Magische Blicke in eine Schweizer Landschaft

Bilder: Guido Kasper

Das Klöntal im Kanton Glarus, ca. 75 km Luftlinie von Konstanz entfernt, ist ein imposanter Ort. Die Schroffheit seiner Wände, der klare See als Spiegel der Landschaft und des Himmels lösen ebenso Erstaunen wie gelegentlich auch Erschrecken aus, weil sie das menschliche Augenmaß zu übersteigen scheinen. Der Konstanzer Fotograf Guido Kasper hat dieses Tal jetzt in einem ausdrucksstarken, mit beeindruckendem Aufwand gestalteten Buch in Szene gesetzt. Der Geologe Mark Feldmann sowie die Schriftsteller Tim Krohn und Peter Renz haben dazu Texte verfasst.

Zwar die Natur bedeckt dein hartes Land mit Steinen,
Allein dein Pflug geht durch, und deine Saat errinnt;
Sie warf die Alpen auf, dich von der Welt zu zäunen,
Weil sich die Menschen selbst die größten Plagen sind.
Albrecht von Haller, „Die Alpen“ (1729)

Der Titel „Traumperspektiven – Magie der Schweizer Landschaft. Klöntal“ deutet an, mit welchem Verständnis das Klöntal in diesem Band gesehen wird. Es geht nicht ums Dokumentarische oder Touristische, auch nicht um ein Souvenir oder einen Reiseführer, sondern um eine künstlerische, auch von der Landschaftsmalerei inspirierte Sichtweise auf eine imponierende Landschaft. Der schwergewichtige Band bietet einen Einblick, der frei von Kitsch, aber doch emotional ist und bewusst auch ein wenig retrospektiv erscheint, denn in Kaspers Bildern tauchen kaum Menschen auf, obwohl natürlich auch das Klöntal mit seinem Stausee, den Hotels, Wanderwegen und seiner Landwirtschaft eine von Menschen mitgeprägte Kulturlandschaft ist.

Im Zentrum der Bilder steht oft eine quasi nackte Landschaft, eine Art wahrer Natur, wie sie ohne den Menschen sein könnte. Viele Bilder scheinen den Betrachter in eine Zeit zurückzuführen, in der Natur nicht primär als Gegenstand der wirtschaftlichen Nutzung oder Ort der Erholung in der Freizeit begriffen wurde, sondern dem Menschen als das Nicht-Menschliche entgegen trat – als Offenbarung einer (so dachte man: göttlichen) Schöpfung, die allein durch ihre vertikalen Dimensionen ebenso bedrohlich wie erhaben erschien, machte sie den Menschen doch so klein.

Möglich wird eine solche Bildästhetik durch technische Entwicklungen, bei denen nicht mehr das Objektiv den Bildwinkel diktiert, sondern der Fotograf bestimmt, wie weit das Bild reichen soll. Es ist eine fotografische Herausforderung, in einem engen Tal mit einem Stausee auf 850 Metern Höhe aus einem Abstand von nur 430 Metern eine 3000 Meter hohe Wand zu fotografieren. Da hilft die Technik dem Künstler: Während die menschlichen Augen ein Gesichtsfeld von ca. 180 Grad in der Horizontalen und 70 Grad in der Vertikalen erfassen, ermöglichen Panoramafotos einen Blick von den Betrachter immer wieder verblüffenden maximal 360 Grad. Die beeindruckendsten Aufnahmen dieses Buches sind Fotos, die in diesem Sinne den menschlichen Blickwinkel erweitern und ausgeklappt bis zu 90 Zentimeter Breite erreichen, so dass man sie kaum noch auf einen Blick erfassen kann und trotzdem einen Gesamteindruck der Landschaft förmlich einsaugt.

Die stärksten Bilder lassen ahnen, um wie viel größer die Natur ist als der Mensch, sie wecken einen Eindruck von der Erhabenheit der Landschaft und haben damit etwas beinahe Religiöses. Dem Betrachter drängt sich beim Durchblättern als ästhetisches Grundkonzept unwillkürlich ein Satz Albrecht von Hallers auf: „Der Dinge Wert ist das, was wir davon empfinden.“

In diesen Bildern steckt stillschweigend auch ein Stück Zivilisationskritik, in der das Klöntal als Refugium des Grandiosen und Unverfälschten wider die Banalität und Uneigentlichkeit des alltäglichen Lebens steht. Der Mensch mag aus diesem Blickwinkel zwar ein Teil der Natur sein, aber die Natur kommt auch ohne ihn bestens zurecht. Schimmert hier die Wehmut der Stadtbewohner durch, die sich – ganz dem 21. Jahrhundert zugewandt – nicht wie die Romantiker des 19. Jahrhunderts in ein oft fiktives Mittelalter zurücksehnen, sondern sich ihrer eigenen Jugend mit jener Wehmut erinnern, die eintritt, wenn die Stürme der Jugend in eine Todesangst umschlagen, der die Zukunft ungewiss, die Vergangenheit aber verlässlicher Begleiter vieler Tagträume ist? Mitnichten, denn diese Bilder betreiben keine Nabelschau, in der die Heimat als erinnerte Idylle aufscheint, sondern werden bei aller Poesie, die in ihnen liegt, auch im 22. Jahrhundert noch unverändert Gültigkeit haben; nicht nur weil sie einfach oft wunderschön und von unglaublicher Perfektion sind, sondern auch wegen ihrer ästhetischen Wucht.

Autor: Harald Borges

André van Sprundel (Hrsg.), „Traumperspektiven – Magie der Schweizer Landschaft. Klöntal“
21,5 x 30,2 cm, Hardcover, 224 Seiten, Verlag: eMotion Technologies & Media GmbH
ISBN 978-3-85546-227-8 – deutschsprachige Ausgabe, ISBN 978-3-85546-230-8 – englischsprachige Ausgabe; online unter http://www.emotion-media.ch/