Von Schlapphüten, Schulleitern und ängstlichen Redakteuren

EADS und seemoz – wird das eine unendliche Geschichte? Immerhin erreichte uns nach der letzten Veröffentlichung zum Thema: Rüstungsindustrie am Bodensee (25.10.) eine Vielzahl von Informationen, die wir unseren Lesern nicht vorenthalten dürfen: Über einen Vertrag, der lange geheim bleiben sollte, über einen Artikel, der für bundesweites Aufsehen sorgte, über einen Leserbrief, der verschwinden sollte, und eine Polizei, die erfolglos im Dunkeln stocherte.

Heile Welt ist der Zwei-Seiten-Report der „Zeit“ absichtlich missverständlich überschrieben, in dem Deutschlands größte Wochenzeitung in ihrer letzten Ausgabe (4.11.) über die Waffenschmieden am Bodensee berichtet: Zahlen, Daten und Fakten sowie etliche persönliche Stellungnahmen zeichnen ein trotz mancher Beschönigungen realistisches Bild der hiesigen Rüstungsindustrie. Ein Bericht, mithilfe mancher seemoz-Mitarbeiter entstanden, der fast als Lexikon durchgehen kann.

Kooperationsvertrag aufgetaucht: Der lange von Schulrektor Peter Beckmann geheim gehaltene Kooperationsvertrag zwischen dem Konstanzer Ellenrieder-Gymnasium und EADS wurde seemoz zugespielt – und Tage später (konkret: fünf Tage nach der Aufklärungsaktion der Linken Liste Konstanz auf dem Schulhof) auch auf der Homepage der Schule veröffentlicht. Nichts veröffentlicht wurde auf der Ellenrieder-Page übrigens über die LLK-Aktion selber. Als gäbe es solche Demonstrationen alle Tage. Allerdings rief sie Wochen später die Kriminalpolizei auf den Plan – doch davon weiter unten…

Aufregendes ist in der Ellenrieder-EADS-Vereinbarung nicht zu lesen, einige Anmerkungen sind dennoch nötig. In Abschnitt 1. steht da in schönem Beamtendeutsch: „Die Vereinbarung kann jederzeit nach einer gemeinsamen Aussprache unter Darlegung der Gründe ohne Einhaltung einer Frist beendet werden“. Ist doch wichtig zu wissen für Schüler und Eltern, dass Rektor Beckmann den Vertrag jederzeit aufkündigen kann – womöglich dann weniger selbstherrlich, wie er ihn einst abgeschlossen hat.

Unter Punkt 7. „Haftung“ wird ebenso stilsicher formuliert: „Werden im Rahmen der gemeinsamen Nutzung von Einrichtungen Sachen beschädigt, so trägt jeder Partner den Schaden selbst, es sei denn, der Schaden wurde von einem Mitarbeiter des anderen Partners vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht. Hinsichtlich der Schäden an Personen gelten die gesetzlichen Bestimmungen“. Bleibt nur zu fragen, ob die Schadensersatzregelung auch für geistige Schäden gilt, wenn nämlich ein Ellenrieder-Zögling als Friedensfreund durchs Werkstor geht und als Rambo wieder rauskommt.

Die Schülermitverwaltung (SMV) des Ellenrieder Gymnasiums sieht nach Aussagen ihres Sprechers Justus Reichl übrigens keine Veranlassung, gegen die Vereinbarung zu protestieren. Trotz mancher kritischer Stimmen sei man in einer SMV-Sondersitzung zu der Meinung gelangt, dass an der Vereinbarung mit EADS nichts auszusetzen sei. Besonders jüngere Schülerinnen und Schüler hätten für die Zusammenarbeit mit dem Rüstungskonzern, „der ja nicht nur Rüstungsgüter produziert“, gestimmt, so Justus Reichl.

Junge Union abgetaucht: Ganz mutig war die Halbstarken-Fraktion der immer noch christdemokratischen Union, als sie nach der LLK-Aktion auf dem Ellenrieder-Schulhof und dem auf- und anmacherischen Bericht der Lokalpostille von den Aufklärern eine Entschuldigung forderte. Auf die seemoz-Replik von Stadtrat Reile antworteten die Jungunionisten bislang, trotz mehrfacher Aufforderung, nicht. Wahrscheinlich denken sie noch über ihre Entschuldigungen nach.

Leserbrief untergetaucht: Die LLK-Aktion und besonders die tendenziöse Berichterstattung im Lokalblatt rief zahlreiche Leserbrief-Schreiber auf den Plan. Manche Leserbriefe an den „Südkurier“ wurden veröffentlicht – die meisten aber landeten im Papierkorb der Redaktion. Stellvertretend für die vielen untergetauchten Stellungnahmen veröffentlichen wir den Brief von Maik Schluroff:

„In den Knast mit den linken Gesetzesbrechern!

(Zum Südkurier-Artikel „Linke Liste bricht im EADS-Streit Gesetz“ vom 21.10.2010).

Während die Schulleitung des „Ellenrieder“ die Schülerinnen und Schüler sorgsam davor schützt zu erfahren, dass ihre Schule einen Kooperationsvertrag mit EADS abgeschlossen hat, einem Konzern, der Milliarden-Umsätze mit Rüstung macht (für das Regierungspräsidium sind Milliarden-Umsätze allerdings „Aktivitäten in geringem Umfang“) und massiv gegen Rüstungsexportbestimmungen verstößt („keine Lieferungen in Spannungsgebiete oder an menschenrechtsverachtende Länder“), erfrechen sich die Linken, darüber auf dem Schulhof zu informieren.Warum schreitet da keiner ein? Warum kommen die nicht in den Knast? Wenn die doch Gesetze brechen?

Ach so, irgendwo steht es dann im Kleingedruckten: Die haben gar kein Gesetz gebrochen, sondern nur gegen eine Verwaltungsvorschrift verstoßen. Nur wegen solcher Spitzfindigkeiten sollen die nicht in den Knast kommen? So etwas gefährdet Arbeitsplätze, bei EADS zum Beispiel, wo auf einen Rüstungsarbeitsplatz ein Todesopfer kommt, aber zum Glück ja praktisch nur Ausländer. Und außerdem hat das Ellenrieder-Gymnasium sich einen vergleichsweise harmlosen Partner ausgesucht: an einer Waffe von Heckler & Koch stirbt alle 14 Minuten ein Mensch. Loben wir also den Direktor des „Ellenrieder“ für seine Fürsorglichkeit!

Maik Schluroff, Klostergasse 3, 78462 Konstanz“

Fairerweise noch ein Hinweis an die Kollegen des „Südkurier“: Es hat keinen Sinn, solche Leserbriefe oder Pressemitteilungen weiterhin zu unterschlagen – seemoz bringt sie ohnehin.

Schlapphüte auf Tauchfahrt: Wochen nach der LLK-Aktion tauchten Kriminalpolizisten am ““Ellenrieder“ auf und fragten: Warum hat niemand die frechen Linken des Schulhofs verwiesen? Dann wäre wenigstens ein Hausfriedensbruch drin. Warum hat niemand die Transparente beanstandet? Doch die Suche nach Zeugenaussagen blieb erfolglos – offensichtlich arbeiten überwiegend Demokraten am „Ellenrieder“. Selbst Rektor Beckmann wurde die Schnüffelei zu viel und er kanzelte die versteckten Ermittler ab, die sich unverschämterweise nicht angemeldet hatten.

Und doch noch ein Tipp für die freundlichen Schlapphüte: Vergeblich wurde nach dem auf dem Schulhof verteilten Flugblatt gefahndet – nur seemoz fragen: Wir haben den Flyer dutzendfach auf unseren Rechnern und stellen ihn der Staatsmacht gerne zur Verfügung.

Rüstungsgegner Grässlin taucht wieder auf: Für den 14.12. ist ein neuer Auftritt von Jürgen Grässlin in Konstanz geplant. Am Nachmittag wird der bundesweit bekannte Rüstungskritiker als Experte im Gemeinschaftskunde-Unterricht beim Ellenrieder-Gymnasium fungieren, am Abend im Stadttheater als Teilnehmer einer Podiumsdiskussion auftreten. Angedacht ist eine Round-Table-Runde mit Geschäftsführern und Betriebsräten von EADS. Doch selbst Theater-Intendant Nix als Organisator glaubt nicht so recht, dass eine solche Runde zustande kommen wird: „Ich erwarte schon, dass die EADS-Mitarbeiter kneifen werden“. Dennoch ist, in welcher Zusammensetzung auch immer, ein informationsreicher Abend zu erwarten.

Autor: Hans-Peter Koch