Once Upon a Time
Im zweiten Teil unseres Gesprächs mit Thomas Bohnet geht es um den FC Bayern, um München, um die Leiden und Freuden eines alten DJs und Konzertveranstalters und darum, warum es wirtschaftlich keinen Sinn macht, Bands wie die „Rolling Stones“ anzuheuern. Außerdem geht es um Céline Dion (ähbäh), des DJs Lieblingspublikum, Freundschaften in der Musikbranche, um „Herr Lehmann“ – sowie darum, wie 14-jährige Söhne ihre Väter davor retten können, sich in aller Öffentlichkeit zu blamieren.
Der erste Teil des Gesprächs findet sich hier.
seemoz: Du bist aus Konstanz nach München gegangen?
Thomas Bohnet: Ich bin 1998 nach München gezogen, weil meine Frau dort einen guten Job als Fotoredakteurin bei „Focus“ hatte und das Projekt Kind angehen wollte. Ich wäre gern in Konstanz geblieben, aber ich war mittlerweile 40 und hatte immer noch keinen richtigen Job – was mir ehrlich gesagt nichts ausmachte. Ich habe mich zuerst einmal mit Händen und Füßen gegen München gewehrt, obwohl ich seit 1967 Fan des FC Bayern bin. Ich war in den Achtzigern mal kurz in München gewesen. Überall die Fahnen mit diesen Rauten, dazu hatte ich Konstantin Weckers „Willy“ im Hinterkopf und wollte eigentlich nur schnell wieder weg, weil ich dachte, dass das eh alles Rechtsradikale sind, die ganz viel Bier trinken und daheim Hitler-Bilder an der Wand haben.
Nachdem meine Frau 1994 nach München gezogen ist, war ich natürlich auch öfter dort und habe gemerkt, dass es da tolle Leute und eine gute Musikszene gibt. München hat ja auch Figuren wie Herbert Achternbusch hervorgebracht oder den Polt und ganz viele Linke, in München gibt es einfach alles. Das Dumpfe gibt es natürlich bis heute, aber heute, nach 20 Jahren München, weiß ich, dass München eine Oase in Bayern ist. Selbst die CSU in München ist eine eher liberale CSU, verglichen mit dem Rest von Bayern. München war auch lange rot-grün regiert, allerdings nicht immer gut, denn die haben die Wohnungssituation komplett verschlafen.
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seemoz: Du bist aber in der Branche geblieben?
Thomas Bohnet: Ich habe dort 19 Jahre lang für einen mittelgroßen Tournee- und Konzertveranstalter als „Head of Promotion“ gearbeitet und war Mitinhaber dieser Firma, die ich mitgegründet hatte. Seit Sommer 2018 bin ich wieder freiberuflich tätig. Ich veranstalte eigene Konzerte unter meinem eigenen Namen, mache Promo für andere Agenturen und arbeite als DJ. Ich bin immer wieder auch in Konstanz und lege viermal im Jahr im K9 auf.
seemoz: Was sind denn die größten Acts, die du jemals veranstaltet hast? Träumt jemand wie du davon, irgendwann einmal die Rolling Stones zu machen?
Thomas Bohnet: Das ist eine Horrorvorstellung, denn die Gewinnmargen bei den großen Acts sind derart gering, dass schon mancher Veranstalter daran pleite gegangen ist. Die Bands verdienen ja nichts mehr an CDs, sondern ausschließlich an Konzerten, und langen entsprechend zu. Je größer und berühmter die Band, desto schwieriger wird es. Wenn du eine Gewinnmarge von 3 % hast, aber nur 97 % der Tickets verkaufst, hast du keinen Gewinn gemacht.
Wir haben zum Beispiel Konzerte mit „Green Day“ veranstaltet, die normalerweise 1.000 bis 1.200 Leute ziehen, dann haben sie das Album „American Idiot“ rausgebracht und waren plötzlich keine Punkband für Teenies mehr, sondern so eine Art Crossover, und damit haben sie plötzlich 12.000 Leute zu Shows etwa in der Olympiahalle angezogen. Darum haben wir die Band sofort an einen wesentlich größeren Mitbewerber verloren. Eine bekannte Band, die wir gemacht haben, ist etwa „The National“, übrigens Barack Obamas Lieblingsband.
seemoz: Große Namen gleich großes Risiko?
Thomas Bohnet: Ja. Mit kleineren oder mittelgroßen Bands verdienst Du einfach besser. Das ist immer verdammt eng gestrickt und wird im Moment eher noch schwieriger. Zwar boomt die Konzertbranche derzeit, aber unbekannte oder ein wenig abseitige Acts gehen heute fast überhaupt nicht mehr. Die Rolling Stones oder U2 liefen immer, aber es gibt immer mehr alte Bands, die plötzlich wieder gut verkaufen. Viele Jahre liefen Deep Purple gar nicht, ebenso Iron Maiden, aber viele Hörer besinnen sich heute auf alte Namen und sind bereit, jeden Preis dafür zu zahlen.
seemoz: Was kostet sowas?
Thomas Bohnet: Die Stones 200 Euro oder so. Ich habe mir gerade ein 120-Euro-Ticket für Burt Bacharach in der Philharmonie am Gasteig gekauft. Er ist über 90 und eine Legende, einer der besten Songschreiber aller Zeiten.
seemoz: Bacharach ist unglaublich, seine Musik ist rhythmisch oft vertrackt, hört sich aber an, als ob sie wie das Wort Gottes über den Wassern schwebe, „I’ll Never Fall in Love Again“ oder „Raindrops Keep Falling on My Head“.
Thomas Bohnet: Da will ich natürlich vorne sitzen. Aber auch für bessere Mittelklasse-Bands zahlst Du inzwischen 60 oder 70 Euro, und die Leute sind bereit, das zu zahlen, aber wenn es dann um eine kleine Band geht, wird über jeden Euro diskutiert. Das Publikum wagt weniger als früher. Das ist nicht kulturpessimistisch, sondern der Lauf der Dinge.
seemoz: Wie hat sich eigentlich Dein Musikgeschmack in den letzten 40 oder 50 Jahren entwickelt?
Thomas Bohnet: Ich hoffe, dass ich noch immer überraschungsfähig bin. Früher hättest Du mich zum Beispiel mit Jazz jagen können, heute gibt es Sachen, die mich interessieren. Ähnlich geht es mir mit Klassik. Mein Geschmack entwickelt sich immer noch. Natürlich gibt es die Bands, die ich früher geliebt habe und heute noch liebe, ich war schon immer ein Stones-Fans, Jimi Hendrix, Billy Bragg, viel Country, Country mochte ich schon immer. Auch HipHop, den ich seit den frühen Achtzigern verfolge. Ich gehe immer noch auf viele Konzerte und lasse mich auch gern von jungen Bands überraschen. Zuletzt zum Beispiel von der jungen australischen Punkband „Amyl And The Sniffers“, die ich für eine befreundete Agentur vor Ort betreut habe. Ein Name, den man sich merken sollte. Natürlich habe ich im Lauf der Zeit auch schon so viel gesehen, so dass ich Bezüge und Einflüsse erkenne. Etwas ganz Neues gibt es für mich praktisch nicht mehr.
seemoz: Gab’s früher auch nicht. Aber wir kannten die Musik der 40er und 50er Jahre oder früher überhaupt nicht, von Elvis mal abgesehen, und es gab ja auch keine Möglichkeiten wie youtube oder Spotify oder Wikipedia, seinen Horizont schnell mal zu erweitern. Wir kannten damals kaum ältere Musik aus den USA wie etwa den Ur-Blues, das alles gab es ganz einfach nicht. Kein Internet, LPs waren sehr teuer, unser Repertoire sehr eingeschränkt, da kommst Du heute an eine viel größere Bandbreite.
Thomas Bohnet: Was mich auch interessiert hat, ist Musik aus anderen Weltregionen, etwa aus dem arabischen Raum oder eine Zeit lang auch dieser mongolische Gesang.
seemoz: Du meinst den Kehlkopfgesang der Tuwiner. Das hört sich an, als hätte man einen Gehängten runtergeholt, ehe er ganz tot ist.
Thomas Bohnet: Das ist der Hammer! Und diese großartigen Pferdekopfgeigen. Es gibt eine Formation, die heißt „Huun Huur Tu“, die ist auch mal im Kula aufgetreten, die waren umwerfend, vier Mongolen. So was schaue ich mir gern an. Ich mag auch Balkan-Musik etwa von den „Taraf de Haïdouks“ sehr gern, die habe ich mal in Brüssel für taz und WOZ besucht. Das ist ja eine Art 12-köpfiges Familienensemble aus einem kleinen Dorf in Rumänien, der Jüngste war 12, der Älteste 75. Die machen weniger Folklore, sondern viel mit jazzigem Einschlag.
seemoz: Wie haben sich Deine Erfahrungen als DJ verändert? Was Du heute im K9 auflegst, ist ja eher Ü40 oder Ü50.
Thomas Bohnet: Als ich angefangen habe, war ich jünger und mein Publikum natürlich auch. Ich mache jetzt seit 35 Jahren Discos. Meine heutigen Discos „Tour de France“ laufen monatlich in München, Berlin, Köln und Zürich, da ist das Publikum zwischen 30 und 60, in Zürich auch mal ein paar jüngere Leute. Ich bin inzwischen auch schon 60, da gibt es immer wieder Discos, bei denen ich der Älteste im Raum bin.
seemoz: Das Publikum ist eine launische Bestie …
Thomas Bohnet: Oh ja! Vor fünf Jahren wurde ich in Berlin von einem internationalen Studentenverband als DJ engagiert, da trafen sich Französisch-Lehrer und -Schüler aus ganz Europa, und sie wollten französische Musik. Eine Lehrerin, ein alter Fan von mir, hatte mich dafür empfohlen. Ich wusste aber nicht, ob die etwa 18-jährigen Schüler meine Musik gut finden. Mir hat den Arsch gerettet, dass ich meinen damals 14-jährigen Sohn vorher gefragt habe, was er gerade so hört. Diese Sachen habe ich zur Sicherheit auch noch mitgenommen, nur für den Fall, dass mein Franzosen-Zeug da nicht ankommt. Also habe ich an dem Abend mein typisches Franzosen-Programm angespielt, und wer hat getanzt? Die 30 oder 40 Lehrer, aber keiner der 200 Schüler. Dann kam eine Schülerin zu mir hoch, die mich siezte und fragte „Haben Sie denn auch moderne Musik?“. Da war mir klar, die wollten Sido hören, „Einmal um die Welt“. Also habe ich die Sachen meines Sohnes ausgepackt, französischer Hiphop ging auch noch, zwischendurch mal was Französisches für die Lehrer.
Als DJ will ich, dass die Leute tanzen. Ich bin bereit, alles zu spielen – oder zumindest fast alles, es gibt schon noch gewisse Grenzen.
seemoz: Zum Beispiel?
Thomas Bohnet: Céline Dion, die kann ich nicht hören, und auf ihre Musik lässt sich auch nicht tanzen. Wenn sie gewünscht wird, sage ich, ich bin zu allem bereit, aber sorry, das geht nicht.
Eine Kunst des DJs ist es, zu unterhalten und den Leuten dabei etwas unterzujubeln, was sie so vielleicht nicht erwartet hätten. Es hängt natürlich immer davon ab, wie voll der Laden ist. Wenn ein Laden richtig voll ist, ist es einfacher, auch mal etwas Unbekanntes zu spielen. Wenn ein Laden hingegen leer ist, dann muss ich Hits spielen.
seemoz: Hast Du ein Lieblingspublikum?
Thomas Bohnet: Das Publikum in Konstanz im K9 ist mein Lieblingspublikum. Die tanzen auch auf ganz neue Sachen, die ich in Berlin oder München nicht wagen würde aufzulegen. In Konstanz gibt es auch ein Phänomen, das ich noch nirgendwo anders erlebt habe. Um 21:00 Uhr macht der Laden auf, und um 21:03 Uhr tanzen die ersten. Woanders hast du immer erst mal eine Stunde, in der niemand auf die Tanzfläche kommt, die Leute miteinander reden, sich das alles anschauen. In Konstanz geht es gleich richtig los.
seemoz: Es tanzen immer noch mehr Frauen als Männer?
Thomas Bohnet: Ja. Das Gute an meiner „Tour de France“ ist, dass etwa 60 Prozent meines Publikums weiblich sind und ich daher ein sehr tanzfreudiges Publikum habe. Die ersten, die sich auf die Tanzfläche trauen, sind ohnehin Frauen, am früheren Abend sind oftmals nur 20 Frauen auf der Tanzfläche. Die fünf Männer, die dann schon gekommen sind, stehen noch draußen rum. Männer brauchen erfahrungsgemäß einen gewissen Alkoholpegel, ehe sie sich auf die Tanzfläche trauen.
seemoz: Wie bist du überhaupt auf französische Musik gekommen?
Thomas Bohnet: Als ich 1998 nach München ging, habe ich aufgehört aufzulegen. Ich dachte, mit 40 bin ich einfach zu alt. Aber ich war 15 Jahre lang DJ gewesen und irgendwann juckte es mich wieder. Ich war viel im „Club Zwei“, einer Art Kneipe mit gelegentlicher Livemusik und ab und zu ein paar DJs, die Hintergrundmusik auflegten, aber da wurde nicht getanzt. Dort habe ich gefragt, ob ich mal auflegen darf, und das war für mich als Stammgast kein Problem. Ich habe mir überlegt, was sonst wohl niemand macht. Ich entsann mich, dass ich sehr viel französische Musik habe. Dann kam auch noch eine Französin, die die Idee super fand und all ihre Freundinnen einladen wollte. „Tour de France“ nannten wir es einfach, weil uns nichts Besseres einfiel.
seemoz: Hast du keinen Ärger wegen der Namensrechte bekommen?
Thomas Bohnet: Erstaunlicherweise bisher nicht. Im Jahr 2000 habe ich zum ersten Mal im „Club Zwei“ aufgelegt, und gleich am ersten Abend kamen 50 oder 60 Leute, mehr als üblich. Die Inhaber waren natürlich begeistert, und so habe ich denn dort angefangen, einmal im Monat aufzulegen. Es wurde bald richtig voll, und dann haben auch die Süddeutsche Zeitung und die Abendzeitung darüber geschrieben, dass es da eine tolle Party gibt. Plötzlich sind die Leute geströmt, und wir mussten einen Türsteher anstellen, weil wir nicht mehr als 150 Leute in den Laden lassen durften.
Der Club musste nach etwa anderthalb Jahren dichtmachen. Da die Reihe aber so gut gelaufen war, sind wir dann in die Muffathalle gegangen, und das war die richtige Entscheidung. Das Ding ging richtig durch die Decke, ich hatte schnell 500 oder 600 Leute am Abend. Die ersten Jahre waren sensationell, da sind die Leute auf den Tischen getanzt. Als es in München gut lief, habe ich mir überlegt, ob das nicht auch in anderen Städten laufen könnte.
seemoz: Konstanz ist neben München ein wichtiger Veranstaltungsort für Dich?
Thomas Bohnet: Vor sechs Jahren war ich dann zum ersten Mal im K9, und das lief von Anfang an super, es kamen gleich 200 Leute. Davon kannte ich etwa 100, und von denen hatte ich 50 oder 60 schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Es war, als hätten sich alle zu einem Wiedersehen verabredet. Fünf Französinnen, die mit deutschen Männern verheiratet sind, kommen zu jeder meiner Partys extra aus Radolfzell ins K9. Sie hatten einmal ihre Männer dabei, aber die haben sich gelangweilt, an der Bar rumgesessen und Bier getrunken, während die Mädels nebenan getanzt haben. Es gibt sogar ein Paar, das zu meinen Discos aus Ulm anreist und sich hier ein Zimmer nimmt. Das sind Fans, die früher auch schon in München waren, aber die Frau ist Buchhändlerin, meine Discos in München finden am Freitag statt und sie muss samstags früh arbeiten. Da passt ihnen der Samstag in Konstanz natürlich besser. Außerdem gibt es einen Franzosen aus Bern, der jeweils nach Konstanz anreist und sich im Hotel einmietet. Ich sollte also wohl langsam Geld vom Stadtmarketing verlangen. Haha!
seemoz: Welche Musiker oder Musikerinnen haben dich denn persönlich am meisten beeindruckt?
Thomas Bohnet: Meist bekomme ich als Konzertveranstalter von den MusikerInnen nichts mit. Sie sind gerade auf Tournee, jeden Abend eine andere Stadt und ein anderer Veranstalter, der glaubt, er sei für sie besonders wichtig. Aber zu ein paar hat sich doch eine persönliche Beziehung entwickelt. Das ist vor allem Sven Regener, der Sänger von „Element of Crime“, mit dem ich befreundet bin. Den habe ich schon in meiner Konstanzer Zeit beim Nebelhorn-Pressefest 1985 gebucht. Die Band hatte damals noch keine Platte, und keine Sau kannte sie. Harald „Hucky“ Fette, mein Partner bei unserer Agentur „Der Pakt“ und ich hatten von denen im Nebelhorn ein Demo-Band bekommen mit vier Songs. Das haben wir uns angehört, und es hatte einen leichten „Velvet Underground“-Touch. Die Cassette habe ich übrigens noch …
Ich war kurz darauf zufällig in Berlin und habe mich mit denen dort getroffen. Die fanden die Idee super, und wir haben sie dann für relativ wenig Gage, etwa 800 DM, nach Konstanz gelockt. Zu diesem Pressefest kamen etwa 500 Leute, und für „Element of Crime“ war das einer der ersten Auftritte außerhalb von Berlin. Seitdem bin ich mit Sven befreundet. Angeregt von seiner Musik haben sich in Konstanz damals zwei Bands gegründet. Die erste war „Ali and the Babas in Love“, die es nicht lange gab, und die andere waren „Bellybutton & The Knockwells“, die zu Anfang eine Sixties-Band waren. Das waren die Friedrichshafener Zwillinge Tom und Peter Vuk. Sie haben sich dann in “ DramaGold“ umbenannt und deutsche Texte gemacht. Das erinnerte sehr stark an „Element of Crime“. Die erste Platte von denen hat Sven Regener produziert; immer noch eine sehr schöne Platte, die jüngst wiederveröffentlicht wurde.
seemoz: Ein echter Ohrenschmeichler. Aber ich bin befangen, da ist auch ein Lied auf mich drauf.
Thomas Bohnet: Sven ist heute ja als Autor bekannter denn als Musiker. Beim Konzert von Roxy Music in München im Jahr 2001 traf ich ihn zufällig und er sagte mir, er habe ein Buch geschrieben, das demnächst erscheinen werde. Er fragte mich damals, ob ich nicht Lust hätte, in München eine Lesung für ihn zu organisieren. Das Buch heißt „Herr Lehmann“. Ich habe ihm zugesagt, aber im Stillen gedacht, was für Leute kommen denn, wenn ein Musiker aus einem Buch vorliest? Sven Regener war zwar als Musiker ein bisschen bekannt, aber doch nicht ganz so wie Bob Dylan. Also habe ich mir überlegt, ich mache seine Lesung im „Muffatcafé“. Er hat mir das Buch zugeschickt, ich habe es aufgeschlagen und zu lesen begonnen, vielleicht erinnerst du dich noch, im ersten Kapitel geht es darum, wie er vor diesem Hund kriecht.
Ein paar Tage später saß ich in irgendeinem Flugzeug, und neben mir saß eine Frau, so ganz klassisch im Kostüm, und ich hatte dieses Buch in der Hand. Die Frau fragte mich, ob dieses Buch wirklich so gut sei, wie alle Leute sagen. Und dann kam raus, dass das Buch am Abend vorher im „Literarischen Quartett“ besprochen wurde. Marcel Reich-Ranicki hatte es dort in den Himmel gelobt, und innerhalb kurzer Zeit war es ein Riesenhit. Unsere Lesung war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft, da ging der Wahnsinn ab. Sven Regener ist ein begnadeter Vorleser, er hat eine unglaubliche Intonation. Ich habe seitdem mit jedem seiner Bücher Lesungen in München veranstaltet. Das macht einen Heidenspaß, und Sven ist ein angenehmer Kerl, wenn er dich kennt, dann kennt er dich. Es gibt Musiker, die am Anfang, wenn sie dich brauchen, deine besten Freunde sind. Später kennen sie dich dann nicht mehr. So ist Sven nicht, obwohl ich für ihn beruflich nicht wichtig bin.
seemoz: Hattest Du es auch mal mit den Reichen und Schönen?
Thomas Bohnet: Ja (lacht). Ich schätze Chris Bailey, den Sänger von „The Saints“, sehr. Ich habe mal eine Solo-Tournee mit ihm gemacht und ihn mit meinem Auto durch ganz Süddeutschland und die Schweiz gekarrt. Ich hatte ihn ein Jahr zuvor in Schaffhausen im „Domino“ kennengelernt, wo er vor 80 Nasen gespielt hat. Bei dieser Gelegenheit hatte ich mich etwas mit ihm angefreundet und ihm gesagt, wenn du mal in Deutschland spielen willst, dann mach ich was für dich. Dann rief er mich eines Tages an, na Thomas, wie sieht es aus? Ich komme einfach allein mit meiner Gitarre.
Ich hatte damals einen alten Audi, den ich mir für meine Arbeit bei den „Kreuzlinger Nachrichten“ gekauft hatte, das war 1993. Ich habe ihm dann eine Tour zusammengestellt, Ulm, Freiburg, Konstanz, Villingen-Schwenningen, Zürich und Lausanne. Das war im März, und es war schweinekalt. Also habe ich ihn und seinen Gitarrenkoffer in mein Auto gepackt und wir sind losgefahren. Das war saulustig. Das Konzert in Konstanz war ganz gut besucht, das in Freiburg auch, in anderen Städten lief gar nichts, es war total bizarr. Aber in Lausanne waren etwa 300 Leute, die ihn empfangen haben, als sei er Mick Jagger. Das hing damit zusammen, dass „The Saints“ in Frankreich sehr berühmt waren und dort in den achtziger Jahren Hallen mit 4.000 Leuten gefüllt hatten.
In den anderen Städten waren es vor allem alte Säcke, aber in Lausanne auch viele junge Frauen, was uns total überrascht hat. In Lausanne wurden wir von zwei komischen jungen Leuten, die eindeutig Kohle von Haus aus hatten, gefragt, ob Chris nicht Lust hätte, im Winter in irgendeinem Luxusskigebiet für sie zu spielen. Die hatten dort für sich und ihresgleichen ein Event geplant. Ich dachte, daraus wird eh nichts, aber die haben sich dann gemeldet und ein hohes Honorar geboten, ich glaube 3000 Franken plus eine Provision für mich. Chris hat gesagt o.k., ich mach’s, aber nur, wenn du mitkommst. Also bin ich mitgefahren. Wir wurden im Auto abgeholt, und es war so, wie man das aus schlechten Filmen kennt: Lauter junge Leute zwischen 18 und 25, richtige Schnösel, Geld wie Dreck …
seemoz: … von der Sorte, deren Besitztümer sofort vergesellschaftet gehören?
Thomas Bohnet (lacht): So ähnlich. Chris hat dann sein einstündiges Set gespielt, und es hat niemanden interessiert, was er da gemacht hat, außer den beiden Veranstaltern, die echte Fans waren. Das war natürlich superfett bezahlt, und wir konnten danach ordentlich einen bechern und haben beide gut verdient. Meine Aufgabe war es ohnehin immer, dafür zu sorgen, dass Chris morgens irgendwie aus dem Bett kommt und vor dem Konzert nicht zu viel trinkt. Er ist ein unglaublicher Sänger und Gitarrist, und meine Frau sagte immer, er sei ja nun nicht gerade ein Augenschmeichler, aber auf der Bühne sehe er total toll aus. Er ist einfach für die Bühne geboren. Er hat eine unglaubliche Ausstrahlung.
Ganz toll war auch die Zusammenarbeit mit Max Goldt, den viele aus „Titanic“ kennen. Der schrieb mir ab und zu einfach eine Postkarte und fragte, ob ich ihm nicht einen Termin in Konstanz für eine Lesung sagen wir Ende April machen kann. Mit ihm gab es auch keine Verträge, er sagte einfach hinterher, gibt mir, was du denkst. Lesungen sind für den Veranstalter natürlich einfach zu organisieren, du brauchst keine Band und nur wenig Bühnentechnik. Max Goldt kam mit einer Plastiktüte, in der drei Bücher waren, Sven hatte einfach nur sein Buch in der Hand, das war alles denkbar einfach.
seemoz: Als DJ bist Du mittlerweile vermutlich eine vollelektronische virtuelle Existenz auf der Flucht vor dem nächsten Virenscanner?
Thomas Bohnet: Nein, ich spiele immer noch mit CDs. Am liebsten mit Vinyl, aber das ist auch ein Transport-Problem. Ich fahre ja zu allen DJ-Gigs mit dem Zug oder dem Bus. Nie mit dem Auto, und innerdeutsch fliege ich aus Prinzip seit jeher nicht. Nein, ich bin zu faul, mir die aktuelle Software anzueignen. Heute kannst du auf deinen Stick 20.000 Songs aus iTunes packen und daraus dann mit einer Software deine Musik zusammenmischen. Du hast also ein wesentlich größeres Repertoire als ich mit meinen CDs. Außerdem findest du die einzelnen Songs viel schneller. Wenn mich jemand bittet, spiel‘ doch mal dies oder jenes, dann muss ich wissen, auf welcher CD dieser Song ist. Manchmal finde ich den Song auch nicht, gerade wenn ich ein paar Bier intus habe. Aber ich fände es ziemlich komisch, auf der Bühne zu stehen und einfach nur einen Rechner zu bedienen. Ich ziehe heute noch gern den linken Regler runter den rechten hoch und habe noch etwas, das ich anfassen kann. Die paar Jahre, die ich das noch mache, komme ich damit wohl noch durch …
seemoz: Die Einschläge kommen näher …
Thomas Bohnet: … worauf Du einen lassen kannst.
Das Gespräch führte Harald Borges, Fotos Karin Bohnet und Archiv Thomas Bohnet.
Thomas Bohnets Homepage: http://thomasbohnet.net/
Nix da, ein paar Jahre! Jahrzehnte werden es sein müssen, dass tb noch ran muss: Soeben findet nebenan im Altenstift ein Livekonzert mit Akkordeon statt – La Paloma ohee! Wir machen sowas auch in 20, 30 Jahren, ne! Mit der Gehhilfe meiner Wahl rolle ich zum DJ-Pult und werde höflichst bitten, „Verschwende deine Jugend“ aufzuspielen …
Tolles Interview! Dankeschön.
Grüßle von Sabinski