Michael Verhoeven im Konstanzer Scala
Die Dokumentation „Menschliches Versagen“ von Michael Verhoeven wird am Donnerstag, 24. September, um 19 Uhr im Scala gezeigt und auch der Regisseur höchstselbst wird anwesend sein. Verhoevens Film erzählt nicht nur von der Enteignung jüdischer Bürgerinnen und Bürger, sondern auch davon, dass diese Ereignisse auch heute noch immer vertuscht und unter den Teppich gekehrt werden. Und er zeigt Tatsachen, die man kaum glauben möchte. Der Film basiert auf dem Buch von Prof. Wolfgang Dreßen: „Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn. Dokumentation zur Arisierung“.
Von der „Enteignung“ der Juden hatten alle anderen deutschen Bürger etwas. Es war nicht die „Gestapo“, die in die jüdischen Wohnungen eindrang, um den gesamten Besitz zu beschlagnahmen, vom Bankkonto bis zum letzten Hemd. Es waren deutsche Finanzbeamte. Es entstand ein bizarrer Wettbewerb unter den Beamten, wie es zu organisieren sei, die Juden auszurauben, ehe sie verjagt oder ins Gas geschickt wurden. Großes ging an die Finanzbehörden, kleineres über Versteigerungen des nichtarischen Besitzes an die lieben Nachbarn (unter anderem auch in Konstanz, Anm. d. Red.). Die Akten darüber gingen verloren oder wurden vernichtet. Was davon übrig blieb, wurde verborgen.
Prof. Wolfgang Dreßen von der Universität Düsseldorf ist schon lange auf der Spur von Akten, in denen die genauen Einzelheiten der verschiedenen Enteignungsvorgänge beschrieben und belegt werden. Weil die Enteignung teilweise in Gestalt von Steuern vorgenommen wurde, befinden sich die Unterlagen in den Steuerakten der enteigneten Personen. Dieser Umstand hat es den Nachkriegsbehörden erleichtert, diese Enteignungsakten unter Verschluss zu halten – unter Berufung auf das Steuergeheimnis.
Die Alliierten haben sich für die Steuerakten offenbar nicht interessiert. Die Banken waren nicht aufgefordert, die Unterlagen aufzudecken. Die Beweislast lag bei den Opfern. Durch einen anonymen Hinweis konnte Prof. Dreßen ca. 2000 Akten in der Oberfinanzdirektion Düsseldorf dingfest machen. Die Oberfinanzdirektion Köln hat vergeblich versucht, die Namen der Opfer in den ausgestellten Akten zu schwärzen.
In Amerika lebende Nachkommen einer enteigneten und deportierten Familie haben nach der Veröffentlichung der Kölner Akten durch Prof. Dreßen erstmals das Schicksal dieser Opfer in Erfahrung gebracht. Wir haben jüdische Zeitzeugen ausfindig gemacht, die die Beraubung ihrer Familien als Kinder oder junge Erwachsene miterlebt haben. Heute sind sie alt und berichten von ihren Erfahrungen. Die Betroffenen empfinden keinen Hass, sprechen nicht von ‚Schuld‘, nur von ‚Menschlichem Versagen‘. Wissenschaftler wie der Historiker Götz Aly, der Historiker und Archivar Andreas Heusler und die Genealogin und Holocaust-Expertin Cornelia Muggenthaler verdeutlichen den historischen Hintergrund.“
Für seinen Film „Das schreckliche Mädchen“ erhielt Michael Verhoeven 1990 eine Oscar-Nominierung, sein Spielfilm über die Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“ um Sophie und Hans Scholl (1982) belebte in der Bundesrepublik die Debatte über Möglichkeiten des alltäglichen Widerstands gegen Hitler. In Konstanz wird der bekannte Regisseur seinen Film „Menschliches Versagen“ am 24. September im Scala-Kino ab 19 Uhr persönlich vorstellen. Der Abend findet statt im Rahmen der noch bis Jahresende laufenden Ausstellung des Rosgartenmuseums „Das jüdische Konstanz“. Nach dem Film führt Museumschef Tobias Engelsing mit Michael Verhoeven ein Autorengespräch. Karten gibt es für 7 Euro im Vorverkauf an der Abendkasse.
Ein zweiter, auch ganz besonderer Gast, hat wird an diesem Abend ins Scala kommen: Helene Schneiderman, Mezosopranistin und Ensemblemitglied der Stuttgarter Oper. Ihre Mutter Judith Schneiderman wurde mit ihrer Familie 1944 in Viehwaggons von den Nazis in das KZ Auschwitz verschleppt. Die damals 16-jährige überlebte das Grauen vor allem deshalb, weil sie den KZ-Aufsehern deutsche Lieder vorsang. Ihre Geschichte „Ich sang um mein Leben“ ist 2013 als Taschenbuch erschienen.
PM/hr