk zehn Jahre später widerfahren sollte: Den Holocaust und die industrielle Ermordung der Juden, den neuen Krieg mit Millionen Toten, das Leid und den Hunger.

„Zum ersten Mal erlebe ich ein Stück, wie ich es wollte“, schwärmt Gerd Zahner inmitten der Kulissen, „ein grandioses Bühnenbild und eine geniale Inszenierung.“ Und zum ersten Mal gibt es eine Kooperation des Konstanzer Stadttheaters mit Kreuzlingen – „es ist großartig, in diesem neuen Kulturzentrum spielen zu können“ begeistert er sich und lobt die Unterstützung der Kreuzlinger Behörden. Und Regisseur Oliver Vorwerk, der sich besondere Formen der Zuschauer-Beteiligung ausgedacht hat, ist fasziniert von dem „einmaligen Werkstatt-Flair“ in den ehemaligen Schiesser-Räumen. Man und Frau dürfen gespannt sein. Premiere: 21. März, 20 Uhr, im Kult-X Kulturzentrum im Schiesser Areal Kreuzlingen.

hpk

Weitere Aufführungen: 25./31.März; 5./6./12./13./27. und 28. April. Beginn jeweils 20 Uhr.