Nachrichten von der Insel
Die britischen Inseln sind nicht nur geographisch isoliert, sondern auch geistig. So gelten auf dem Kontinent Komponisten wie Henry Purcell oder Benjamin Britten weiterhin als Randgestalten, während sie von vielen InsulanerInnen als epochemachende Helden betrachtet werden. Und auch am schottischen Dichter John Henry Mackay, einem Individualanarchisten und Freund Rudolf Steiners, mögen sich die heutigen kontinentalen Geister scheiden, weil es ihn allzu offensichtlich nach Knaben gelüstete.
Es ist ein auserlesenes Programm, das die drei Künstlerinnen Azra Ramić (Klarinette), Ina Callejas (Akkordeon) und Liv Lange Rohrer (Sopran) für nächsten Sonntag zusammengestellt haben. Auserlesen nicht nur aufgrund der ausgefallenen Besetzung, die auf den ersten Blick eher eine Bauernkirmes erwarten lässt denn einen Streifzug durch annähernd 400 Jahre abendländischer Kunstmusik, sondern auch in Hinblick auf die Lieder von Purcell, Richard Strauss und Britten sowie einige ausgefallene Interludien.
Es lohnt sich, einen Schweinwerfer auf einige der Werke und ihre Urheber zu richten, um etwas Licht in einige sonst eher im Schatten liegende Nebensäle des Prunkpalastes der abendländischen Musikgeschichte zu werfen. Wobei Purcell, dessen „Music for a While“ dem Programm den Namen gab, tatsächlich zu den ganz Großen in der Geschichte des menschlichen Gesangs zählt und eine Art gelinder Schwermut zu vermitteln versteht, die kaum ein anderer Mensch durch Töne in seinen Mitmenschen zu erzeugen wusste.
Der Einzige und sein Eigentor
John Henry Mackay (1864-1933) ist ein heute vollständig vergessener deutscher Dichter, an den das Konzert mit der Lesung zweier Gedichte erinnern will. Bekannt ist er bestenfalls noch in jenen Kreisen, die sich am angeblichen Individualanarchismus eines Max Stirner berauschen, dessen dunkle Schrift „Der Einzige und sein Eigentum“ in von der Daseinstragik umflorten Köpfen noch heute gelegentlich das Bedürfnis weckt, sich in pseudohegelscher Terminologie barsch von der Welt insgesamt loszusagen.
Der wunderliche Mackay hat aber nicht nur die erste Stirner-Biographie geschrieben, sondern vor allem als sensibler und sentimentaler Dichter geglänzt, der auch von Richard Strauss vertont wurde, von dem am Sonntag einige frühere Lieder (unter anderem nach Mackay) zu hören sein werden:
Und morgen wird die Sonne wieder scheinen,
und auf dem Wege, den ich gehen werde,
wird uns, die Glücklichen, sie wieder einen …
Wenn ein so dürftiger Text man kein vorweggenommenes Plagiat von Rex Gildo ist!
Aber Maykay hatte auch seine dunklen Stunden. So wurden seine unter dem Pseudonym „Sagitta“ erschienenen Werke nach einem Prozess 1909 als „unzüchtig“ eingestampft, und ihn grämte zutiefst, dass damit an eine Legitimierung der von ihm propagierten Knabenliebe auf absehbare Zeit nicht zu denken war. „Noch nie in meinem Leben, so sehr gewöhnt doch an alle Leiden der Einsamkeit, hatte ich mich so verlassen von Allem gefühlt, wie in dieser Stunde … Es war eine Stunde, wie sie wohl der nur kennt, der sein Leben an eine Sache gesetzt hat und es nun verloren sieht mit ihr.”[1] Mackay jedenfalls gehört zu jenen Menschen, mit denen man lieber nicht tauschen will.
Orpheus Britannicus
Es fehlte nicht viel, und Benjamin Britten (1913-1976) wäre zum „Orpheus Britannicus“ (nach dem berühmten Titel einer Sammlung purcellscher Lieder) ausgerufen worden. Das mag auf dem Festland erstaunen, aber auf den Inseln genossen etliche zeitgenössische Komponisten durchaus eine breitere öffentliche Anerkennung, zumal sie sich hüteten, ihren Kollegen vom Festland in die Gefilde der „Atonalität“ zu folgen, in denen sie nichts als Hohn und Hunger zu erwarten hatten. Und so hat Britten denn ein Lebenswerk hinterlassen, das sich dank seiner gemäßigten Tonsprache allgemeiner Popularität erfreut.
Was umso bemerkenswerter ist, als Britten als Person eher unkonventionell daherkam und sich etwa nicht scheute, im Zweiten Weltkrieg den Wehrdienst zu verweigern oder als eines seiner Hauptwerke 1962 das so ganz und gar nicht kriegslüsterne „War Requiem“ vorzulegen. Dass er darüber hinaus seine „Ballad of Heroes“ 1939 den Interbrigadisten im Spanischen Bürgerkrieg widmete, passte da nur ins Bild, konnte seinem Ruhm aber nichts anhaben. Ebenso wenig übrigens wie seine jahrzehntelange Beziehung zum Tenor Peter Pears, mit dem er Schubert-Einspielungen vorlegte, bei denen manche Menschen noch heute intuitiv nach der Waffe greifen. Am Sonntag jedenfalls werden seine „Cabaret Songs“ (1937-39) zu hören sein, die genau das sind, was sie zu sein vorgeben: Unterhaltungsmusik auf Worte seines Freundes W. H. Auden, geschrieben für die Diseuse Hedli Anderson, die am Picadilly Circus in einem Cabaret arbeitete und dort auch mal mit einem „Funeral Blues“ glänzen konnte.
Welchen internationalen Ruhm Britten aber tatsächlich genoss, zeigt ein vergessenes Detail: Schostakowitsch, der mit Britten befreundet war, widmete diesem 1969 seine gewichtige 14. Sinfonie, deren westliche Erstaufführung Britten denn auch dirigierte. Britten war einer der wenigen westlichen Komponisten, die in der UdSSR verlegt, aufgeführt wurden und eingeladen waren. Er traf sich gern mit Schostakowitsch, auch wenn die beiden, wie die Wischnewskaja zu berichten wusste, charakterlich höchst unterschiedlich waren: „Mit Ben [Britten] konnte ich ganz zwanglos umgehen … wie oft fuhr meine Hand durch sein Zottelhaar! Er schnurrte dann vor Vergnügen und behauptete, er sei in einem früheren Leben ein Pferd gewesen. Ich konnte ihn auch küssen. Aber hätte ich jemals Dmitri Dmitrijewitsch [Schostakowitsch] bei einer Begrüßung oder einem Abschied auch nur umarmt? … Für den war jede Gefühlsäußerung selbst den ihm am nächsten stehenden Personen gegenüber unnatürlich.“ [2]
O. Pugliese, Foto: Falk Neumann
Anmerkungen
[1] Hubert Kennedy: Anarchist der Liebe. John Henry Mackay als Sagitta, Berlin 1988.
[2] Nach Humphrey Carpenter: Benjamin Britten. A Biography, London 1992.
Termin: Sonntag, den 24. Februar 2019, 17.00 Uhr. Ort: Kammermusiksaal der Musikschule Konstanz, Benediktinerplatz 6, Eintritt: 10 € / 7 € ermäßigt.