Lieben Sie? Etwa Brahms?

seemoz-demengaWie geht man damit um, bereits zu Lebzeiten zum Klassiker zu werden? Johannes Brahms wählte einen effektiven Weg: Er gab sich gern ebenso bescheiden wie verschlossen und erscheint auch in seinen Briefen nicht als himmelstürmendes Genie, sondern als schlichter Musikhandwerker, der eine ironische Selbstdistanz pflegt. Die Südwestdeutsche Philharmonie hat drei spätere Werke dieses Großmeisters der unsentimentalen Melancholie auf ihr Novemberprogramm gesetzt. Das passt.

Was Brahms (1833–1897) auszeichnet, hat Peter Iljitsch Tschaikowsky, der von der persönlichen Begegnung mit Brahms zwar angetan war, aber mit dessen Musik einfach nicht warm wurde, bestens zusammengefasst: „Kaum ist eine melodische Phrase angedeutet, so wird dieselbe schon von allerhand harmonischen Modulationen überwuchert; er scheut sich, in dem Ton mit uns zu reden, der zu Herzen geht.“

Tschaikowsky hat Recht: Brahms kann man schlecht pfeifen und zum Rotz-und-Wasser-Heulen eignet er sich – anders als der unverhohlen sentimentale Tschaikowsky – auch nicht, dazu ist Brahms ein zu kluger Komponist. Wenn er bereits mit 24 Jahren schreibt „ruhig in der Freude und ruhig in Schmerz und Kummer ist der schöne, wahrhafte Mensch. Leidenschaften müssen bald vergehen, oder man muß sie vertreiben“, hört sich das zwar ein wenig nach Konfuzius an, aber in diesen Sätzen steckt Brahms‘ künstlerisches Credo. Dazu passt, dass Brahms außer in einigen Klavierwerken kaum jemals wirklich hurtig wird, sondern selbst in seinen schnellen Sätzen immer noch lieber ein beleibtes Geschwindstapfen als einen Hexentanz hören lässt. „Lieben Sie Brahms?“, fragte die Bestsellerautorin Françoise Sagan. „Lieben Sie die Schwerkraft?“, möchte man statt einer Antwort zurückfragen.

Das Programm der Südwestdeutschen Philharmonie bietet an vier Novemberabenden Orchestermusik des großen Hamburgers aus den 1880er Jahren: Das Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102, Brahms‘ letztes Orchesterwerk überhaupt, ist gegenüber den Klavierkonzerten und dem Violinkonzert in der öffentlichen Aufmerksamkeit ins Hintertreffen geraten, was nicht nur an seiner eher ungewöhnlichen Besetzung liegt. Das Werk ist typischer später Brahms und schenkt wenig her, weshalb sich schon einige Zeitgenossen dabei redlich langweilten, während andere gewichtige Stimmen es als Meisterwerk priesen. Solisten sind die Violinistin Maria Solozobova sowie Thomas Demenga (siehe Foto), ein international tätiger Cellist, Komponist und Pädagoge. David Reiland, seit 2012 Chefdirigent des Orchestre de Chambre du Luxembourg, leitet den Abend.

Den zweiten Teil bildet Brahms‘ letzte Symphonie Nr. 4 e-Moll, ein bei aller Verhaltenheit äußerst persönliches Werk mit einem schwebenden ersten Satz, ein Stück Musik, das eigentlich nicht zum Bestseller taugt, aber doch ein Repertoirestück geworden ist. Manche betrachten diese 4. auch als letzte der klassischen Sinfonien des 19. Jahrhunderts und Abschluss einer Sinfonie-Tradition, die von Beethoven über Schubert und Schumann bis eben zu Brahms reicht. Den Auftakt macht die „Tragische Ouvertüre“, die wenig Ouvertürenhaftes an sich hat, aber allemal für eine unterhaltsame Viertelstunde gut ist.

Nun hat man schon viele Künstler zu Klassikern ausgerufen. Im Fall von Brahms gibt es für den Klassikerstatus aber einen unwiderleglichen Beweis. Der findet sich bereits 25 Jahre nach Brahms‘ Tod in Jaroslav Hašeks „Schweijk“, dem Hausbuch des gesunden Menschenverstandes. Dort sinniert ein Feldgeistlicher: „Vertreten Sie etwa eine fortschrittliche Meinung über die Hölle, gehen mit dem Zeitgeist und den Reformisten? Das heißt anstelle der gewöhnlichen Kessel mit Schwefel für die armen Sünder Dampfdruckkochtöpfe, Sünder, die in Margarine gebraten werden, das Knirschen der Zähne besorgen die Dentisten mit Spezialinstrumenten, das Jammern und Klagen wird auf Grammophonen aufgenommen, damit man die Schallplatten nach oben ins Paradies schicken kann, um die Gerechten zu erheitern. Im Paradies arbeiten Zerstäuber mit Kölnisch Wasser, und die Philharmonie spielt so lange Brahms, dass man lieber der Hölle und dem Fegefeuer den Vorzug gibt.“ Für einen solchen Nachruhm würden viele von uns mit Recht töten.


Mittwoch, 23. November 2016, 20 Uhr, Konzil Konstanz
Freitag, 25. November 2016, 20 Uhr, Konzil Konstanz
Samstag, 26. November 2016, 20 Uhr, Stadthalle Singen
Sonntag, 27. November 2016, 18 Uhr, Konzil Konstanz
Einführungsvortrag eine Stunde vor Konzertbeginn.

Karten gibt es unter anderem hier:
Südwestdeutsche Philharmonie, Mo.-Fr. 09.00-12.30 Uhr, Tel. +49 7531 900-816
philharmonie-karten@konstanz.de
Stadttheater Konstanz, Mo.-Fr. 10.00-19.00 Uhr, Sa. 10.00-13.00 Uhr, Tel. +49 7531 900-150
theaterkasse@konstanz.de
Karten, Konzertkalender und weitere Informationen auch im Internet:
www.philharmonie-konstanz.de

MM/Harald Borges (Foto: Ismael Lorenzo)