Kunstverein Konstanz präsentiert Kunst auch online
Die aktuelle Ausstellung im Konstanzer Kunstverein „From Somewhere in the Mediterranean“ muss Anlass sein, über künftige Präsentationsformen nachzudenken, denn viele Inhalte waren erstmals online zu sehen – gut so. Bei einem Live-Besuch empfand ich die Exponate zunächst als rätselhaft verschlossen, sie lösten daher in mir beinahe reflexartig Unmut aus – weil ich mich (erneut) des Gefühls nicht erwehren konnte, dass ich etwas sehe, das sich von dem, was ich sehen soll, stark unterscheidet.
Also habe ich mir die Ausstellung zwei weitere Male angesehen und mich intensiv mit dem online abrufbaren Begleitmaterial befasst: zum einen mit dem Gespräch zwischen dem Künstlerduo Irena Eden/Stijn Lernout und Frau Dr. Salinas sowie dem Einführungsvortrag von MA Marco Hompes. Weil man sich ungestört auf Text und Rede einlassen kann, plädiere ich für die Beibehaltung solcher Online-Präsentationen auch bei künftigen Ausstellungen – wenigstens zusätzlich zu einer Vernissage.
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Ausstellungsmottos erscheinen mir oft als willkürlich; nicht so in diesem Fall – da existiert tatsächlich ein realer Bezug. Mit den Worten From Somewhere in the Mediterranean; we are the voice of peace meldete sich 20 Jahre lang ein im Mittelmeer aktiver Piratensender, der die Aussöhnung zwischen Israelis und Arabern anstrebte und das ehemalige Frachtschiff „Peace“ als Sendestation nutzte. Der Titel der Ausstellung kann somit als Hinweis auf das Problem heutiger Flüchtlinge verstanden werden, die den gefährlichen Weg übers Mittelmeer in die Blaue-Banane-Region (i.e. Europa) antreten. Da dieser Hinweis weder visuell noch inhaltlich weiter verfolgt wird, bleibt er zwangsläufig blass und fällt erfahrungsgemäß – falls er überhaupt als Appell gemeint ist – ohnehin nur dort auf positive Resonanz, wo der fruchtbare Boden dafür längst bereitet ist.
Der politische Aspekt scheint zwar erwünscht, ist aber allenfalls eine Randnotiz. Verständlich, geht es ja in der Ausstellung um das Thema Mittelmeer und Licht. Der Bezug zum französisch-algerischen Autor Albert Camus (1913-1960) und seinem Verhältnis zum Licht liegt zwar schon etwas weit zurück – Nobelpreis für Literatur 1957, L‘Etranger entstand 1942 – ist aber nachvollziehbar. So enthält ein in der Ausstellung gezeigtes Diptychon eine Textpassage aus L’Etranger. Warum diese Textpassage in Deutsch und nicht im französischen Original erscheint, erschließt sich mir nicht; zumal alle Texte zum Thema Mittelmeer und Licht in dem ausstellungsbegleitenden Buch Circle, Surface, Sun in ihrer jeweiligen Originalsprache und außerdem in englischer Übersetzung abgedruckt sind. 22 aktuelle AutorInnen aus den Anrainerstaaten des Mittelmeers haben auf Bitten des Künstlerduos diese Textbeiträge zum Buch verfasst. Leider können nicht alle Mitmenschen so gut Englisch, dass sie sämtliche Texte in Gänze verstehen könnten; eine deutsche Übersetzung wäre daher wünschenswert gewesen – wenigstens online abrufbar.
Wer die Ausstellung besucht, sollte unbedingt auf die Reihenfolge achten: Zuerst das begleitende Material – wenigstens das auf Deutsch zugängliche – studieren; danach erst in die Ausstellung. Wer sich die Ausstellung ohne Vorinformation ansieht und wieder verlässt, ohne vom Begleitmaterial Notiz genommen zu haben, wird nichts von dem wahrnehmen, was er aus KünstlerInnensicht hätte wahrnehmen können bzw. sollen. Die gezeigten Exponate müssten also das Bedürfnis auslösen, mehr über das zu Sehende wissen zu wollen; passiert dies nicht, muss das nicht zwangsläufig an den BetrachterInnen liegen.
Wer sich für technische Details der Exponate interessiert, ist gut bedient, wenn er/sie sich das Interview mit dem Künstler-Duo durchliest; hier ist etwas zu erfahren über mittels Frottage-Technik zu Zeichnungen überarbeitete Fotografien oder auch über per Cyanotypie bearbeitetes textiles Material und manch Interessantes mehr.
Zusammenfassend hinterlässt diese Ausstellung einen zwiespältigen Eindruck auf mich. Zum einen kommt mir das Thema Licht visuell zu kurz, während das Meer in den cyanotypisch bearbeiteten Materialien mit ihren dominanten Blautönen deutlich präsent ist. Die äußerst ästhetischen, zu Zeichnungen umgearbeiteten Schwarzweiß-Fotografien mit ihren aufgebrachten Liniengerüsten lassen an Vermessungspläne denken, in denen einzelne Rasterfelder in dezent goldgelbem Licht aufscheinen. Außerdem zeigen diese Zeichnungen sich im Wasser spiegelndes Licht, doch diese Spiegelungen haben nichts spezifisch Mittelmeerisches und verraten demnach auch nichts über das dort so besondere Licht, wie es KünstlerInnen oftmals beschrieben und zu malen versucht haben.
Zum anderen bin ich sehr angetan von den online begleitenden Materialien, auch wenn ich aus Gesprächen weiß, wie ungern sich viele der Notwendigkeit ausgesetzt sehen, textliche Ausführungen studieren zu sollen, ja zu müssen, um einen Zugang zu analog präsentierten Exponaten zu finden.
Und schließlich steht noch die viel grundsätzlichere Frage im Raum, ob solch analoge, unbewegte Bilder oder skulpturale Elemente in der heute so eventhaft bewegten Welt, die nur den Superlativ kennt, dem Mainstream etwas entgegensetzen können. Ich befürchte: nein. Viele kleine Museen, Kunstvereine und andere Kunstorte kämpfen nicht erst seit Corona dagegen an; Mitgliedsbeiträge allein können Diversität nicht finanzieren. Nicht anders bei Galerien: Die es sich nicht anders leisten können – und das sind die meisten – müssen sich am Mainstream orientieren, wollen sie nicht untergehen. Da ist kein Platz für Neues. Und Verkäufe in den Ateliers – das sind immer noch die wichtigsten Orte, an denen Kunst entsteht – reichen schon lange nicht mehr zum Überleben.
Jenseits von gehypten Events, bei denen vor allem das Gesehenwerden zählt, taucht junges Publikum kaum noch auf; die bildende Kunst ist fest in den Händen der Ü60er, die aber als Kaufpublikum kaum noch infrage kommen – trübe Aussichten also. Es hat den Anschein, dass alles, was mit Kunst zu tun hat, künftig zu hinterfragen ist: Ausbildung, AusbilderInnen und Ausbildungsstätten; die Themen der Kunst genauso wie deren Umsetzung; das Gegen- oder Zusammenspiel von analog und digital; Medien und Medienkompetenz; Präsentationsart und Präsentationsort; die Art der Vermittlung und ihre VermittlerInnen; das Nebeneinander von ExpertInnen und AutodidaktInnen etc. und ganz wichtig: Wer bezahlt was, wer hat Zugriff auf welche finanziellen Töpfe unter welchen Bedingungen? Es geht ums Ganze. Kreative Lösungen sind gefragt. Da ist die Bereitstellung von die Ausstellung begleitendem Online-Material ein erster kleiner Schritt.
Wir dürfen gespannt sein, wie’s weitergeht.
Hans-Dieter Pfundtner (Text und Bild)
Was: Irena Eden / Stijn Lernout, From Somewhere in the Mediterranean. Rauminstallation. Wo: Kunstverein Konstanz e.V. im Kulturzentrum am Münster, Wessenbergstraße 39/41, 78462 Konstanz, Tel. + 49 (0)75 31 22 341. Wann: Bis 19.07.2020, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa-So 10-17 Uhr.
Hier geht’s zur Homepage des Kunstvereins.