Am Ellenrieder brodelt es

Die „Bildungspartnerschaft“ zwischen dem Konstanzer Ellenrieder-Gymnasium und dem Rüstungskonzern EADS aus Friedrichshafen sorgt weiter für Unruhe: Eltern, Schüler und Lehrerkollegium wollen Antworten auf ihre Fragen: Was macht EADS an unserer Schule? Wer vereinbart warum solche Kooperationen? Mittlerweile sind auch Politiker und Parteien hellhörig geworden. Es brodelt rings um das Ellenrieder. Über weitere Proteste wird seemoz berichten.

Versteckt unter dem Tagesordnungspunkt „Bericht der Wirtschaftsförderung“ kam das Thema in der letzten Sitzung des Konstanzer Haupt- und Finanzausschusses (HFA) zur Sprache: Nicht nur das Ellenrieder-Gymnasium, auch die beiden Konstanzer Hochschulen pflegen schon seit 2009 eine rege Zusammenarbeit mit EADS. Bei Besuchen der EADS-Rüstungssparte in Immenstaad, die sich neuerdings unverdächtig ‚Cassidian‘ nennt, zeigten sich Professoren und Dozenten „begeistert von den Kooperationsmöglichkeiten“ mit dem Rüstungskonzern. Das berichtet die Stadtverwaltung wohlgemerkt unter der Überschrift: Wirtschaftsförderung.

Auch Peter Beckmann, Ellenrieder-Rektor,  informiert auf der homepage seiner Schule „ mit Freude darüber, dass das Ellenrieder-Gymnasium eine Schulpartnerschaft mit der EADS-Deutschland GmbH in Immenstaad (www.eads.com) eingegangen ist. Die Ausgestaltung der Partnerschaft….wird ein wichtiger Teil unserer Schulentwicklung werden und ich danke der Firma, dass sie uns so ein Angebot eröffnet“.

Einspruch und Protest

Kein Wort darüber, dass Europas führender Rüstungskonzern so und durch die Hintertür schleichenden Zugang zu Konstanzer Studenten und Schülern findet. Kein Wort darüber, dass EADS von Kampfflugzeugen über Militärhubschrauber bis hin zu Atomwaffenträgersystemen und „Drohnen“ das ganze todbringende Arsenal moderner Waffen im Angebot hat. Kein Wort darüber, dass EADS regelmäßig an menschenrechtsverletzende Regime in aller Welt liefert. Zumindest Holger Reile, Gemeinderat der Linken Liste Konstanz, fand in der HFA-Sitzung am letzten Donnerstag anklagende Worte zu diesem Skandal.

Einspruch und Protest auch andernorts: So verlangt der Ellenrieder-Elternbeirat, aufgeschreckt durch wütende Eltern, Aufklärung über dieses dubiose Kooperations-Modell, über das Einzelheiten noch immer nicht bekannt sind. Auch unter Schülern regt sich Widerstand: Auf einer Veranstaltung mit dem Rüstungsgegner Jürgen Grässlin letzte Woche in Konstanz meldeten SchülerInnen des Ellenrieder- wie des Humboldt-Gynasiums ihren Protest an – nicht nur gegen die EADS-Kooperation, sondern auch gegen das „geheimnisvolle Zustandekommen“ dieses Vertrages. Und sogar der Konstanzer Theaterintendant  Christoph Nix nutzte die Einführung des neuen Leitungsteams für das Junge Theater Konstanz zu einer Kritik an der EADS-Ellenrieder-Kooperation, über die seemoz bereits am 29.7. und 16.8. berichtete.

Partnerschaften der anderen Art

Dass „Bildungspartnerschaften“ – Grundlage ist eine 2008 zwischen der Landesregierung und den Wirtschaftsverbänden ausgehandelte Vereinbarung – auch anders funktionieren können, beweist die Geschwister-Scholl-Schule (GSS) in Konstanz. Dort wurde eine Zusammenarbeit mit dem Malteser Hilfsdienst (MHD) vertraglich vereinbart. Die GSS-MHD-Bildungspartnerschaft sieht Projekte gegen Mobbing und Gewalt an Schulen sowie die Unterstützung bei der Unterrichtsgestaltung des neuen Wahlpflichtfachs ‚Gesundheit und Soziales‘ vor. Petra Elze, GSS-Lehrerin und am Schulamt Konstanz für Bildungspartnerschaften zuständig, dazu: „Wir sind sicher, dass damit der Start in eine langfristige Zusammenarbeit zwischen uns und den Maltesern geglückt ist“.

Selbst wenn Rektor Beckmann derzeit eine „Charme-Offensive“ startet – auch dem Ellenrieder-Gymnasium steht ein heißer Herbst bevor. Von Demonstrationen vor der Schule und anderen Aktionen in der Schule ist die Rede. Eine schonungslose Offenlegung der Hintergründe dieses Bildungs-Deals durch Stadtverwaltung und Schulleitung zumindest ist überfällig.

Autor und Foto: Hans-Peter Koch

Hier der Redebeitrag von Holger Reile im Haupt- und Finanzausschuss am 7.10

„Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen

 

Der Bericht über die Wirtschaftsförderung vor Ort hat bei uns zweigeteilte Gefühle hinterlassen. Auf der einen Seite ist es begrüßenswert, wenn sich beispielsweise  im Bereich der Umwelttechnologie mit dem Schwerpunkt regenerative Energien etwas bewegt und auch anderswo positive Entwicklungen festzustellen sind. Aber der hier vorliegende Bericht wurde mit allzu rosaroter Brille verfasst.

 

Ob beispielsweise das Kompetenzzentrum die Entwicklung nimmt, die sich die Verwaltung erträumt, das bezweifeln wir. Das scheint schon eher eine Zangengeburt mit ungewissem Ausgang zu sein. Ein richtungsweisender Start sieht anders aus. Hier bahnt sich wohl eher ein innerstädtischer Verdrängungswettbewerb an.

 

Was wir aber auf keinen Fall mittragen können, – und ich muss mich schon sehr wundern, dass diese Thematik hier offensichtlich niemanden interessiert – sind die sogenannten Transferveranstaltungen mit der EADS, die Sie uns hier in Ihrem Bericht verharmlosend anpreisen wollen.  Und das aus gutem Grund:

 

–       Die EADS steht vorrangig für blutige Geschäfte in Krisengebieten. Sie liefert nicht nur Kampfflugzeuge und Militärhubschrauber – sie ist auch der einzige Rüstungskonzern in Europa, der Atomwaffenträgersysteme anbietet. Die EADS entwickelt auch die sogenannten Drohnen, also die führenden Waffensysteme kommender Kriege.

 

–        Der Tod, so sagte es der international anerkannte Friedensforscher Jürgen Grässlin neulich bei seinem Vortrag hier in Konstanz – der Tod ist auch ein Meister vom Bodensee. Vor unserer Haustüre entwickeln neben EADS auch ATM, Tognum/MTU, Dornier oder ZF Massenvernichtungswaffen, beziehungsweise deren Bestandteile. Wahrscheinlich haben Sie kürzlich der Presse auch entnommen, dass EADS den Milliardenauftrag übernommen hat, die Grenzen für das menschenverachtende System Saudi-Arabiens zu sichern.

 

Dass nun behauptet wird, bei dem Kontakt mit der EADS gehe es lediglich um „verschiedene Kooperationsmöglichkeiten im Bereich Forschung und Lehre“, halten wir für zumindest fahrlässig und grob beschönigend. Wie Sie sicher  wissen, drängt die EADS auch an die Konstanzer Schulen. Das Ellenrieder-Gymnasium hat einen sogenannten Kooperationsvertrag mit EADS geschlossen. Das halte ich für besonders perfide und fast schon zynisch.

 

Ein Rüstungskonzern, der weltweit als einer der erfolgreichsten Kriegsgewinnler gilt, hat unserer Meinung nach an Schulen nichts zu suchen. Mittlerweile regt sich dagegen auch Widerstand in Schüler- und Elternkreisen – und das ist gut so. Wenn EADS tatsächlich auch hier bei uns in die Schulen und Universitäten drängt, dann sollte dort zuvorderst kritisch über die blutigen Geschäfte des Konzerns diskutiert werden.

 

Wirtschaftsförderung kann in unserer Zivilgesellschaft nicht heißen, dass man  Rüstungsbetrieben völlig kritiklos Tür und Tor öffnet und wir uns damit zum Spielball für deren Begehrlichkeiten machen.  Wirtschaftsförderung ja – aber nicht um jeden Preis. Deshalb drängen wir darauf, uns weitere sogenannte Transfer- und Kooperationsveranstaltungen mit der EADS nicht nur als harmlose Geschäftsbeziehung zu verkaufen. Das, so meine abschließende Bemerkung zum Thema,  ist der Sache keinesfalls angemessen.

 

H.Reile“