Mit dem Teufel im Bunde
Die Gitarre spielt in der E-Musik keine große Rolle, nur in der Zeit direkt nach den Weltkriegen genoss sie bei den Anhängern klassischer Musik größere Beliebtheit, weil sie hervorragend zum Beheizen des Konzertsaals taugt. Am nächsten Sonntagmittag aber ist sie die Klammer eines Programms „Bella Italia“ mit vor allem italienischer Musik. Zu hören gibt es seltenere Werke aus den letzten zweihundert Jahren, und dabei lässt sich auch etwas lernen: Selbst Teufelsgeiger konnten Gitarre spielen.
Niccolò Paganini (1782-1840) ist natürlich der Wahnsinnsgeiger schlechthin, eine charismatische Virtuosenfigur, die das gesamte 19. Jahrhundert faszinierte. Mit seiner bahnbrechenden, atemberaubenden Spieltechnik vor allem der linken Hand brachte er Konzertsäle zum Kochen und wurde zum Mythos, der die Vorstellung des besessenen Musikers bis heute prägt.
Als Komponist hingegen ist er (von manchen hübschen Stücken aus seinem op. 1 einmal abgesehen) zumeist ein klassisch-romantischer Gebrauchsmusiker, dessen Werke ohnehin meist vom Typ „Violine plus xxx“ sind: Im Vordergrund steht eine oft fingerbrecherisch komponierte Geigenstimme, und der Rest schrammelt dazu irgendeine Begleitung zusammen. Aber eines muss man ihm lassen: Er hat verstanden, dass der Rubel nur rollte, wenn er sein Publikum gut unterhielt, und so hat er denn einen gelegentlich etwas opernhaften Stil entwickelt, mit dem man auch heute noch einen Abend bestens über die Runden bringen kann. Paganini eilte ja – nicht zuletzt aufgrund der hohen Eintrittspreise, die er für seine Konzerte verlangen konnte, – der Ruf des Geschäftemachers voraus, der Heinrich Heine nach dem Besuch eines Hamburger Konzertes zu der wenig freundlichen Bemerkung veranlasste: „Ist es ein Toter, der aus dem Grabe gestiegen, ein Vampyr mit der Violine, der uns, wo nicht das Blut aus dem Herzen, doch auf jeden Fall das Geld aus der Tasche saugt?“
Der Pakt mit dem Leibhaftigen
Über dem Teufelsgeiger ist der Gitarrist und Komponist Paganini in Vergessenheit geraten. In Paganinis Lebenslauf gibt es einige Lücken, die die romantische Fama dadurch zu füllen trachtete, dass sie behauptete, der junge Mann sei kurz nach 1800 für einige Jahre als Liebhaber einer Fürstin hinter den Mauern von deren Schloss verschwunden und habe dort – nach einem Pakt mit dem Teufel – die Geigerei erst richtig für sich entdeckt und teuflische Kräfte auch auf der Gitarre entwickelt.
Bezeichnend ist übrigens, dass die Großkomponisten der Klassik und Romantik von der Gitarre die Finger ließen und dieses Feld kampflos für spezialisierte Tonsetzer wie den Beethoven-Zeitgenossen Fernando Sor räumten. Die Gitarre war wie die Mandoline zumindest im 19 Jahrhundert ein Instrument vor allem für LaienmusikerInnen, und so taucht sie auch in der Literatur auf: etwa bei Eichendorff, bei dem der romantische Student gern mit der Gitarre um den Hals unterwegs ist und so von ferne an die fahrenden Sänger des Mittelalters erinnert. Dieser Gebrauch fernab der Konzertsäle hatte gewiss auch praktische Gründe, denn die Gitarre konnte man ins Freie mitnehmen, um sich darauf beim Absingen mehr oder weniger verschwiemelter Lieder zu begleiten, sie war und ist einfach deutlich handlicher und zudem wetterbeständiger als etwa ein Klavier.
Bis die Finger bluten
Historisch betrachtet wäre Paganinis Pakt mit dem Leibhaftigen allerdings zu diesem Zeitpunkt überflüssig gewesen, denn Paganini selbst berichtete vom Drill auf der Geige von Kindesbeinen an, und wenn er nicht genug geübt hatte, ging es wohl auch schon mal ungegessen und mit einer Kopfnuss ins Bett. Kurzum: Mit 20 war er bereits ein guter Geiger von allerdings nur regionaler Wirksamkeit. Zur umwerfenden Technik seiner linken Hand könnte auch seine Geläufigkeit auf der Gitarre beigetragen haben, auf der mehrstimmiges Spiel ja üblich ist und sich die Hand an deutlich weitere Griffe als auf dem relativ kurzen Griffbrett der Geige gewöhnen muss. Sein Gitarrenspiel wäre also seiner Geigentechnik zugute gekommen, aber das ist natürlich Spekulation.
Welche Bedeutung die Gitarre für Paganini hatte, zeigt allein die Zahl der Werke, die er für dieses Instrument komponiert hat. Neben seinen legendären Capricci op. 1 wurden auch die opp. 2 und 3 gedruckt, und das waren Sonaten für Violine und Gitarre, denen mit den opp. 4 und 5 Quartette für Violine, Viola, Gitarre und Violoncello folgten. Trotzdem kommt es immer wieder einer Neuentdeckung nahe, wenn eines dieser Werke im Konzertsaal auftaucht. Am Sonntag gibt es jedenfalls Paganinis Gitarrenquartett No. 12 und dazu weitere Kammermusik mit Gitarre von Gioacchino Rossini, Luigi Boccherini und Alessandro Rolla sowie von zwei unserer Zeitgenossen, Giovanni Sollima und Zad Moultaka. Es spielen MusikerInnen der Südwestdeutschen Philharmonie, Kyoko Tanino & Johannes Grütter (Violinen), Irene Osterlee (Viola), Ilija Andrianov (Violoncello), Gabriel Ahumada (Flöte) und Tillmann Reinbeck (Gitarre).
Hallo wach!
Vergessen Sie auf keinen Fall, dass in der Nacht auf Sonntag die Sommerzeit einkehrt, nicht dass Sie zu spät im Konzert auftauchen. MusikerInnen dürfen zu spät kommen, denn die sind KünstlerInnen und als solche unzuverlässig und launisch, aber sie als Publikum haben pünktlich zu sein, denn ein Konzert ohne Publikum ist kein richtiges Konzert, sondern nur eine Probe. Und Künstler hassen bekanntlich Proben, denn sie wollen ja am liebsten „ohne Proben ganz nach oben“.
MM/Harald Borges (Abbildung: Hetty Krist, Paganini [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons)
Bella Italia, Sonntag, 31.03.2019, 11.15 Uhr, Inselhotel, Auf der Insel 1, 78462 Konstanz
Karten: 18 Euro/erm. 14 Euro; Kombikarte Konzert & Essen: 50 Euro (beim Veranstaltungsbüro des Inselhotels, Telefon 07531 125-466
Karten gibt es bei der Südwestdeutschen Philharmonie (9.00 Uhr bis 12.30 Uhr), dem Stadttheater Konstanz (07531 900-150) und bei der Tourist-Information am Hauptbahnhof sowie allen Ortsteilverwaltungen. Tickets auch im Internet unter www.philharmonie-konstanz.de.
Ein kleiner Nachtrag: Die (ausverkauften) Konzerte Paganinis zogen in der Hafenstadt Hamburg 1830 ein Publikum an, das sich die erhöhten Eintrittspreise auch leisten konnte, notierte Heinrich Heine als Zuhörer doch „die ganze gebildete Handelswelt, einen ganzen Olymp von Bankiers und sonstigen Millionärs, die Götter des Kaffees und des Zuckers, nebst deren dicken Ehegöttinnen“.
Wie sich das Konzertpublikum doch gewandelt hat! Die „Millionärs“ meiden Abende mit zeitgenössischer Musik und heiraten noch im hohen Alter bevorzugt jugendliches Weibsvolk, das seine Tage mit Beauty, Fitness und Seitenspringen (heute „Shopping“ genannt) verbringt. Der Typus des gebildeten Handelsmannes hingegen ist mittlerweile gänzlich ausgestorben.