Lieber FAZ als taz?

Der Berliner „Tageszeitung“ (taz) geht es gut. Ihr Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch erklärte unlängst, die Zeitung erwirtschafte jährlich 300 000 Euro Überschuss und habe 11 Millionen Euro Rücklagen angehäuft. Ein einigermaßen überraschendes Ergebnis, wenn man weiß, wie viele Printmedien heute ums Überleben kämpfen und dass es konzernunabhängige Zeitungen dabei besonders schwer haben.

Bei der Lektüre der taz stellt sich darüber hinaus jedoch noch eine andere, möglicherweise damit verbundene Frage: Warum macht eine Redaktion, in der so viele Linke arbeiten, eine so unkritische Zeitung? Denn wenn ‚links‘ die Fähigkeit beschreibt, Herrschaftsverhältnisse wahrzunehmen und infrage zu stellen, dann ist die taz wahrlich kein linkes Blatt. In Sprache und Form mag man sich von bürgerlichen Blättern unterscheiden; was den Inhalt angeht, waren im FAZ-Feuilleton zuletzt mehr kapitalismuskritische Beiträge zu finden als in der alternativen taz.

Woran liegt das? Offensichtlich sind Eigentumsverhältnisse längst nicht so zentral für die politische Linie eines Mediums, wie gemeinhin angenommen wird. Als Genossenschaft hätte die taz alle Freiheit, sich kritisch mit der aus den Fugen geratenden bürgerlichen Gesellschaft auseinander zu setzen. Machen die RedakteurInnen das nicht, weil sie wirklich von ihrer Zeitungslinie überzeugt sind?

Auch dieser Erklärungsversuch kann nicht ganz überzeugen. In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren waren viele taz-RedakteurInnen – ähnlich wie viele GründerInnen der Grünen Partei – damit beschäftigt, sich von der Bewegungslinken abzusetzen, aus deren Reihen sie stammten. Dazu kamen junge JournalistInnen in die Redaktion, die die taz in erster Linie als Karrieresprungbrett betrachteten. Doch in den vergangenen Jahren haben auch wieder dezidiert Linke in der Zeitung angefangen, die mehr wissen als das, was sie schreiben.

Woran liegt es also dann? An LeserInnen, die mehr als Alternativkonsum, Politikberatung für Grüne und Piratenpartei sowie eine internationale Berichterstattung, die Präsident Obama für einen Verteidiger der Menschenrechte hält, nicht mitmachen würden? In den Internetforen der taz hat man bisweilen wirklich diesen Eindruck. Hier debattiert die Mitte der Gesellschaft – es gibt auch offen rassistische Positionen.

Muss man der taz also dankbar sein, weil sie zwar schlechter ist, als sie aufgrund ihrer RedakteurInnen und Eigentumsverhältnisse sein könnte, aber immer noch besser als ihre Leserschaft? Vielleicht, doch es gilt zu bedenken: Auch die Mitte der Gesellschaft könnte anders sein, wenn das wichtigste alternative Medium im Land kritischere Fragen stellen würde.

Von Pierre Bourdieu gibt es einen schönen, mittlerweile fast zwanzig Jahre alten Aufsatz über das Fernsehen. Darin beschreibt er die Kräfte und Zwänge des journalistischen Felds und entwickelt die These, dass die Positionen der Medien maßgeblich von symbolischer Ökonomie geprägt sind: Jede und jeder kämpft um die Aufsehen erregende Nachricht, muss sich dabei aber auch vorsehen, sich nicht allzu weit von den anderen zu entfernen. Denn wer sich außerhalb des Konsenses positioniert, wird diskursunfähig und verliert jede Anerkennung. Auf diese Weise entsteht ein Journalismus, bei dem es nur noch darum geht, das Gleiche zu schreiben wie alle anderen, das jedoch als Erster.

Autor: Raul Zelik, WOZ