Politik à la Tchibo

Bei BILD im Angebot: Eine starke Kanzlerin und ihr schwacher Partner SPD. Gegen einen Lagerwahlkampf, für eine Große Koalition und gegen eine rotgrüne Regierung haben sich die Boulevardblätter BILD und BamS im Bundestagswahlkampf 2013 positioniert, heißt es in der Zwischenbilanz einer Medienstudie der Otto Brenner Stiftung

So werde beispielsweise über die Partei Bündnis 90/Die Grünen systematisch negativ, über Bundeskanzlerin Angela Merkel fast täglich positiv sympathisierend berichtet. Begleitet werde diese parteipolitische Festlegung von einer staatsbürgerlich-präsidialen Selbstinszenierung beider Medien, die voraussichtlich in der Wahl-Sonderausgabe an alle Haushalte ihren Höhepunkt erfahren werde.

Nach dem Star-Prinzip richte sich alle publizistische Aufmerksamkeit der Boulevardblätter auf die Bundeskanzlerin und den SPD-Kanzlerkandidaten. Merkel werde als große Führungsfigur gehegt und gepflegt, unterbrochen von gelegentlichen freundlichen Ermahnungen an ihre Adresse. Diese dauerhafte Aufwartung und die konsequente Personalisierung aller politischen Ereignisse mache Merkel für das BILD- und BamS-Publikum allgegenwärtig. Steinbrück komme nur auf den ersten

Blick quantitativ und inhaltlich ordentlich weg: Er werde oft in Zusammenhang mit peinlichen und nebensächlichen Themen gebracht und stets schwinge die Botschaft mit, der Kandidat sei in erster Linie ein ebenso aussichtslos wie verzweifelt kämpfendes Opfer seiner Partei und seiner selbst.

Berichterstattung der „gespaltenen Zunge“

Die Autoren der Studie, Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt, bescheinigen BILD und BamS eine Wahlkampfberichterstattung der „gespaltenen Zunge“. Einerseits böten sich beide Blätter führenden Politikern vor allem der Regierungsparteien und der SPD als Plattform an, auf der sie in Verlautbarungs-Interviews PR-Texte veröffentlichen könnten. Andererseits reserviere besonders BILD wichtige politische Themen für sich selbst, um die Rolle des Volkstribuns einnehmen zu können, der gesellschaftliche Missstände aufgreife, zum Beispiel Altersarmut, Hartz-IV, die desolate öffentliche Infrastruktur.

Wortwolken (s. Foto) veranschaulichen, wie häufig einzelne Wörter in einem bestimmten Text vorkommen. Je größer uns das Wort entgegentritt, desto öfter wird es in dem analysierten Text benutzt. Die Wortwolke für den Gesamtkorpus zeigt zum Beispiel, dass BILD sich selbst stark in den Vordergrund schiebt. Solche Wortwolken lassen sich auch um einzelne Begriffe herum bilden. Es werden also beispielsweise alle Artikel genommen, in welchen der Name Merkel auftaucht. Dann zeigt die Wortwolke, welche anderen Wörter in diesen Artikeln besonders häufig vorkommen.Da BILD Parteien und Politiker sehr oft mit irrelevanten und abseitigen Themen in Verbindung bringe, sich selbst jedoch mit gesellschaftlich bedeutenden Themen identifiziere, entstehe auf Dauer das Bild einer Politik, die sich in der Hauptsache um Banales und Nebensächliches kümmere und von BILD erst einmal ermahnt werden müsse, sich den eigentlichen Problemen des Volkes zuzuwenden.

Politik als Sonderangebot

Als beachtenswert bezeichnen die beiden Medienforscher das Missverhältnis zwischen der Mini-Politikberichterstattung der beiden Boulevardblätter und der Maxi-Bedeutung, die sie sich selbst zuschreiben und die ihr von Teilen des politisch-medialen Sektors zuerkannt würden. Mit optimalen personellen und finanziellen Ressourcen produziere BILD ein Minimum an inhaltlichem Output mit einem Maximum an publizistisch-politischer Aufmerksamkeit. Politik werde in BILD und BamS nach dem Tchibo-Prinzip präsentiert – als Sonderangebot neben dem Hauptgeschäft.

Dem Publikum, das sich seine tägliche Unterhaltung in Sachen Sport, Prominenz, Sensation und Sex abhole, würden jeweils nur wenige, sorgfältig ausgewählte und hergerichtete Politik-Schnäppchen mit serviert. Wie der Kaffeeröster oder ein bestimmtes Fahrrad, so hätten die Boulevardblätter ein bestimmtes Politikthema im Angebot. „Wer BILD im Wahlkampf als Leitmedium wahr- und ernstnimmt, wird auch Tchibo als führendes Modehaus und gutes Fahrradfachgeschäft anerkennen müssen“, schreiben die Autoren in ihrer Studie.

Die jetzt vorgelegte Zwischenbilanz der beiden Medienforscher Wolfgang Storz und Hans-Jürgen Arlt umfasst den dreimonatigen Untersuchungszeitraum 15. Juni bis 8. September 2013. Sie basiert auf der quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse von 416 Beiträgen in BILD und BamS. Der Abschlussbericht über die Wahlkampfberichterstattung der beiden Boulevardblätter erscheint Ende des Jahres als Arbeitsheft der Otto Brenner Stiftung.

www.otto-brenner-stiftung.de
mail@wolfgangstorz.de
info@otto-brenner-stiftung.de

Autor: WS

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