Literatur auf dem Land: 20 Jahre Bodmanhaus

Als das Bodmanhaus feierlich seinen Betrieb aufnahm, blieben die SchriftstellerInnen unter den Gästen (von denen viele hier nie wieder gesehen wurden) eher im Hintergrund. Diese Gründung war durchaus ein Wagnis, dessen sich die wenigsten bewusst waren: Ein Literaturhaus in der kleinsten Gemeinde des Kantons, die eher für Hotellerie am Seerhein und Hochzeitstourismus bekannt war als für Kultur. Würden Einwohner und Gäste sich an seltsame, mitunter recht trinkfeste Leute wie Autoren gewöhnen?

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Das Bodmanhaus in Gottlieben befand sich in illustrer Gesellschaft, denn etwa zeitgleich mit ihm öffneten auch die Literaturhäuser in Zürich und Basel als erste Schweizer Einrichtungen dieser Art ihre Pforten. Die Gründung des Bodmanhauses war eine Art Abschluss einer Aufholjagd, die aus dem kulturellen „Holzboden“ Thurgau im Zeitraum von etwa 15 Jahren eine fast schon blühende, mitunter wuchernde Kulturlandschaft machte: von den Ittinger Pfingstkonzerten über KulT(h)urgau und Ittinger Literaturtage, das Jazzfestival «Generations» in Frauenfeld, die Vergabe von Kompositionsaufträgen, der Förderung von bildender Kunst und Fotografie bis hin zu einem eigenen Literaturhaus. Nicht zu vergessen ist auch die Gründung der vom Staat unabhängigen Kulturstiftung des Kantons, in deren Stiftungsrat neben von drei von der Regierung entsandten Vertretern auch drei Kulturschaffende und drei KulturvermittlerInnen Einsitz nehmen.

In der Probephase des Hauses übernahm die zehn Jahre zuvor gegründete Kulturstiftung des Kantons Thurgau die Betriebskosten, eine vergleichsweise bescheidene Gesamtsumme von 40.000 FR jährlich. Gleichwohl, ob das gut gehen konnte: Literatur auf dem Land? Es ist gut gegangen. Die Besucherzahlen blieben über all die Jahre zumeist überschaubar, aber mit der Zeit entwickelte sich neben Gästen, die sich für einen ganz bestimmten Autor oder eine Autorin interessierten, ein Stammpublikum von beidseits der nahen Grenze. Und das Haus hat seither in seiner kleinen Stipendiatenwohnung über 30 AutorenInnen für meist zweimonatige Aufenthalte beherbergt. Nach der Anlaufphase hat der Kanton die laufenden Kosten längst in sein ordentliches Kulturbudget übernommen.

Die verschiedenen Programmleiter oder Teams, es waren bisher insgesamt acht Personen, haben natürlich unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Programmierung gesetzt, inhaltlich und durch die von ihnen eingeladenen Autoren/innen. Mitunter ist das Haus sogar „fremdgegangen“ – in die Aula der Kantonsschule Kreuzlingen, die Landwirtschaftsschule Arenenberg oder den Klosterhof St. Gallen. Der gesamte Literaturbetrieb und Buchmarkt haben sich in den vergangenen 20 Jahren noch einmal einschneidend verändert. Es werden bei etwa gleichbleibender Leserschaft immer mehr Bücher verlegt, die Qualität der Buchproduktion, der Literaturkritik und der Kulturberichterstattung nimmt hingegen merklich ab. Marketing und Veranstalter bestimmen die Inhalte, für Lyrik etwa ist in den Verlagsprogrammen kein Platz mehr. Vaudeville, Kunsthandwerk, gut Verdauliches werden als Literatur verkauft. Ein Kritiker schrieb über einen Roman von Daniel Kehlmann (leider zurecht), dieser lese sich „wie von selbst“.

Ein Literaturhaus wie das unsere sollte keine Literatur befördern, die sich wie von selbst liest. Dafür braucht es kein Literaturhaus. Das nämlich sollte nicht unbesehen Trends und Trendsettern folgen, sondern sich dem Druck von Verlagen und Buchhandel entziehen. Statt Unterhaltung und Lebensdekoration sollte es literarische Literatur zu befördern helfen, eine Literatur, die mit Sprache arbeitet, also unter die Oberfläche der Erscheinungen taucht und so Geschichte und Geschichten in unser Bewusstsein befördert.

Zur Zeit ist das Literaturhaus Thurgau, wie es seit kurzem etwas hochtrabend in einem dezentralisierten Kanton heißt, in dessen Regionen es mittlerweile mehrere Anbieter verschiedener Literaturen gibt, geschlossen. Alle Veranstaltungen des ersten Halbjahres wurden aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt, selbst die Jahresversammlung zum 20-jährigen Jubiläum am 25. April wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Eine neu aufgelegte Broschüre zum 20-jährigen Bestehen mit allen wissenswerten Zahlen und Fakten ist allerdings im Mai erschienen, und das Jubiläumsessen für aktive und ehemalige Stiftungsräte und ProgrammleiterInnen darf am 20. Juni stattfinden. Was der neue Programmleiter Gallus Frei für das 2. Halbjahr 2020 plant, ist allerdings noch nicht bekannt.

Jochen Kelter


Jochen Kelter war von 2000 bis 2004 erster Programmleiter des Bodman-Literaturhauses.

Thurgauische Bodman-Stiftung
Bodmanhaus
Am Dorfplatz 1
CH-8274 Gottlieben
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