Mit Nix muss man immer rechnen
Es gibt Momente, Begegnungen, die streicht man sich noch nachträglich dick rot an im etwas schmaler gewordenen Terminkalender: „14 Uhr Nix!“. Am Tag vor der Premiere von „Kasimir und Karoline“ in der Regie von Christoph Nix und Zenta Haerter in der halbdämmrigen Ecke des Intendanten-Büros sind es 15 kompakte Minuten, die sich der Theaterchef freigequetscht hat in seinem überbordenden Zeitplan. Also direkt ran, dachte unser Autor.
„War es Dein Wunsch, Deine Idee, dieses Stück auf den Spielplan zu setzen und zu inszenieren gemeinsam mit Zenta Haerter? Es ist ja wohl Deine letzte Regie auf der Bühne des Theaters, wo Du lange etwas verändert und bewirkt hast. Hast Du Dich darauf gefreut, wolltest Du das machen?“ Eigentlich nicht, sagt Nix, Perikles von William Shakespeare war es, was er wollte. „Das letzte Stück von Shakespeare, das kaum jemand macht, nur mein Lehrer Palitzsch hat es gemacht.“ Ist uns da etwas entgangen? Wohl schon. „Dafür hätten wir aber alle Sitze rausnehmen müssen und hätten uns gewünscht, dass diese große Gruppe, die Perikles spielt, nackt und eigentlich nur mit Erde und Schlamm bedeckt handelt. Da habe ich einmal ein bisschen Angst gehabt vor meinen treuen Abonnenten und zweitens habe ich gedacht: Na ja, wenn ich sowas hier mache, ist die Stadt zu klein und bin ein bisschen eingeknickt. Obwohl es, glaube ich, großartig geworden wäre. Ich behalte es mir als Vision.“ Dröge, wie wir Nordlichter sagen, langweilig – das ist er nicht, „der Nix“.
Kasimir und Karoline
Volksstück von Ödön von Horváth | Regie: Zenta Haerter, Christoph Nix
Oans, zwoa, gsuffa! Willkommen auf der Wiesn! Hier treffen Groß und Klein zusammen, um den Alltag zu vergessen und sich zu amüsieren. Nur einer hat keine Freude – Kasimir. Gestern hat er seine Stelle verloren und heute soll er lustig sein? Dass seine Verlobte Karoline ihn verlässt ist nur verständlich, denn Sie will hoch hinaus. Sie will feiern – trotz Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und heraufdämmernder Nazidiktatur. Konsum und Vergnügungssucht trifft auf Perspektivlosigkeit und Abstiegsängste.
Neben der Bestialität der menschlichen Beziehungen verlieren selbst die ausgestellten Jahrmarktsabnormitäten ihre Unheimlichkeit. Es ist eine glitzernde und gleichzeitig entzauberte Welt, die Ödön von Horváth in seinem 1932 entstandenen Volksstück entwirft. Brutale Gemütlichkeit trifft auf sentimentale Wiesnlieder, Gläser zerbrechen, Nasen und bald alle gesellschaftlichen Träume.
Die Achterbahnfahrt wird hier zur perfekten Metapher einer politisch-wirtschaftlichen Zeitenwende, in der die Menschen im freien Fall einer ungewissen Zukunft entgegentaumeln. Längst zählt Kasimir und Karoline zu den berühmtesten deutschsprachigen Klassikern – eine gesellschaftliche Zustandsbeschreibung, die auch heute nicht an Aktualität verloren hat.
Also Horváth, weil er ihn so mag und sein Schicksal als so berührend empfindet. Ein so genanntes Volksstück, das leicht unterschätzt wird, denn es ist viel komplizierter, als man denkt. Zack, Stichwort: „So kompliziert wie Deine letzte Spielzeit hier, Deine 14.?“ Ein wenig zögert er. „Das ist noch nicht ganz eindeutig. Die letzte Spielzeit ist ja so eine, wo sie einem etwas wegnehmen oder man reduziert wird oder wo man wissen muss, wann man klugerweise loslässt.“ Um es mal mit dem berüchtigten „Volksmund“ auszudrücken: Das ist kein Kindergeburtstag.
Horváth also, ein kompliziertes Stück, erklärt er, nun hundertprozentig in seiner Welt: Weil es so kurze Dialoge hat und relativ knapp von ihm geschrieben ist und doch so viel erzählt über die Traurigkeit, wenn die Liebe aufhört und die Frage, inwiefern das davon abhängig ist, wie attraktiv man ist. Kasimir sagt von sich, dass er nicht mehr attraktiv sei, weil er eigentlich keine Arbeit hat. „Wie überträgt man das heute? Wo die alle so gestylt rumrennen, gerade hier in der Gegend ist so viel Gestyltes, und das ist nicht so einfach.“ So lassen sie es „in einer gewissen Ortlosigkeit“ spielen. Also erklärt Nix: „Was für mich sehr neu ist, ist, dass ich mit einer Regisseurin und Choreographin zusammenarbeite, das ist unsere erste Zusammenarbeit, ist spannend, ob wir uns verstehen, ob wir uns missverstehen. Dieses Drängen, an eine Ortlosigkeit zu gehen und nicht so ein folkloristisches Stück zu machen, das auf dem Oktoberfest spielt, wo die vielleicht alle die Lederhosen anhaben und übertrieben die Biergläser zusammenstoßen: All das machen wir nicht.“
Wäre auch eine Überraschung gewesen. Da wurde weggelassen, reduziert. „Es gibt Szenen, wo Kasimir sagt, nimm Deinen Finger aus dem Bier, aber er hat die Hand in ihrem Gesicht, was etwas ist, wo man sozusagen die Intimität durchbricht. Dafür haben wir andere Formen und Bilder gesucht. Da ist jemand wie Zenta Haerter, die an großen Häusern choreographiert, selber Tänzerin ist, für mich eine unendliche Bereicherung.“
Über seine Kollegin gerät Nix fast ins Schwärmen – geht doch: „Die hat eine Leichtigkeit zum Beispiel im Konflikt zwischen Erna und Franz, die so eine Hassliebe miteinander haben, die nicht miteinander und ohne miteinander können, sich vielleicht auch prügeln, das hat sie übertragen in Bewegungsbilder. Da hat sie eine Leichtigkeit, eine Traurigkeit gefunden.“ Eine temporäre Partnerschaft, die offenkundig funktioniert hat. Oder wie war das? „Mit Spannungen so wie in der Welt draußen, wo die Welt so absurd ist, wie Du es formuliert hast?“ Nein, sagt der Theatermann, eher habe es gelegentlich positive Irritationen gegeben, etwa „wenn Zenta Haerter und ich total ähnlich gedacht haben, das ging ihr glaube ich auch so. Wir sind uns seltsamerweise im Denken sehr nahe gewesen und ich kann auch leicht eigene Vorschläge zurücknehmen, wenn ich merke, jemand anderes hat einen besseren. Wir hatten nie Streit, eher eine große Harmonie und viel Freude gehabt.“ Sekundenpause. „Glaube ich.“
Die Wirklichkeit wird auf die Bühne gestellt, sozusagen „in einer soziologischen Analyse“: Überfordert das die Zuschauer nicht? Nein, entgegnet Nix, weil es ja in Bildern passiere. „Überfordern ist Quatsch. Wenn man nicht mitkommt, denkt man, der andere ist nicht mit einem gegangen. Wenn der Kopf nicht mehr mitkommt, ist es ganz gut, man lässt es mal sein und guckt einfach mal und ist wie ein Kind. Kinder wissen ja auch oft nicht, etwa warum es donnert, etwas plötzlich die Farbe wechselt, und betrachten es erstmal und finden dann ihre Erklärung.“
„Jähzornige Menschen sind meist gutmütig“, lautete sein letzter Satz bei der Pressekonferenz. „Hast Du damit Dich gemeint?“ „Ja. Das ist wie eine Selbsterkenntnis. Ich halte mich von meinem Selbstbild her für gutmütig, auch für überredbar. Ich weiß aber auch, dass ich mich manchmal, wenn ich überfordert bin oder mich zu wenig zu einem anderen Feld abgegrenzt habe, das war auch früher als Anwalt so, wenn so viele Leute kamen, die kein Geld haben, aber alle auf dem letzten Drücker pfeifen, und das erlebe ich auch jetzt noch manchmal in E-Mails, „bitte verteidigen Sie mich“ und ich mir dann zu viel aufgehalst habe: Dann kann ich mich manchmal nur durch unhöflich sein abgrenzen vor einer großen Überforderung. Ich finde aber, dass ich beispielsweise nicht nachtragend bin, mir tut das dann immer sehr schnell leid, trage das mit mir rum, und ich glaube, dass ich nicht bösmütig bin. Deshalb hat mich dieser Satz so gefreut, dass er in der Welt ist.“
Vorletzte Frage: „Was würdest Du gerne noch machen?“ „Schauen, sich bemühen, dass das mit dem Theaterschiff„Atlantis“(8.5.2020,Anm.d.Red.) noch klappt und es nicht untergeht!“ Später dann inszeniert Nix mit Schauspieldirektor Mark Zurmühle sozusagen sein Finale „Hermann der Krumme oder die Erde ist rund“ ab 19. Juni 2020 auf dem Münsterplatz. Und ja, er würde gerne noch mit der sardischen Philharmonie eine Oper von Gramsci hierher holen.
Fehlt nur noch die von Journalisten so geliebte Schlussfrage: „Hast Du schon einen letzten Satz parat?“ „Nein, noch nicht. Es ist noch nicht zu Ende. Das hat noch Zeit.“ Mit Nix muss man immer rechnen.
Lutz Rauschnick
Weitere Aufführungen: 15.10., 16.10., 17.10., 19.10., 22.10., 23.10., 25.10., 31.10., 2.11., 3.11., 9.11.