„Pervers, trivial, krankhaft im höchsten Grade!“

Selbst die Klassiker der Musik-Moderne hatten es zu Lebzeiten nicht immer leicht, weder beim Publikum noch bei der Presse. Ein Beispiel dafür ist Béla Bartók, der demnächst zusammen mit Schostakowitsch in Konstanz zu hören sein wird. Ein wichtiges Werk des Ungarn wurde 1926 in Köln sogar verboten, und das von einem Oberbürgermeister, der später beruflich so richtig Karriere machte. Aber bringen wir niemanden auf dumme Gedanken …

Werke für Violine solo, die etwas taugen, sind von Bach, basta. Bachs Solosonaten und -partiten von ca. 1720 prägen diese Gattung bis heute so sehr, dass man sich gut vorstellen kann, wie ein Komponist in Schockstarre verfällt, wenn er etwas in dieser Richtung schreiben soll. Natürlich gibt es andere Werke für Geige allein, etwa von Heinrich Ignaz Franz Biber, auch Bachs Zeitgenosse Telemann hat einen ganzen Zyklus von 12 Fantasien für unbegleitete Violine geschrieben. Selbst Paganinis spätere fingerbrecherische 24 Capricci op.1 sind natürlich herausragende geigerische Glanzstücke, aber sie haben musikalisch etwa der „Chaconne“ von Bach nichts entgegenzusetzen, die aus dem Nebel der Musikgeschichte bis in den Himmel hinauf ragt.

Die Latte liegt hoch

Das war der Stand noch vor 75 Jahren. Doch dann traf sich Béla Bartók 1943 in New York mit dem damals längst weltbekannten Geiger Yehudi Menuhin, der bei Bartók eine Sonate für Violine solo bestellte. Bartók war im Herbst 1940 vor dem Faschismus in die USA geflohen – er war ein überzeugter Antifaschist und 1938 im schon damals rechtsradikalen Ungarn Mitunterzeichner eines öffentlichen Protests gegen die dortigen antijüdischen Gesetze. Seine bisherige musikalische Karriere war durchwachsen, Menuhin formuliert es so: „Ich muss allerdings hinzufügen, dass Bartók vom damaligen Publikum sehr zurückhaltend aufgenommen wurde“. [3] In Europa hatten manche seiner Werke schon früh die Verachtung des Publikums gefunden. Ein gutes Beispiel dafür, wie seine originelle Musik die Bürgerlichen auf die Barrikaden treiben konnte, bot die Uraufführung seiner Tanzpantomime „Der wunderbare Mandarin“ im November 1926 in Köln, die in seiner Anwesenheit zum Skandal mutierte.

Diese Musik sei „das Entsetzlichste, was einem menschlichen Ohr zugemutet werden kann“, ein „Dokument geistiger Pervertierung und Hottentottenkralsmusik“, tönte es. Die protestierende, gutbürgerliche Mehrheit des Kölner Publikums wusste schon damals genau, was sie wollte, als sie Eugen Szenkar, dem Generalmusikdirektor, drohte: „Wenn Herr Szenkar als geborener ungarischer Jude nur ausländische Komponisten duldet, so kehre er in seine Heimat zurück. Wir sind hier in einer deutschen Stadt und verlangen deutsche Opernwerke.“ [1] Auch der Kölner Oberbürgermeister spürte, was er seinen Wählern schuldig war, und verbot umgehend weitere Aufführungen des Werkes. Dieser Kölner OB sollte noch Karriere machen – er hieß Konrad Adenauer.

Die Solosonate entsteht

Im Exil in den USA hatte Bartók Probleme, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, obwohl sich schon früh selbst Benny Goodman für ihn eingesetzt hatte. Obendrein diagnostizierte man bei ihm auch noch Leukämie, und er sollte kurz nach Kriegsende mit 64 Jahren daran sterben. 1943 traf er also Yehudi Menuhin [2]. Menuhin, Jahrgang 1916 und seit seinen frühen Teeniejahren ein musikalischer Weltstar, fühlte sich von Bartóks Musik so „verführt, dass Bartók mein zeitgenössischer Lieblingskomponist wurde“.

1944 lieferte Bartók die fertige Solosonate bei ihm ab und erteilte ihm das Recht, das Stück zwei Jahre lang exklusiv zu spielen. (Diese Praxis ist übrigens nicht ohne Beispiel, schon Fürst Lobkowitz hatte stattliche 400 Gulden dafür bezahlt, Beethovens gerade fertig gewordene „Eroica“ einige Monate lang exklusiv aufführen zu dürfen. Herr Lobkowitz wohnte etwas großzügiger und hatte daheim genug Platz für ein Orchester, das ihm und seinen Kumpels Beethovens 3. vorspielte, während die normale Öffentlichkeit sich noch ein paar Monate gedulden musste. Der Mann hatte offenkundig Geschmack, denn in der drangvollen Enge einer Sozialwohnung hätte sich dieses prächtige Werk klanglich wohl nicht so recht entfalten können.)

Menuhin erkannte sofort das Potenzial des Werkes von Bartók: „Seit Bach hatte kein Komponist eine solch schöne Partitur für die Violine geschrieben.“ Hier ist er wieder: Bach, der Komponist, an dem ganz selbstverständlich selbst Bartók über 200 Jahre später reflexartig gemessen wird. Bartóks Werk ist das erste für Violine solo, das gegenüber Bach bestehen kann, und die Uraufführung in der Carnegie Hall am 26.11.1944 wurde – in Bartóks Anwesenheit – ein großer Erfolg. Trotzdem sah Bartók das Werk als unfertig an und wollte es noch einmal zusammen mit Menuhin überarbeiten, aber er starb darüber.

Natürlich war Bartók schon bei der Arbeit an dem Stück klar, woran man ihn messen würde, und so versuchte er gar nicht erst so zu tun, als gebe es Bachs langen Schatten nicht: Der erste Satz seiner Sonate heißt „Tempo di ciaccona“ (da ist auch sie, Bachs monumentale „Chaconne“), der zweite „Fuga“. Und die Fuge, sie ist ja bis heute das bachsche Heimspiel schlechthin.

Harald Borges

Foto: Der Geiger Yehudi Menuhin (rechts) mit dem Dirigenten Bruno Walter, ca. 1929 in Berlin. (Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-12786 / CC-BY-SA 3.0, dem Wikipedia-Artikel „Yehudi Menuhin“ entnommen: „This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany license.“)

Donnerstag, 30.11., 18.00 Uhr, Tertianum Konstanz
Einlass ab 17.50 Uhr: Kammerkonzert „Rückzug“ mit Katharina Vogt (Violine), Johannes Grütter (Violine), Klaus Valcu (Viola) und Ilija Andrianov (Violoncello). Programm: 1. Johan Halvorsen, Passacaglia für Violine und Viola über ein Thema von Georg Friedrich Händel, 2. Béla Bartók, Sonate für Solovioline Sz 117. 3. Dmitri Schostakowitsch, Streichquartett Nr. 8 c-Moll op. 110.
Karten: 18 Euro, ermäßigt 14 Euro, Vorverkauf in der Südwestdeutschen Philharmonie, Tel. 07531/900-816, und im Internet unter https://philharmoniekonstanz.showare.ch/SelectSeats.aspx?msg=0&ret=2&eventid=15140&e=15140

Anmerkungen:
[1] Detalliert: http://www.koelnklavier.de/texte/varia/skandal_4.html
[2] Das Folgende fußt auf: Georges-Emmanuel Schneider, Béla Bartóks Sonate für Solovioline […], Saarbrücken 2011, S. 32-35.
[3] Yehudi Menuhin, Die Violine. Kulturgeschichte eines Instruments, Stuttgart/Weimar 1996, S. 210.